Re: Albert Ayler

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bullschuetz

Registriert seit: 16.12.2008

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pinchZum Glück nicht. „New Grass“ ist das Schwarze Schaf im Ayler-Katalog. Alles an und auf der Platte ist Fake: das schönfärbende Spoken Word Intro von Ayler, die Chöre, die billigen R&B-Arrangements. Das war nicht Albert Ayler, das waren irgendwelche zynischen Produzenten, die Aylers eigentliche Musik nicht vermarkten konnten. Und dass Ayler auch noch singen und einen auf Soul-Crooner machen musste, ist die klassische Hampelmannmütze.
Ein tragisches Album, mit nur winzig kleinen Funken Ayler’scher Grandezza (2-3 Soli). Wundert mich doch sehr, dass dir das Album zu gefallen scheint.

Doch, ich bleibe sehr dabei, dass mich das Album fasziniert. Ich behaupte sogar, dass selbst in Spiritual Unity melodiöse Momente drin sind, die gar nicht so sehr weit entfernt sind von NG.

Gleichzeitig kann ich Deine Kritikpunkte teilweise absolut nachvollziehen (wenngleich ich mich viel weniger daran zu stören scheine) – in der Tat sind die R&B-Arrangements bisweilen fast Realsatire in ihrer klischeehaften Billigkeit. Und das Wort „Hampelmannsmütze“ trifft den schrägen Appeal eigentlich ganz gut. Aber hey, Soul-Crooning willst Du diesen irren, ulkigen, in Intonation, Phrasierung und Melodiegebung absolut kauzig-eigenen Gesang doch nicht im Ernst nennen?

Ich finde gerade diese Mischung aus disparaten Teilen – Purdies endlos groovendes Drumming, tolle Saxophon-Soli, exaltierter und teilweise hörbar nur halbgekonnter, aber umso hingebungsvollerer Gesang, dazu diese Genre-Arrangements – sehr ansteckend, ohne dass ich Dir im Geringsten widersprechen würde, wenn Du behaupten würdest, dass das künstlerisch unausgegoren, bsiweilen brüchig, nicht überall gleich gelungen und natürlich unterm Strich Welten entfernt ist vom beeindruckend schlüssigen Wurf Spiritual Unity (vom musikalischen Grundton zu schweigen). Dass NG damals für orthodoxe Aylerianer ein Schock gewesen sein muss, glaube ich gerne.

Und dennoch, und dennoch …

Dass hier der gute Albert von bösen Produzenten missbraucht und vergewaltigt wurde, mag ich nur zum Teil glauben (wobei ich mich da größtenteils bloß auf die Lektüre von gypsys Beitrag stützen kann). Offenbar wurde NG ja nachträglich glattgebügelt – Bläsersätze overdubbed, die Background-Chöre aufgemotzt und gängigen Hörgewohnheiten angepasst etc. Aber die Basis des Projekts, die Idee, etwas Zugängliches, harmonisch ganz konventionell Geerdetes zu machen, scheint doch wohl durchaus authentisch Aylersch zu sein. Oder? Experten, bitte melden …

Deshalb auch mein Verweis auf Thank God For Women – derselbe Ansatz, aber viel unbehauener, lässig hingerotzt, turbulent und mit einer Musizierlust, bei der die selbstkritische Kontrollinstanz ganz ausgeschaltet scheint. Keine bolidenhaften R&B-Bläsersatzklischees draufgepappt, die Backing-Gesänge herrlich schräg. Spaß im tiefsten Sinne. TGfW = NG minus Bügelproduktion. Bin hingerissen!

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