Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Blue Note – das Jazzforum › Clark Terry › Re: Clark Terry
Ende 1960 entstand für Candid wieder mal ein Album unter Terrys Leitung, Color Changes. Wohl bis dahin eins der ambitioniertesten Projekte Terrys. Die Band bestand aus Jimmy Knepper (tb), Julius Watkins (frh), Seldon Powell (ts,fl), Yusef Lateef (ts,fl,ob,enh), Tommy Flanagan (p), Joe Benjamin (b) und Ed Shaughnessy (d), auf „Nahstye Blues“ spielte Budd Johnson anstelle von Flanagan Klavier.
Zum Auftakt gibt’s Bob Wilbers „Blue Waltz“. Nach Flanagans Solo spielt Terry eins seiner schwatzhaften, dialogischen Soli, es folgt Seldon Powell am Tenor, solid mit schönem Sound, irgendwo zwischen der alten Hawkins-Tradition und Sonny Rollins. Mit Jimmy Knepper ist der neben Julian Priester für mich spannendste Posaunist jener Jahre an Bord und er steuert auch gleich ein gutes Solo bei. Es folgt Lateef, auch am Tenor, relativ zurückhaltend, und dann zum Abschluss Julius Watkins. Ed Shaughnessy, der selten auf Sessions anzutreffen ist, die ihm viel Freiraum bieten, nützt das aus und begleitet verspielt und leicht, aber doch auch hart swingend, derweil Joe Benjamin ein äusserst solides Fundament legt.
Lateefs „Brother Terry“ baut auf einem minimalen Bass-Ostinato auf, wie manche Lateef-Stücke. Terry growlt darüber das Thema, mit eine Kraft und Emotionalität, die durchaus jener vergleichbar ist, die Lateef am Tenor erreicht. Hier spielt er aber Oboe (oder Englisch Horn?) und hält sich im Ensemble zurück. Nach einer schönen Ensemble-Passage mit kurzen solistischen Einwürfen von Watkins und Lateef folgt ein Flötensolo von Powell, dann Flanagan, derweil Benjamin mittlerweile nur noch einen einzelnen Ton repetiert und Shaughnessy mit den Becken feine Klänge dazu ergänzt, ohne viel time zu spielen. Eine wunderschöne Nummer!
„Flutin‘ and Fluglin'“ präsentiert Terry vor den beiden Flöten von Powell und Lateef. Shaughnessy begleitet wieder aktiv. Powell und Lateef (vermutlich in dieser Reihenfolge) treten in einen Dialog, dann folgt das ein erstes kurzes Solo von Terry über dunkle Blech-Begleitung… dann wieder die Flöten, und dann folgen Knepper und Watkins, zuerst länger für sich, dann im Dialog. Und dann führt Terry einen kurzen Dialog mit sich selbst, mit und ohne Dämpfer, bevor die anderen Bläser wieder einsteigen und mit einem arrangierten Shout-Chorus (mit Knepper, Terry und Watkins) das Stück nach einer kurzen Piano-Passage zu Ende führen.
Die erste Seite endet mit Duke Jordans Klassiker „No Problem“, vorgestellt von Terry über eine Art Montuno-Bass von Benjamin und Latin-Rhythmen von Shaughnessy. Dann setzt die ganze Band, die Bridge wird wie üblich im swingenden 4/4 präsentiert… und das Thema ist toll arrangiert, mit verschobenem „Echo“. Die Soli folgen über swingendem 4/4, allerdings nützt Shaughnessy die Gelegenheit erneut, mit Einwürfen zu glänzen, die teils den Latin-Rhythmus wieder ein wenig aufscheinen lassen. Powell bläst das erste Tenorsolo, gefolgt von Knepper, während dessen kurzen Solo wieder raffinierte kleine Begleitmotive erscheinen. Flanagan folgt, zunächst nur mit der Rhythmusgruppe, dann mit den anderen Bläsern… ein sehr schönes, ausgedehntes Solo. Dann Lateef mit einem kurzen reduzierten Solo und den typischen „nahöstlichen“ Inflektionen. Dann folgt das Thema, in ähnlicher Weise wie zu Beginn, gefolgt von einem tollen Coda, in dem Terry über dem Latin-Rhythmus weitersoliert.
Die zweite Hälfte beginnt wieder mit den Zwillingsflöten, die auch zuerst solieren, vermutlich beginnt Powell. Sehr schön, wie Benjamin begleitet, lange auf einem einzelnen Ton verharrt… auch bei Lateef wieder. Ein sehr charmantes Stück, das nicht nur mit seinem Titel „La Rive Gauche“ an Paris erinnert. Shaughnessy swingt fein mit den Besen, Knepper übernimmt von den Flöten und bläst ein langes Solo mit Dämpfer (ich dachte zuerst, das sei Watkins!). Terry folgt mit einem fröhlichen Solo mit Dämpfer, nach einer Weile setzten die Flöten und das Blech mit Riffs ein. Dann folgt Watkins mit einem tollen kurzen Solo, bevor Joe Benjamin das letzte Solo spielt.
Mit dem „Nahstye Blues“ folgt noch einmal eine rauhe, bluesige Nummer, ähnlich Lateefs „Brother Terry“. Terry präsentiert das Thema über einem langsamen bluesigen Groove – Budd Johnson spielt hier Piano. Yusef Lateef spielt das erste Solo, erdig und mit seinem riesigen Sound am Tenor. Dann folgt Terry… wieder sehr stimmhaft, eine Geschichte erzählend… die Rhythmusgruppe wechselt streckenweise in 12/8 und die anderen Bläser bauen Riffs auf, grundiert von Basstönen aus Kneppers Posaune, derweil Benjamin am Bass in 12/8 rast. So fadet das Stück langsam aus – für mich wohl das Highlight des Albums!
Die Letzte Nummer, „Chat Qui Pêche (A Cat That Fishes)“ ist wieder fröhlicher, schneller, mit einer Flöte prominent im Thema. Knepper spielt das erste Solo, gefolgt von Lateef am Tenor, Terry, Powell am Tenor, Watkins, erneut Lateef (ts), Watkins, Flanagan, nochmal Terry… und dann wieder das Thema mit der Flöte (wohl Powell). Damit endet das vielleicht schönste Album von Terry – ein Album auch, bei dem er anscheinend die komplette Kontrolle über die Musik und die Arrangements hatte.
Die Arrangements stammen übrigens von Lateef, Budd Johnson und Al Cohn, ich weiss aber nicht, wer welche Nummern arrangiert hat, da ich nur die Membran/Pats Perfect Billig-Ausgabe habe (auf der überdies die beiden LP-Seiten vertauscht angeordnet sind). Zu vermuten ist wohl, dass Lateef sein „Brother Terry“ gesetzt hat, Johnson den „Nahstye Blues“, auf dem er Piano spielt, und Al Cohn den grössten Teil? Kann das jemand überprüfen anhand der Candid-CD oder LP?
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba