Re: Dusko Goykovich

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Ein paar Worte zu…

Ten to Two Blues (Ensayo 1972, Reissue 1999) und Tete Montolius It’s About Blues Time (Ensayo 1971 oder 1972, Reissue: Fresh Sound, 1997) – beide Alben entstanden 1971 in Barcelona mit Tete am Piano, Joe Nay am Schlagzeug und Rob Langereis am Bass. Auf dem Tete-Album stösst zudem Ferdinand Povel am Tenorsax dazu.
Erdige, stark vom Hardbop geprägte Musik – zu vergleichen wohl mit dem Postbop/Mainstream, den Musiker wie Dexter Gordon, Johnny Griffin oder Kenny Drew nach Europa gebracht haben. Das Album in Quartett-Besetzung gefällt mir eine Spur besser, die Blues-Nummern sind richtig erdig und Thad Jones‘ „A Child Is Born“ ist unheimlich berührend in Duskos Interpretation.

Balkan Blue (Enja 1997) – eine Doppel-CD, die zwei Wunschträume von Dusko ermöglichte. Auf CD1 – „A Night in Skopje“ – ist seine Zusammenarbeit mit dem italienischen Tenor-Heroen Gianni Basso (no bullshit as no bullshit can get!) dokumentiert. Die beiden haben schon seit den späten 50er Jahren zusammen gespielt, aber erst 1994 kam es in Skopje im Studio zu den ersten gemeinsamen Aufnahmen. Das Resultat ist erstklassig, die beiden alten Kämpen werden begleitet vom hervorragenden Peter Michelich am Piano, Martin Gjakonovski am Bass sowie Kruno Levacic am Schlagzeug. Sie spielen Originals und ein paar Klassiker („Yardbird Suite“, „You’ve Changed“, „You’d Be So Nice to Come Home To“). Zu den Höhepunkten gehört eindeutig die Ballade, die am Anfang des Albums steht, Bassos „Simona“. Sein Ton ist gross und rund, voluminös und weich – ein Musiker, der viel bekannter sein müsste!
Die zweite CD, „Balkan Blues“, ist dann der ganz grosse Traum: mit einer Rhythmusgruppe (Bora Rokovic, Frantisek Uhlir und Bruno Castellucci sowie Perkussionist Wolfgang Schlüter) und dem NDR Philharmonie-Orchester spielt Goykovich seine Jazz-Suite „Balkan Blues“, die schon 1974 von Hans Hammerschmid arrangiert worden ist und für die Live-Aufnahme, die am 14. November 1992 in Hannover stattfand, von Palle Mikkelborg überarbeitet wurde. Mikkelborg dirigiert, Goykovich nutzt die Gelegenheit und präsentiert sich als der überragende lyrische Trompeter, der er seit Dekaden ist. Rokovic hat auch ein paar schöne solistische Momente, aber das hier ist Duskos Show!

Bebop City (Enja 1995) – im Dezember 1994 nahm Goykovich dieses Album in New York auf. Mit dabei eine feine Rhythmusgruppe: Kenny Barron, Ray Drummond und Alvin Queen. auf drei bzw. vier Stücken stossen Abraham Burton und Ralph Moore am Alt- bzw. Tenorsax dazu (keine Sextett-Stücke, zwei nnur im Quartett). Hier schleicht sich manchmal ein wenig Routine ein, ein gestähltes Album mit Hardbop, inklusive Fotos von dampfenden Gullis und Strassenschluchten. Barron sticht mit einigen sehr schönen Soli heraus, ein gutes Album, aber eine Spur mehr „run of the mill“ als die anderen.

