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Kurz nach der Europa-Tournee im November 1966 nahm Ayler zum ersten Mal für sein neues Label auf: Impulse – bestens bekannt als das Label Coltranes, der neben Ayler auch Archie Shepp dort unterbringen konnte.
Aylers Musik sollte sich in der kurzen, ihm noch verbleibenden Zeit, weiter (und stärker als davor) verändern, was zumindest teilweise auch den Bedingungen bei seinem neuen Label zugeschrieben werden kann.
As happened to Charlie Parker, Thelonious Monk, Cecil Taylor, Ornette Coleman and John Coltrane, Albert Ayler has discovered that there are always those resistent to the dictum that new ways of music require new ways of listening. But since Ayler is wholly committed to his revelation of truth in music, he has had no choice but to wait for listeners to perceive the aural implications of the times-they-are-a-changin‘. And now his message is getting through because, once fully heard, its power cannot be denied.
~ Nat Hentoff, Liner Notes zu „Albert Ayler in Greenwich Village“ (Impulse AS-9155)
Diesen Text hat Hentoff, so schreibt er anschliessend an die zitierte Passage, geschrieben kurz nachdem er die Ayler-Brüder im Slugs‘ gehört habe. Er zitiert anschliessend die schöne Hör-Anleitung, die Don und Albert ihn im erwähnten Interview für Down Beat gegeben haben.
Hentoff versucht dann, Aylers Musik in Worte zu fassen:
Later, I tried to put the way Albert Ayler’s music moves into my own words and asked his reaction. In so far, he answered, as words can do it, he would agree that in his music „what moves – within itself and as a mass – is a dense, multiple erupting thicket of sound. And feeling.“ As for the rhythm, Ayler himself has so powerful an inner pulse that his improvisations would have swinging momentum even if there were no rhythm section. I use the word „swinging“ not with regard to the explicitly pulsating beat that was endemic to jazz until recent years. I mean its other definition – that implicit sense of pulsation through all elements on the performance.
~ Nat Hentoff, Liner Notes zu „Albert Ayler in Greenwich Village“ (Impulse AS-9155)
Ich finde die oben von mir fett hervorgehobene Passage sehr zutreffend, ebenso natürlich die Beobachtung über den Puls, den Ayler in sich hat, der seine Musik swingen lässt.
Vom ersten Konzert, das für Impulse am 18. Dezember 1966 im Village Vanguard mitgeschnitten wurde, landeten „Truth Is Marching In“ und „Our Prayer“ auf dem Album Albert Ayler in Greenwich Village (AS-9155). Coltrane war an jenem Abend auch im Publikum. Die Musik ist jubilierend, triumphierend – ohne jedoch die dunkleren Facetten des Lebens auszublenden. Die Ayler-Brüder spielen ihre Unisono-Linien, Michel Samson webt seine Geigenteppiche, während Beaver Harris dichte Rhythmen drunterlegt, die von den Bässen Bill Folwells und Henry Grimes‘ zusammengehalten werden.
Weitere Stücke dieses Konzertes wurden später auf dem Doppel-Album The Village Concerts (Impulse IA-9336-2) veröffentlicht: „Spirits Rejoice“ in einer wunderbaren, über 16 Minuten langen Version, in der die Streicher eine längere Passage spielen, in denen Folwells gestrichener Bass und die Geige von Samson zusammenzuwachsen scheinen, während Grimes und Harris die Musik antreiben.
Die erste kurze Phrase, mit der Ayler „Divine Peacemaker“ öffnet, klingt einmal mehr stark europäisch – nach früher Renaissance… „L’homme armée“ lässt grüssen.
Zum Abschluss der ersten Konzert-Aufnahme hören wir „Angels“, ein Duett von Ayler mit einem Pianisten, vermutlich Call Cobbs, der dichte Arpeggi unterlegt, während Ayler mit fast parodistischem Vibrato seine einfach Melodien bläst. Ein fast besinnlicher Moment – aber das parodistische Sax-Spiel Aylers lässt am Ende doch eine andere Stimmung aufkommen. Sehr schön, wenngleich kaum etwas geschieht in diesen zehn Minuten.
