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Winter & Frühling 1965
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Ein weiteres transitional year für Coltrane… die letzten Sessions mit dem Quartett, die Radio-Broadcasts erreichen eine selten erreichte Intensität. Im Mai noch einmal Aufnahmen mit Roy Haynes, im Juni dann der nächste Meilenstein, Ascension. Im Juli Auftritte am Newport Jazz Festival sowie in Europa (Antibes, Paris, Comblain-la-Tour), zurück in den USA im August und September die letzten Quartett-Sessions mit Tyner und Jones, dann die Erweiterung der Band (Pharoah Sanders, Donald Garrett), im Oktober Kulu Sé Mama mit Sanders, Garrett, Frank Butler und Juno Lewis, die zum Quartett stiessen, im November das wunderbare Meditations (das Quartett mit Sanders und Rashied Ali) – die letzten Aufnahmen mit Tyner und Jones überhaupt.
Aber von vorne…
4.-10. Januar: Le Jazz Hot (früher Casa Loma), Montréal, Quebec
12. Januar – 7. Februar: Birdland, NYC
13. Januar: Elvin Jones nahm mit Roland Kirk auf: „Rip, Rig & Panic“ (Limelight)
8.-13. Februar: Pep’s, Philadelphia, PA
16. Februar: Jones nahm mit Paul Chambers und Don Friedman auf: „And Then Again“ (Atlantic)
17. & 18. Februar: das Quartett war zum ersten Mal dieses Jahr im Studio, es entstehen zwei Stücke: „Nature Boy“ und „Feelin‘ Good“ (eine frühe Version von „Chim Chim Cheree“ blieb unveröffentlicht), beide im Quintett mit Art Davis am Bass und mit Coltrane am Tenorsax. Von beiden ist je ein früher Take überliefert. Der frühe Take von „Nature Boy“ (das einzige erhaltene Stück vom ersten Tag) erschien wie der Master Take von „Feelin‘ Good“ zuerst auf dem Compilation Album The Mastery of John Coltrane Vol. 1: Feelin‘ Good, der Master von „Nature Boy“ erschien auf dem Album The John Coltrane Quartet Plays (Impulse AS-85).
„Nature Boy“ ist erneut ein Stück aus dem Songbook von Nat „King“ Cole – es ist äusserst faszinierend, zu hören, wie Coltrane die Linien der getragen gespielten Melodie mit eigenen Linien verschmeltzt. Auch „Feelin‘ Good“ ist ein getragenes Stück, teilweise im Rubato. Art Davis‘ gestrichener Bass verstärkt die ruhige Stimmung.
23. & 25. Februar: Elvin Jones nimmt sein Impulse-Album „Dear John C.“ auf (mit Charlie Mariano, dessen Spiel auf Mingus‘ „The Black Saint and the Sinner Lady“ in Anlehnung an Coltranes sheets of sound als tears of sound beschrieben wird, sehr treffend, wie ich finde).
26. Februar: Tyner nimmt an einer der Sessions für Freddie Hubbards „Blue Spirits“ (Blue Note) teil.
4. März: Tyner nimmt an der Aufnahme von Wayne Shorters „The Soothsayer“ (Blue Note) teil.
8.-14. März: Jazz Workshop, Boston, MA
18. März: weitere Session von Elvin Jones für sein „And Then Again“ (Atlantic), mit Art Davis und seinen Brüdern Hank und Thad.
19. März – 4. April: Half Note, NYC
WABC-FM Broadcasts werden am 19. und 26. März sowie am 2. April ausgestrahlt. Der mittlere ist auf One Down, One Up – Live at the Half Note greifbar.
Tyner wurde ab und zu von Ronnie Mathews ersetzt während diesem Gig.
Diese Broadcasts gehören zu den intensivsten und spannendsten Aufnahmen, die von Coltrane existieren! Sehr, sehr schade, dass Universal sich entschieden hat, nur zwei davon (der zweite auf One Down, One Up stammt vom nächten Half Note Engagement im Mai) zu veröffentlichen!
