Antwort auf: McCoy Tyner – The Real McCoy!

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gypsy-tail-wind
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Live at Newport ****

Tyner spielte in Montréal mit Coltranes Quartett und reiste vorzeitig ab, um in einer für den Anlass zusammengestellten Gruppe unter seinem eigenen Namen am Jazzfestival von Newport, RI zu spielen (zwei Tage später spielte er auch mit dem Coltrane Quartett dort, der fantastische Auftritt mit Roy Haynes wurde auch für Impulse mitgeschnitten und liegt in diversen Ausgaben vor).
Mehr dazu: http://forum.rollingstone.de/showthread.php?p=2194199#post2194199
[Das mit den kaputtmigrierten Links ist schon eine Pest! Vermutlich ging es hierhin:
http://forum.rollingstone.de/foren/topic/chronological-coltrane/page/15/#post-7658617 ]

If you want to be sensible about it, the whole thing shouldn’t even have happened. McCoy Tyner was tired, Clark Terry’s flügelhorn was driven off with in somebody’s car, and Charlie Mariano was supposed to be in Japan.
„Record?“ McCoy said,. „I’m beat! We played Montreal till early this morning. I only got about three hours sleep. What’s supposed to happen? A quintet? Who’s in it?“

~ aus Willis Connovers Liner Notes zu „Live at Newport“, Impulse AS-48

An diesem Nachmittag schien buchstäblich nichts zu passen. Zudem hatte Tyner nie zuvor mit Mariano gespielt, ebensowenig mit dem Bassisten Bob Cranshaw. Terry konnte sich eine Trompete von Bill Berry leihen… und siehe da: die spontan zusammengeschusterte Gruppe verschmolz zu einer funktionierenden Band – und nahm mein liebstes von Tyners Impulse-Alben auf. Natürlich wurden Standards gespielt, die lingua franca des Jazz… ein Blues-Jam „Newport Romp“, eröffnet das Konzert, es folgen „My Funny Valentine“ und eine mid-tempo Version von „All of You“ im Trio. Das Trio spielt dann auch noch „Monk’s Blues“, ein weiteres Tyner Original mit etwas mehr Kanten. Zum Abschluss folgt wieder mit Terry und Mariano Gillespies Bop-Klassiker „Woody’n You“. Die Musik fliesst leichter dahin als Tyners vorsichtiger produzierte Studio-Alben, aber gerade in diesem Fluss liegt für mich der Reiz. Ich schliesse mich in diesem Sinn Connovers abschliessendem Urteil aus seinen Liner Notes gerne an: „These performances aren’t anything like McCoy’s hypnotic passages to the Coltrane East. There’s less sulfur and incense here and more bay breeze. But these too are a few of my favorite things.“ Aber nicht nur Tyners entspanntes Spiel, auch Terrys fröhliche Spielfreude, Marianos herber, quecksilbriger Sound und die sichere Rhythmusgruppe machen dieses Album zum einem Genuss, von Anfang bis Ende.

