Antwort auf: Chronological Coltrane

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gypsy-tail-wind
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gypsy tail wind
2. Februar 1966: Session im Coast Recorders Studio, San Francisco, CA

Wie schon die Sessions im Herbst 1965 (Seattle und Los Angeles) hat Coltrane auch diese Session selbst produziert. Sie ist insofern besonders, als man Coltrane hier an der Bassklarinette hören kann.
Erstmals erschienen sind zwei der Stücke auf Cosmic Music (Coltrane Recording Corp. CRC AU 4950, später auch als Impulse AS 9148) dann später 1968. Das Album besteht aus zwei längeren Coltrane-Stücken und wurde mit zwei Stücken von Alice Coltrane (am 28. Januar 1968 mit Sanders, Garrison und Ben Riley aufgenommen) gefüllt.
Die ganze Session ist chaotisch, was die Editionsgeschichte betrifft. Aus „Coltrane Reference“ (749f.) geht hervor, dass neben den beiden Stücken von Cosmic Music noch „Peace on Earth“ und „Leo“ aufgenommen wurden. Beide wurden im April 1972 von Alice Coltrane mit Overdubs versehen (Coltrane-harp/org, Charlie Haden-b; string section). Diese Versionen erschienen wie die mit Overdubs versehene Version von „Living Space“ (1965-06-16) auf dem Album Infinity (AS 9225).
Von „Peace on Earth“ entstanden drei Versionen, die originale von 1968, dann eine mit p/b Overdubs (erschienen auf Jupiter Variation, Impulse IA 9360, erschienen 1978), sowie dieselbe mit weiteren Overdubs (strings, von 7:08 auf 8:30 erweitert), die dann eben auf Infinity erschien. Diese Version wurde auch auf der Alice Coltrane CD The Music of Alice Coltrane – Astral Meditations (Impulse IMP 12422 und 951 242-2) wiederveröffentlicht.
Von „Leo“ ist nur die Version mit Overdubs (das volle Programm inkl. strings) je erschienen. „Leo“ erschien zudem später noch auf dem Album Impulse Energy Essentials (3LP, ASD 9228).
Leider kenne ich beide Stücke bisher noch nicht, die „Astral Meditations“ hab ich mir soeben bestellt (ist vergriffen aber noch zu finden). Ob sich das lohnt… die „Infinity“ ist nur für absurde Preise zu finden, leider.

Also, zur Musik: das erste Stück, „Manifestation“, beginnt mit Coltrane am Tenor, ein wunderbares, ekstatisches Solo, Sanders spielt Piccolo, lyrisch, mit grosser Beherrschung (ein Instrument, bei dem das wohl noch schwieriger zu erreichen ist als beim Sopransax!), Alice Coltrane spielt ein eher ereignisarmes Solo, dann folgt noch mal Coltrane, der Platz macht für ein unglaubliches Tenorsolo von Sanders zum Abschluss.
„Reverend King“ ist Martin Luther King gewidmet, Coltrane spielt hier Bassklarinette und weiss von Anbeginn komplett zu überzeugen. Ein hymnisches Stück, wieder mit einem frenetischen Tenorsolo von Sanders, das Coltrane dann auf der Bassklarinette mit schneidendem Ton weiterführt. Sanders stösst wieder dazu, und zum Ende folgt wieder das lyrische Thema. In diese Stück wird auch das tibetisch-buddhistische Mantra „Om mani padme hum“ rezitiert (ich lese hier gerade, dass die „jewel in the lotus“-Übersetzung davon falsch sei).
(Die beiden Stücke von Alice Coltrane sind eine hübsche Ergänzung, aber nicht viel mehr als das… schöner wäre natürlich ein Album mit den vier Stücken von John ohne Overdubs gewesen!)

Habe in der Zwischenzeit wegen des einen zusätzlichen Stückes die CD Astral Meditations – The Music of Alice Coltrane (Impulse 12422, 1999) gekauft… das läuft jetzt grad.
„Peace On Earth“ (8:29) – eigentlich ein schönes Stück, und Hadens Bass stört trotz dem aufdringlichen Mix nicht so sehr, aber die Streicher, Harfe und zusätzliche Perkussion (ich nehme mal an das laute „Geflatter“ ist auch nachträglich gemacht?) sind schon eher nervig. Coltrane spielt ein hymnisches aber doch ziemlich freies Solo, aber die Streicher spielen durch und überdecken auch ihn streckenweise völlig… schade. Der ultimative Teppich, der nicht druntergelegt wird, wie Alice Coltrane das zu Lebzeiten machte, sondern komplett drübergekleistert wird und die Musik darunter zu ersticken droht…
Ich werde also keine grossen Mühen auf mich nehmen, um den vierten Titel, „Leo“, der auch mit Alicens Overdubs verschandelt wurde, auch noch zu kriegen… eher hoffe ich auf das Wunder, dass eines Tages die ganze Session vom 2. Februar 1966 ohne Overdubs auftaucht und veröffentlicht wird!

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