Balkan Connection (Enja 1996) – ein weiterer verwirklichter Wunschtraum Goykovichs, eine Aufnahme mit voller Big Band-Besetzung. Die musikalischen Anfänge Goykovichs führten ihn als 18-jährigen in die Big Band von Radio Belgrad, fünf Jahre später war er ein versierter Big Band-Musiker und Solist, er ging nach Detuschland, nahm 1956 zum ersten Mal auf (mit den Frankfurt All-Stars) und ist seither nicht mehr aus der europäischen Jazz-Szene wegzudenken. Er spielte mit den European Jazz All Stars, dann kurz in München mit Max Gregers Big Band, vor er für viereinhalb Jahre zur Band von Kurt Edelhagen stiess – während dieser Zeit arrangierten etwa Francy Boland, Claus Ogermann, Jerry van Rooyen oder Rob Pronk für die damals wohl beste Big Band Europas. Dusko war der wichtigste Solist auf der Trompete und wurde 1958 für die Newport International Youth Band ausgewählt (u.a. mit Albert Mangelsdorff, Ronnie Ross, George Gruntz, Ake Persson, Bernt Rosengren und Gabor Szabo). 1961 lockte ihn ein Stipendium nach Boston an die Berklee School of Music – er nutzte das, um seine Kompositions- und Arrangeurs-Fähigkeiten auszubauen.
Kaum zurück in Europa wurde er von Maynard Ferguson als Nachfolger von Rolf Ericsson eingestellt, war neben Maynard auch solistisch zu hören – und ein paar seiner Stücke fanden Eingang ins Buch der Band. 1964 löste Ferguson seine Band auf, Dusko ging für ein Jahr zu Woody Herman. Auch hier spielte die Band einige seiner Arrangements, sogar ein Original namens „Woody’s Whistle“ (zu hören auf „Woody’s Winners“), auf dem auch Sal Nistico solistisch zu hören war.
Mit Nistico ging Dusko 1965 nach Europa, mit der Absicht, nun seine eigene Musik aufzunehmen. 1966 enstand für Enja das oben mehrfach erwähnte „Swinging Macedonia“ (mit Nathan Davis statt Nistico – vielleicht leider?), das erstmals seinen Hardop dokumentierte, der sanft mit Balkan-Elementen angereichtert war. Zugleich setzte Dusko seine Big Band-Tätigkeit fort, indem er mit der Kenny Clarke/Francy Boland Band spielte.
1968 zog Goykovich nach München und startete seine „rehearsal Big Band“ u.a. mit Rolf Ericson, Palle Mikkelborg, Rudi Fuesers, Ack van Rooyen, Ferdinand Povel und Al Porcino. Die Band bestand bis 1976, ist aber meines Wissens leider nicht dokumentiert. 1981/82 leitete er erneut für ein paar Konzerte seine eigene Big Band, aber erst 1986 kam wieder eine länger haltende Band zusammen. In den Jahren 1987-1993 leitete er zudem das Bayerische Jugdend-Jazz-Orchester.
Also ein Mann, der mit allen Big Band Wassern gewaschen ist! Er spielte überdies auch mit den Bands von Thad Jones/Mel Lewis, der Concert Jazz Band von Gerry Mulligan, sowie mit Big Bands, die Clark Terry, Duke Jordan, Friedrich Gulda, Peter Herbolzheimer und George Gruntz geleitet haben, sowie mit zahlreichen Radio und Festival Big Bands. Über hundert Arrangements haben sich über die Jahre hin angesammelt, und auf „Balkan Connection“ sind zum ersten Mal ausschliesslich seine eigenen Charts zu hören.
Neben Dusko, der als Solist im Zentrum steht und auch hier wieder glänzt, sind solistisch zu hören: Gianni Basso (grossartig sein Balladen-Feature „Manhattan Mood“) und Tony Lakatos, beide am Tenorsax. Zudem glänzt erneut Peter Michelich mit einigen brillanten Piano-Soli. Luigi Trussardi (Bass) undd Ratko Divjak (Drums) vervollständigen die Rhythmusgruppe.
Auch hier ist die Musik mit Balkan-Elementen angereichert, „Doboy“ beruht auf einem Volkslied, das orientalische, türkische und serbische Einflüsse verarbeitet, „Balkan Blue“ beruht auf einem serbischen Volkslied, „Nights of Skopje“ ist mazedonisch angehaucht und kommt im 5/4 daher. „The Bopper“ ist hingegen Big Band Jazz in der Tradition Woody Hermans und „A Handful o‘ Soul“ ist genau das – ein bluesig-funkiges Souljazz Stück, das 1970 von Carmen McRae mit der Clarke/Boland Big Band (inkl. Dusko) eingespielt wurde (der Bassist der Band, Jimmy Woode, hat den Text geschrieben). Michelich glänzt solistisch.
Natürlich dürfen auch Balladen-Features für den Leader nicht fehlen (Basso hat „Manhattan Mood“, Lakatos „Why Not You“) und so spielt Dusko „You’re My Everything“ und „You Don’t Know What Love Is“ und zum Abschluss ein Original namens „Nella“, das der verstorbenen Italienische Jazzliebhaberin Nella Ricci gewidmet ist, die Duskos Balladenspiel ganz besonders mochte.
(Dank an Hans-Jürgen Schaals Liner Notes, die ich hier schamlos ausgeschlachtet habe!)

Samba do Mar (Enja 2003) – ein Konzeptalbum, das gut zu den diversen Worldmusic-Verwässerungen (und manchmal gelungenen Jazz-Anreicherungen) passt, mit denen Enja/Winckelmann in den letzten zehn Jahren immer wieder hervorgetreten ist. Dank der tollen Band – Ferenc Snetberger an der akustischen Gitarre, Martin Gjakonovski am Bass und Jarrod Cagwin, der mit allen Wassern gewaschene Drummer und Perkussionist – funktioniert das Album aber sehr gut. Snetberger bringt eine Gypsy-Sensibilität ins Ensemble und prägt mit seinem stark rhythmisierten Spiel den Sound. Die Stücke stammen von Dusko, Jobim, Sergio Mihanovich und Heitor Villa-Lobos und verfliessen zu einer schönen, einstündigen Suite. Dusko ist mit seinem flüssigen lyrischen Spiel auch der richtige Mann, um so ein Album erfolgreich hinzukriegen. Gefällt mir immer besser!

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