Re: Albert Ayler

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In an interview for Down Beat, I once asked Albert and Don Ayler if they had any advice how to listen to their music. „One way not to,“ said Don, „is to focus on the notes and stuff like that. Instead, try to move your imagination toward the sound.“ Albert added: „You have to relate sound to sound inside it. You have to try to listen to everything together.“ „Follow the sound,“ Don broke in, „the pitches, the colors, you have to watch them move.“

Robert Palmer, 1978 (Liner Notes zu: Albert Ayler – The Village Concerts, Impulse IA-9336-2, nachgedruckt in: Albert Ayler – Live in Greenwich Village: The Complete Impulse Recordings, 2CD 1998

Im Jahr 1965 war Ayler mit einer neuen Band unterwegs. Die wichtigste Änderung: sein Bruder Donald spielte fortan für mehrere Jahre Trompete. Kein grosser Techniker und kein bedeutender Solist, wurde er doch zu einem partner in sound – und zugleich sollte die Bruder-Beziehung auch tragische Dimensionen annehmen. Donald Ayler erlitt um 1967/68 einen Zusammenbruch und verliess die Band, Albert Ayler scheint sich dafür die Schuld gegeben zu haben.

Der früheste dokumentierte Auftritt der neuen Band fand zu Silvester 1964/65 in Cleveland statt: Donald und Albert traten mit Charles Tyler (as), Mutawef Shaheed (damals Claude Shy) (b) und Larry Hancock (d) auf. Im Februar spielten sie in New York mit Lewis Worell (b) und Sunny Murray, auch mit Roswell Rudd und Pharoah Sanders. Zudem ist Ayler auch als Gast mit dem New York Art Quartet aufgetreten (er stiess da erneut auf John Tchicai und Roswell Rudd).

Am 28. März fand im Village Gate ein „Jazz Concert to Aid Harlem Repertory School“ statt, an dem neben Albert Ayler auch John Coltrane, Cecil Taylor, Archie Shepp, Grachan Moncur III, Sun Ra, Charles Tolliver, Bobby Hutcherson und Betty Carter aufgetreten sind.
Impulse hat die Auftritte mitgeschnitten und teilweise auf dem Album The New Wave in Jazz (AS-90) veröffentlicht. Von Ayler wurden anscheinend zwei Stücke mitgeschnitten, „Holy Ghost“ und „Saints“, aber nur ersteres ist auf Tonträgern erschienen. Mit Albert und Don spielten der Cellist Joel Freedman, Lewis Worrell und Sunny Murray. Das Stück ist auch auf der Doppel-CD Live in Greenwich Village: The Complete Impulse Recordings zu hören, auf der ansonsten die 1966/67 entstandenen Live-Aufnahmen für Impulse versammelt sind.
„Holy Ghost“ ist eine hektische Performance, getrieben von Lewis Worrells rasendem Bass und Sunny Murrays hektischen Rhythmen, oft mit repetitiven, intensiven Snare-Beats unterstrichen. Donald Aylers blechige, flächig gespielte Trompete ist zuerst zu hören, vor Alyer zu einem intensiven Solo ansetzt. Es folgt Joel Freedman mit einem tollen Cellosolo, das zu Beginn nur von Worrell begleitet wird.

Am 1. Mai 1965 trat Ayler in der Town Hall auf. Mit ihm: Don Ayler, Charles Tyler, Lewis Worrell und Sunny Murray sowie ein unbekannter Perkussionist. Ein paar Wochen zuvor war Malcolm X ermordet worden, Ayler sollte ab diesem 1. Mai regelmässig im Programm des „Black Arts Repertory Theatre“ Unterschlupf finden. Zwanzig Minuten des Konzerts wurden auf einer einseitigen ESP‘-Disk LP veröffentlicht: Bells. Die Stimmung hat sich verändert, die Musik ist nicht mehr so jubilierend wie im Vorjahr, düstere, dunklere Stimmungen haben sich eingeschlichen. Neben den einfachen Melodien hören wir eine Tenor/Bass-Passage, die stark an einen Standard angelehnt scheint, auch dirge-ähnliche Passagen, wie sie für die nächsten Jahre prägend werden sollten.

Dan Morgenstern schrieb im Down Beat vom 15. Juli 1965 über diese Gruppe:

Albert Ayler is certainly original. His tenor saxophone sound, on fast tempos, is harsh and guttural, with a pronounced vibrato and a multitude of what used to be called freak effects in King Oliver’s day. He plays with a vehemence that startles the listener, either repelling him or pulling him into the music almost brute force. The effect can be oddly exhilarating.
On slow tempos, Ayler favors a vibrato so wide that it brings to mind Charlie Barnet’s old take-off on Freddy Martin. It is an archaic sound, and the phrasing that goes with it – drawn-out notes, glissandi, sentimental melodic emphasis – is quite in keeping.
Trumpeter Don Ayler plays like his brother plays fast tenor: loud, staccato, and broadly emphatic. …. He did not solo at slow tempo. Altoist Tyler fits the brothers. His sound is not unlike Albert’s but more grating and less controlled – some of his overtones were involuntary, whereas the tenorist meant every note he played to be.
The music that goes with this definitive instrumental approach is no less personal. It resembles at times – in texture as well as voicings and melody – the music of a village brass band or a military drum-and-bugle corps. In spite of its abrasiveness, the music is quite gay and friendly – „country“ might be the word for it. The harmonies are stark and almost primitive, with occasional forays into bagpipe effects.