Today and Tomorrow ****

Dieses Album setzt sich aus zwei Sessions zusammen, der einzigen Studio-Session mit Bläsern, sowie einer weiteren Trio-Session. Das Sextett spielte im Februar 1964 etwas über die Hälfte der Platte ein, mit Thad Jones und Frank Strozier und John Gilmore sind drei tolle Bläser dabei, Elvin Jones sitzt am Schlagzeug und Butch Warren spielt Bass. Die Trio-Stücke entstanden im Juni 1963 mit Jimmy Garrison und Albert „Tootie“ Heath. Von der Trio-Session erschienen drei weitere Stücke, je eins auf The Definitive Jazz Scene Vol. 1, Vol. 2 und Vol. 3.
Das Album beginnt mit dem Sextett und „Contemporary Focus“, einem klagenden modalen Tyner-Original. Elvin macht seine Anwesenheit vom ersten Takt an spürbar und treibt die Musik an und soliert am Ende bis zum Fade-Out. Es folgt das Trio mit „Night in Tunisia“, Heaths viel luftigerer Stil wird deutlich spürbar, Tyner konstruiert ein tolles lineares Solo und Heath spielt ein knuspriges, leichtes Solo. Die erste Seite endet mit dem Sextett und Jones‘ „T ’n A Blues“, dessen Highlight ein tolles Gilmore Tenorsolo darstellt. Die zweite Seite beginnt mit „Autumn Leaves“ im Trio. Garrison macht sich übrigens ausgezeichnet in diesem Setting – ich kenne ihn sonst kaum als Trio-Bassist. Die Hälfte der zweiten Seite nimmt dann „Three Flowers“ ein, ein Walzer von Tyner. Über zehn Minuten haben Tyner und die Bläser Zeit, sorgfältige Soli zu konstruierten, getragen von Tyner linken Hand und Garrison, sowie einem dichten rhythmischen Netz, das Elvin Jones spinnt. Thad Jones bläst wie immer, wenn er richtig spielen darf, spannende, harmonisch ungewöhnlich konstruierte und von grossen Sprüngen geprägte Linien; er tut dies mit dem klaren Ton der Gillespie-Schule. Es folgt Strozier mit seinem satten, stimmlichen Sound – einer der grossen verlorenen… Gilmore klingt hier allerdings etwas unsicher. Die abschliessende Ballade „When Sunny Gets Blue“ zeigt, wie weit Tyner seit 1962 (oder 1960!) gekommen ist – eine reife, entspannte Interpretation.
Die drei Bonustracks (die der CD von 1991 beigefügt sind, aber auf der neuen „Verve Originals“ natürlich wieder fehlen) sind allesamt eher kurz, swingende Trio-Nummern, ohne die man nicht sehr viel verpasst. Da ist zuerst der Cole Porter Klassiker „You’d Be So Nice to Come Home To“, Benny Golsons „Five Spot After Dark“ ist ein sehr hübsches Stück und auch der abschliessende zweiminütige „Flapstick Blues“ von Tyner tut niemandem weh. Tyner gelingt es sogar in dieser kurzen Zeit einige schöne Blues-Chorusse zu spielen, das Stop-and-Go-Thema hätte sich durchaus angeboten, in einer ausführlichen Version, vielleicht auch mit Bläsern, gespielt zu werden.

McCoy Tyner Plays Ellington **1/2

Das sechste und letzte Album Tyners für Impulse entstand im Dezember 1964 und ist eine Studie über Ellington mit Latin Perkussion, auf vier der sieben kurzen Stücke (auf der CD folgen noch drei Bonustracks ohne Perkussion). Für mich ein ziemlicher Absacker, auch wenn durchaus schöne Momente vorhanden sind. Elvin Jones muss sich allerdings sehr zurücknehmen, um sich nicht mit den Perkussionisten (Willie Rodirguez und Johnny Pacheco) in die Haare zu kommen. Jimmy Garrison ist für das Fundament und den Zusammenhalt der Musik zuständig – diese swingt einigermassen – na ja, so gut das eben geht mit nervigen Perkussionisten… das ist ja etwas, was ich nie verstand, nervt mich auch bei Lou Donaldson, obwohls dort meist verhältnismässig problemlos gelingt. Tyner perlt zwischendurch nur knapp am Cocktailpiano vorbei, dabei wären doch Ellingtons Stücke durchaus wert, ernsthaft interpretiert zu werden… aber da hätte man vielleicht ein wenig weiter suchen müssen als nur bis „Duke’s Place“, „Satin Doll“, „Solitude“ (das zudem noch im medium-up allzu relaxt durchgestresst wird), „Caravan“ etc. Die ungewöhnlicheren Stücke sind „Searchin'“, ein damals noch nicht aufgenommenes 1959er Stück, das lange „Mr. Gentle and Mr. Cool“, das viel Platz für Garrison bietet, sowie der Closer „Gypsy Without a Song“, von dem noch ein Alternate Take unter den Bonustracks zu hören ist. Die beiden anderen Bonustracks sind dann wieder altbekannte Ellington-Schlachtrösser: „It Don’t Mean a Thing“ und „I Got It Bad“. Letzten Endes ist das Album wohl ähnlich wie „Nights of Ballads and Blues“ eine Art Konzeptalbum… und ist wohl insgesamt auch ähnlich gut, aber ich mag’s doch eine Spur weniger.

zuletzt geändert von gypsy-tail-wind

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