Am 19. März werden „Chim Chim Cheree“ (Coltrane am Sopran) und „Impressions“ (Tenor) ausgestrahlt, je ca. 20 Minuten kochende Musik. „Chim Chim Cheree“ ist am Anfang nicht vollständig, nach einem längeren Solo von Tyner bläst Coltrane ein Sopransolo, das so wild und suchend ist wie seine Tenorsoli von den diversen europäischen Live-Aufnahmen von 1962 und 1963. Längere Linien lösen sich auch, er spuckt Fragmente aus, einzelne Töne, dann beginnt die Musik wieder zu fliessen, er baut ein Motiv aus, wiederholt es mit kleinen Abwandlungen immer und immer wieder, bis er sich löst, zum nächsten Motiv weitergeht (das vielleicht nichts anderes als ein kurzer Triller ist)… unglaublich toll! „Impressions“ beginnt mit einem unbegleiteten Bass-Solo (von dem ein Teil fehlt).
Der zweite Mitschnitt vom 26. März bietet erneut zwei lange Stücke, diesmal in bedeutend besserer Qualität (von einem „high quality dub“, den Alan Grant, der Moderator/Produzent der Radio-Broadcasts Coltrane von jedem Mitsschnitt übergeben habe – anscheindend haben die vom 19. März und 2. April nicht überlebt, was wiederum die Auswahl für die Doppel-CD One Up, One Down erklären dürfte).
Zum Auftakt gibt’s das grossartige Titelstück, gewissermassen „Chasin‘ the Trane“-reloaded – nur dass das hier noch besser, noch fesselnder, noch unglaublicher ist! Über 27 Minuten und das ganze ist ein einziges Coltrane-Solo, zuerst mit Tyner, dann im Trio, und schliesslich im Duo mit Elvin Jones. Laut Alan Grant hat das Stück total 65 Minuten gedauert – in seiner Absage (er muss auch mal kurz Lachen – wohl aus schierem Unglauben über das eben gehörte) sagt er: „This tune started at twenty minutes before eleven. And it’s [now] fifteen minutes before [midnight]“.
Mehr kann und will ich dazu gar nicht sagen, Ashley Kahn und Ravi Coltrane machen das besser als ich es könnte (in den Liner Notes der CD, die sowieso in jede anständige Jazz-Sammlung gehört!). Das zweite Stück ist dann nur 13 Minuten lang, „Afro Blue“, das am Ende abbricht, weil die Radio-Sendung zu Ende ist. Tyner, Garrison und Jones setzen den Groove, Coltrane soliert auf dem Sopran, flüssiger, linearer als auf „Chim Chim Cheree“ von der Vorwoche, näher am Spiel, wie man es von „My Favorite Things“ kennt, aber doch äussrst intensiv. Leider ist er am tiefsten im Mix und teilweise nicht so gut zu hören (das ist auch bei „One Down, One Up“ so).
28. März: Das Quartett spielte am Sonntagnachmittag zusätzlich im Village Gate, als Teil eines „Jazz Concert to Aid Harlem Repertory School“.
Neben Coltranes Band traten auf: Cecil Taylor, Archie Shepp, Grachan Moncur III, Sun Ras Myth-Science Arkestra, Albert Ayler, Charles Tolliver, Bobby Hutcherson und Betty Carter. Impulse schnitt die Konzerte mit, von Coltrane erschien auf dem resultierenden Album The New Wave in Jazz (AS-90) das Stück „Nature Boy“ (auch als Bonus Track auf der Impulse Master Sessions CD von The John Coltrane Quartet Plays, die 1997 erschienen ist. Zudem spielte Coltranes Gruppe „One Down, One Up“ – und wie ich grad zum ersten Mal feststelle, ist dieses Stück auf dem sonst wohl ziemlich überflüssigen 4CD Set Coltrane Legacy von 2002 erschienen. Crap! Nochwas, was ich haben muss, und erst noch nur wegen einem Stück (oder gibt’s darauf noch andere Raritäten? So herum lässt sich das leider anhand von „Coltrane Reference“ nicht ohne riesigen Aufwand bewerkstelligen… man müsste die ganze Diskographie nach dieser Veröffentlichung absuchen, und die Diskographie ist vom Layout her ziemlich übel unübersichtlich geraten… laut der Beschreibung auf amazon.fr ist dieses Stück das einzige unveröffentlichte – sowas sollte verboten sein!).
Anyway, „Nature Boy“ klingt hier harter, fordernder als die Studio-Aufnahme, dieses Zusammenfallen der Linien ist hier nicht mehr zu beobachten, Coltrane geht das ganze mindestens einen Gang hören an und spielt ein ziemlich intensives Solo.