Das ursprüngliche Impulse-Album (dessen A-Seite von den zwei ersten Stücken der folgenden Konzert-Aufnahme besetzt war) erhielt in Down Beat die Höchstwertung. Pete Weldings Rezension kann hier in ganzer Länge nachgelesen werden (das dürfte die einzige Nennung von Johan Huizingha in Down Beat sein?!). Es findet sich dort ebenso eine Rezension aus dem französischen Jazz Magazine.
Am 26. Februar 1967 nahm Impulse zum zweiten Mal die Gruppe von Ayler live auf, dieses Mal im Village Theatre. Zu Albert, Don, Sampson, Folwell und Harris stiessen diesmal der Cellist Joel Freedman und Alan Silva als zweiter Bassist. Auf dem letzten Stück, „Universal Thoughts“, das erst 1998 auf der 2CD-Ausgabe des ganzen Materials (inkl. dem einen Stück vom Village Gate im März 1965, „Holy Ghost“) zum ersten Mal veröffentlicht wurde.
Das erste Stück, „For John Coltrane“, präsentiert Ayler am Altsax, Don und Beaver Harris spielen nicht mit, Ayler wird also von einem Streichquartett (Violine, Cello und zwei Bässe) begleitet – eine wunderbare Aufnahme!
Speaking of the enormous loss [Tod Coltranes im Sommer 1967] when I asked Ayler about For Coltrane, Albert said: „John was like a visitor to this planet. He came in peace and he left in peace; but during his time here, he kept trying to reach new levels of awareness, of peace, of spirituality. That’s why I regard the music he played as sacred music – John’s way of getting closer and closer to the Creator.“
~ Nat Hentoff, Liner Notes zu „Albert Ayler in Greenwich Village“ (Impulse AS-9155)
Die Musik ist jedenfalls getragen, aber die Streicher weben einen dichten, ständig sich bewegenden Teppich unter Ayler. Sein Altsax singt, mit grossem Ton, der aber kaum in das grosse Vibrato ausschert, wie es sein Tenorspiel prägte… er singt seine Hommage an Coltrane.
Mit „Change Has Come“ wird die Musik dichter und mit „Light in Darkness“ folgt dann eine der wohl eindrücklichsten Aufnahmen aus dieser mittleren Phase von Aylers kurzer Karriere. Sein Solo erinnert an die Phrase des „speaking in tongues“, die Nat Hentoff in seinen in seinen Liner Notes zu Coltranes Album „Meditations“ auf dessen und Pharoah Sanders‘ Spiel angewendet hatte.
In „Heavenly Home“ sind die Streicher enorm präsent, vor allem Samsons Violine kratzt stets grad unter der Oberfläche – es entstehen sehr schöne Texturen, über die Ayler reduzierte Melodien legt. Und dann kehrt bei ca. 4:20 wieder ein Motiv zurück, das an „L’homme armée“ erinnert. Die Bezüge Aylers sind eben nicht – wie etwa bei Ornette – der einfache Blues, sondern eine art Euro-Amerikanische, imaginäre Folklore, Lieder, wie er sie als Kind gerne gesungen habe, wolle er spielen, Melodien, die von den Leuten mit- und nachgesummt werden können…
In „Omega Is the Alpha“ bläst Ayler ein grossartiges Solo, begleitet fast nur von den treibenden, äussert perkusiven Drums von Beaver Harris. Die letzte Nummer, „Universal Thoughts“, ist leider nicht vollständig erhalten. Die Posaune von George Steele macht die Texturen des Ensembles noch dichter, Samson spielt wilde Arpeggi, Ayler soliert in einer Art Singsang und spielt die typischen Unisono-Linien mit Donald… ein sehr schöner Abschluss dieser tollen Aufnahmen!
Eine Besprechung der Doppel-CD von 1998 findet sich hier.
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