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gypsy tail wind
@nerea: Du hast Dir den hartesten Brocken für den Anfang ausgesucht!
Jetzt bist Du mir zuvor gekommen. Dasselbe wollte ich auch gerade anmerken. „Der Räuber“ entstand fast 20 Jahre nach den frühen drei Romanen (Tanner, Jakob, Gehülfe) und ist mit diesen, wenn auch sämtliche Walserschen Themen beinahe zwanghaft durchackert werden, stilistisch nur wenig, ja -fast gar nicht- vergleichbar. Das Buch wurde in der Berner Zeit als „Mikrogramm“ (eine winzige, schwer zu entziffernde Bleistiftschrift, mit der sich posthum die Literatur-Wissenschaft abmühen durfte) niedergeschrieben, was Rückschlüsse auf Walsers seelische Verfassung während der Niederschrift zulässt. Kurze Zeit später folgte der völlige Zusammenbruch und nach hin und her die lange Herisauer Endphase. „Der Räuber“ war von Robert Walser nicht zur Veröffentlichung gedacht – das Manuskript trug nicht einmal einen Titel.
Deine Ausführungen zum Spazierengehen, das keines ist, haben mir sehr gut gefallen – mäandrieren trifft diese ihm ureigene Art herumzuschweifen passend.
Du hast recht: Ingeborg Bachmann, die Rom am Ende besser gekannt haben soll als Einheimische, dort Geborene, brauchte ein Schritt-Tempo, das ihrer geistigen Aktivität entsprach. Und sie war schon mit Beendigung ihrer Anrufung des großen Bären eine Getriebene, der die Welt unaufhaltsam entzwei zu gehen drohte, was in ihren letzten Lebensjahren leider auch geschah. Was Walser das Bleistiftgebiet, war Bachmann das Todesartenprojekt, in beiden Fällen Schreiben um zu überleben, um ein „Ich“ in sich manifestieren zu können, wenn auch immer nur vorüberläufig. Ein Sich-mit-sich-quälen auf höchstmöglicher Bewußtseinsebene.
Elfriede Jelinek hat vor einigen Jahren versucht, Walser wieder mehr ins Bewußtsein der Menschen zurückzubringen – sie ist eine glühende Verehrerin. Ob ihr das gelang… wer weiß? Verdient hätte er es bestimmt.
Oder wie Elias Canetti 1973 schrieb:
Die Besonderheit Robert Walsers als Dichter besteht darin, daß er seine Motive nie ausspricht … Seine Dichtung ist der unablässige Versuch, die Angst zu verschweigen. Er entkommt überall, bevor zu viel Angst in ihm ist – sein streifendes Leben -, und verwandelt sich, zu seiner Rettung, oft ins Dienende und Kleine. Seine tiefe und instinktive Abneigung vor allem „Hohen“, vor allem, was Macht ist und Anspruch hat, macht ihn zu einem wesentlichen Dichter unserer Zeit, die an Macht erstickt.
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I will hold the tea bag.