Der dritte Broadcast aus dem Half Note fand dann am 2. April statt. Die Aufnahme dauert etwas länger und beginnt mit einem über 23 Minuten langen „untitled original“ (das laut meinen Infos auch als „Creation“ bekannt sei – in „Coltrane Reference“, 721, heisst es dazu: „Coltrane interpolates the theme of ‚Vigil‘ [65-0616 {c.} during the course of his solo. Titled ‚Creation‘ on some releases, although the composition appears to have been untitled]), es folgt ein viertelstündiges „I Want to Talk About You“ sowie eine unvollständige nicht ganz sechsminütige Version von „Afro Blue“.
Das „untitled original“ ist mal wieder eine äusserst intensive Angelenheit, leider in ganz schlechter Qualität (wie überhaupt dieser Broadcast).
Am 31. März nahm Elvin Jones an der letzten Session mit dem Trio Grant Green-Larry Young-EJ teil, auf der zudem Hank Mobley mitspielte – das Resultat: Greens „I Want to Hold Your Hand“ (Blue Note).
Im April nahm Jones zudem eine verlorene (vermutlich ein Opfer des Atlantic warehouse fire… das war ja schon tragisch genug, aber dass sich das vor kurzem bei Universal noch wiederholen konnte!?! Unglaublich!) Session als Leader auf für Atlantic, mit Freddie Hubbard, Charles Davis, Tyner und Art Davis.
7.-18. April: Plugged Nickel, Chicago, IL
Ein Buck Walmsley schrieb eine Kritik für die Chicago Daily News (9. April 1965, S. 37, zit. nach „Coltrane Reference“, 321f.), in der er meint, mehr als ein 45-minütiges Set pro Abend könne man von dieser Musik nicht hören: „If it lasts longer than that, we lose interest and the ability to concentrate.“ Die Balladen findet er unproblematisch, Coltrane habe einen der schönsten Töne, der je eine Ballade liebkost habe, auch Tyner, Garrison und Jones gefallen ihm, aber: „It is the up-tempo item which causes us to lose interest. Coltrane […] starts running his notes together, repeating his phrases over and over again with just minor variations. There are honks and squeaks, attempts at sounding two notes at a time, and reaches for harmonics. For short periods of time it is technically fascinating, but the individual notes soon become blurred and all that is left is a dull, steady sound cluster.“
4.-9. Mai: Half Note, NYC
Am 7. Mai fand erneut eine „Portraits in Jazz“-Sendung mit Alan Grant (WABC-FM) statt. Sie ist auf der zweiten CD von One Down, One Up zu hören. Wieder wurden zwei lange Stücke mitgeschnitten: „Song of Praise“ (das zehn Tage später in einer sehr viel ruhigeren Version im Studio eingespielt wurde) und „My Favorite Things“. „Song of Praise“ beginnt mit Coltrane, zuerst in der lyrischen Stimmung, dann aber rasch in einem medium-up Tempo, das von Jones vorwärtsgetrieben wird… toll, wie er Tyners Solo begleitet! Es folgt dann „My Favorite Things“, die ersten fünf Minuten folgen fast Ton für Ton der Studio-Aufnahme, sehr verblüffend… dann folgt Tyners energetisches Solo, wieder mit toller Begleitung durch Jones, und dann Coltrane… noch immer verblüffend, nach viereinhalb Jahren und wohl ca. zwei Dutzend Aufnahmen, die ich mir in den letzten Wochen davon angehört habe!
Am 11. Mai hätte das Quartett im Jazz Workshop, San Francisco, CA, anfangen sollen – der Auftritt wurde abgesagt. (Tyner wurde Vater und wollte nicht weg aus NYC.)
17. Mai: Das Quartett nahm den grossen Teil des Albums The John Coltrane Quartet Plays (AS-85) auf, das damit vollendet wurde: „Chim Chim Cheree“, „Brasilia“ und „Song of Praise“.
Das erste ist ein weiterer Walzer mit Sopransax, der aber von der ungleich dichteren Rhythmusgruppe lebt – da hat sich seit Oktober 1960 einiges getan! Das Stück war eins der letzten Sopransax-Features, die Coltrane erarbeitet hat, und die konzentrierte Studio-Aufnahme (man kann ahnen, wie das Stück live ausführlicher geraten könnte) zeigt auch eindrücklich, mit welcher Meisterschaft Coltrane das widerspendstige Horn mittlerweile beherrschte.