Den Verweis auf Freddy Martin versteh ich nicht ganz, Martin war ein Bandleader/Tenorsaxophonist, der wohl einen sehr publikumswirksamen Stil innerhalb der Swing/Tanzmusik der frühen 30er Jahre entwickelt hat… hat Barnet ihn parodiert? (Wikipedia über Martin)
Ich nehme jedenfalls an, dass es darum geht, dass Aylers Ton bisweilen kitschig und mit seinem Vibrato wie eine Parodie auf das „sweet“ Saxophon der Swing-Ära klingt.

Die zwanzig Minuten Musik, die auf Bells dokumentiert sind sind jedenfalls grossartig – leider in ziemlich breiiger Klangqualität, vor allem Lewis Worrells Bass leidet darunter – man hört aber deutlich, dass er im Vergleich zu Gary Peacock sehr viel erdiger, tiefer spielt, ohne aber bloss ein einfaches Fundament zu liefern. In schnellen Passagen rast er in der Tiefe, während Murray drüber die Rhythmen durcheinanderwirbelt. Mit den Melodien und Ausbrüchen der Bläser darüber ist das eine durch und durch kathartische Performance.

Im September fand dann in der Judson Hall die nächste Studio Session für ESP statt, das resultierende Album war Spirits Rejoice. Neben den Ayler Brüdern, Tyler und Murray sind die beiden Bassisten Henry Grimes und Gary Peacock zu hören, sowie Call Cobbs am Cembalo.

Guy Kopelowicz hat eine Erinnerung an die Session geschrieben, der hier nachgelesen werden kann. Seine tollen Fotos sind zudem hier zu sehen (jene von W. Eugene Smith, der auf Guys Bildern einige Male auftaucht, scheinen nicht überliefert zu sein).

Den Down Beat Review des Albums hat Harvey Pekar verfasst, er gab ***1/2 – nachlesen kann man ihn neben diversen anderen hier.

Zur Musik kann ich selber erst wenig sagen, das Album ist mir bisher noch nicht so vertraut wie die Aufnahmen von 1964 oder „Bells“. Allerdings ist die Qualität der Aufnahme gerade im Vergleich mit „Bells“ ein Genuss, die beiden Bässe und Murray spinnen ein dichtes Netz, über das die drei Bläser ihre mal repetitiven gesanglichen Melodien, mal frenetisch irren kollektiven Passagen und ihre expressiven Soli blasen.
Die Stimmung ist weniger düster als auf „Bells“, aber zugleich fehlt es etwas an ruhigeren Passagen, die Atmosphäre scheint aufgeladen, „charged“, die Musik ist dicht und nervös, es gibt aber auch hier die Momente der wiederholten folklore-artigen Motive, einfach brechen die Musiker daraus nicht in jubilierende Soli aus sondern in grübelnde, hektische Improvisationen.
Call Cobbs‘ Cembalo ist nur auf dem Stück „Angels“ zu hören – es bringt eine surreale Komponente in die Musik, Aylers „shaky“ Tenor klingt fast wie eine Parodie… ein Moment grossartigen Kitsches!

Die letzte Aufnahme aus dem Jahr 1965 entstand im November unter Leitung von Sunny Murray. Drei der Stücke erschienen auf der LP auf dem Jihad Label, das vierte erschien auf einer 45 rpm Single. Anstelle von Donald Ayler ist hier wieder Don Cherry an der Trompete zu hören, dazu die beiden Bassisten Grimes und Worrell und natürlich Murray am Schlagzeug. Leroi Jones (dessen Label Jihad meines Wissens war ) stösst auf „Black Art“ als Rezitator eines eigenen Textes zur Gruppe.
Das Inlay, das der LP beilag, findet sich hier. Wie aus Max Harrisons Kritik und seinem später nachgeschobenen Brief deutlich wird, wurde dieses Album schon damals kritisch aufgenommen, vor allem wegen Leroi Jones ausfälligem und rassistischen „Gedicht“. Die beiden langen Stücke „Virtue“ und „Justice“ sind jedoch toll, Cherry ist auch hier wieder eine Bereicherung, eine eigenständige Stimme im Fluss der dichten Musik. Ayler ist allerdings – obwohl Sideman – enorm prägend und die Achse zwischen ihm, Cherry und Murray fuktioniert hervorragend. Mir gefallen die beiden Stücke jedenfalls eher besser als „Spirits Rejoice“, obwohl dieses gerade durch seine atemlose Dichte einen ganz eigenen Reiz entwickelt.

Abschliessend für heute möchte ich noch – im Rahmen des bigger picture – auf die Debatte hinweisen, die 1983 im damals ganz jungen Wire stattfand. Sie kann hier nachgelesen werden, einige Punkte, die Mike Hames macht, halte ich für wichtig und gültig. Spannend auch die Ayler-Zitate, die eingestreut sind.

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