„Brasilia“ ist ein Stück, das zum ersten Mal Ende 1961 auf den Village Vanguard Sessions auftaucht, es beginnt mit einem dramatischen Rezitativ auf dem Tenor, begleitet nur von Jones. Dann entwickelt es sich zu einem intensiven modalen „burner“. Das Rubato vom Anfang wird ausnahmsweise nicht aufgregriffen, sondern Coltrane löst den Rhythmus mehr und mehr auf am Ende, aber Jones und Garrison bleiben schön im Takt… die Reibungen, die hier entstehen, deuten wohl in die nahe Zukunft. Zum Abschluss der Session wurde noch das hymnische, lyrische „Song of Praise“ eingespielt. Es beginnt mit einem wunderbaren Bass-Solo von Garrison, dem es über fast vier Minuten gelingt, eine Spannung aufzubauen, die Coltrane dann mit dem hymnischen Thema wieder auflöst. Das Stück setzt an einem ähnlichen Ort an wie der „Psalm“ am Ende von A Love Supreme.
18.-31. Mai: Bohemian Caverns, Washington, DC
26. Mai: Impulse-Session mit Roy Haynes an Jones‘ Stelle.
Die letzte Session mit Roy Haynes an Jones‘ Stelle – ein Stück davon landete auf dem Album Transition (AS-9195), zwei weitere auf der Compilation The Mastery of John Coltrane Vol. 2: To the Beat of a Different Drum (IZ-9346-2), auf der alle Impulse-Aufnahmen von Coltranes Quartett mit Haynes gesammelt wurden.
Schon beim ersten Stück „After the Crescent“ wird Haynes durchsichtigeres, aber keinesfalls weniger komplexes Spiel deutlich hörbar. Er treibt Coltrane auf eine weniger relaxte Art mindestens so sehr an, wie Jones. Das Stück gehörte einst zu einer Suite, zu der auch „Crescent“ und „Transition“ gehörten. Das zweite Stück, „Dear Lord“, erschien als erstes dieser Session auf dem Album Transition. Das Thema gehört zu den schönsten von Coltrane, er spielt es mit einem strahlenden Ton (wie jetzt üblich auf dem Tenor – live holte er das Sopran noch immer hervor, aber im Studio wurde es nur noch selten gehört). Das Thema hätte das Zeug dazu gehabt, ein Standard zu werden, wenn es damals schon erschienen wäre! Und irgendwie bilde ich mir stellenweise ein, wenn Coltrane die langen, gehaltenen Töne bläst (und Tyner harmonisch dicht begleitet), dass z.B. auch Dexter Gordon es sehr gut hätte spielen können (und dann denk ich natürlich gleich auch, hier mal wieder eine Spur Dexter in Coltranes Spiel zu hören… wer weiss). Im 8CD-Set The Classic Quartet gibt’s zusätzlich einen Alternate Take und davor einige Breakdowns.
Es folgt das dritte und letzte Stück der Session, „One Down, One Up“ – viel kürzer als die Live-Version, aber auch sehr intensiv. Coltrane suggeriert mit seinem Singsang-Thema eine 8-taktige Form, die er bis fast ans Ende seines Solos durchhält. Tyner spielt ein sehr intensives Solo – er klingt fast nach dem „reifen“ (post-Coltrane) Tyner hier. Dann nochmal Coltrane für ein ausführliches „second helping“ (das Stück dauert immerhin über 15 Minuten!), und mittlerweile ist Haynes richtig gut drauf – unglaublich, was der zusammentrommelt! Und im Gegensatz zu Elvin (der eben so laidback war, dass er noch beim kompliziertesten Spiel gähnen konnte) hat man bei Haynes stets das Gefühl, er sitze auf Nadeln, auf der Stuhlkante, bereits zum Sprung… toll!
31. Mai – 5. Juni: Pep’s, Philadelphia, PA
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Damit endet meine Coltrane-Beschäftigung für heute… im Sommer 1965 spielte Coltranes Quartett in Newport, in Antibes und Paris, sowie in Belgien (Comblain-la-Tour), das und weitere Studio-Sessions von 1965 folgen im nächsten Post.
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