Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Blue Note – das Jazzforum › Chronological Coltrane › Antwort auf: Chronological Coltrane
Europa-Tournee, Herbst 1962
—
Der Ablauf:
17. November: Olympia, Paris (18:00 und Mitternacht)
18. November: Volkshaus, Zürich
19. November: Konserthuset, Stockholm (19:00 und 21:15)
20. November: Kulttuuritale, Helsinki
21. November: Njardhallen, Oslo
22. November: Falkoner Centret, Kopenhagen (20:00)
23. November: Robert-Schumann-Saal, Düsseldorf (20:00)
24. November: Audimax, FU Berlin (20:00)
25. November: Musikhalle, Hamburg (17:00)
27. Novmeber: Grosser Konzerthaussaal, Wien (17:45 und 20:30)
28. November: Grosser Stefanien-Saal, Graz (19:30)
29. November: Kongress-Saal, Deutsches Museum, München (20:00)
30. November: Kongresshalle, Frankfurt am Main (20:00)
1. Dezember: Kurhaus, Scheveningenn (20:15)
1. Dezember: Concertgebouw, Amsterdam (Mitternacht)
2. Dezember: Teatro dell’Arte, Mailand (16:30 und 20:30)
:: . :: . ::
Die Aufnahmen von Paris am 17. November sind einmal mehr ein diskographisches Desaster, die Angaben in der Live Trane Box sind auch hier teilweise falsch. Laut David Wild (der übrigens, das sehe ich gerade, wieder eine Website hat: http://www.wildmusic-jazz.com/ stammt CD3 #1 vom 1. Konzert und CD2 #4-7 vom 2. Konzert (während CD3 #3-4 in Wahrheit von Stockholm un dem 19. November stammen).
„The Inch Worm“ und „Everytime We Say Goodbye“ fanden sich schon auf dem Pablo-Album The Paris Concert, zudem gibt’s eine schöne Version von „Bye Bye Blackbird“ mit einem langen Bass-Solo von Jimmy Garrison, und ein tolle Version von „Mr. P.C.“ in der Live Trane Box. Auf Bootleg existieren diverse weitere Stücke (ich besitze nicht alles, was von diesen beiden Konzerten angeblich existiert), u.a. zwei Versionen des traditionellen Closers „My Favorite Things“, eine fast 20-minütige Version von „Traneing In“, „Naima“ (jetzt ohne Dolphy, im neuen Arrangement gibt’s ein kurzes Klaviersolo, dann Coltrane) und weitere Versionen von „Blackbird“ und „Inch Worm“.
Was genau auf welchen zirkulierenden Bootlegs zu hören ist und in welcher Reihenfolge die beiden Konzerte abliefen ist nicht mehr rekonstruierbar.
:: . :: . ::
Das Konzert vom 18. November in Zürich wurde in der NZZ besprochen. Nachher ging Coltrane anscheinend in den Klub (das „Africana“, vermute ich), in dem das Dollar Brand Trio gespielt hat. Ellington (den angeblich Brands Frau und die Sängerin des Trios, Bea Benjamin, vom Flughafen zum Konzert gezerrt habe) ermöglichte dann die erste Aufnahme.
:: . :: . ::
Zwei Tage nach Paris entstanden in Stockholm am 19. November erneut Aufnahmen. Davon ist auf Live Trane einiges zu hören: vom 1. Konzert CD3 #4-5 und CD4 #1 (Mr. P.C., Naima, Traneing In), vom 2. Konzert CD3#3 und CD4 #2-3 (The Inch Worm, Bye Bye Blackbird, Impressions). Die beiden Konzerte waren sehr lange, hier die Setlisten aus „Coltrane Reference“ (S. 663 bzw. 664):
a. Bye Bye Blackbird (14:14)
b. The Inchworm (5:50)
*c. Mr. P.C. (15:11)
*d. Naima (9:20)
*e. Traneing In (18:40)
f. Impressions (7:16)
f. My Favorite Things (21:03)
*a. Bye Bye Blackbird (17:58)
*b. The Inchworm (7:04)
c. Naima (6:55)
d. I Want to Talk About You (6:49)
*e. Impressions (7:52)
f. Mr. P.C. (17:58)
g. My Favorite Things (25:20)
h. Everytime We Say Goodbye (4:47)
i. Traneing In (16:55)
*) diese Stücke sind auf Live Trane enthalten
„Bye Bye Blackbird“ und „Traneing In“ war zuvor auf dem Pablo-Album Bye Bye Blackbird zu finden (die CD enthielt auch bloss diese beiden Stücke).
„Naima“ vom zweiten Konzert klingt nicht mehr sehr nach Ballade, Elvin Jones gibt Vollgas und Coltrane spielt ein zwar in der Stimmung lyrisches aber doch ziemlich intensives Solo. Das kurze „I Want to Talk About You“ verläuft ähnlich. Dann folgt „Mr. P.C.“ und wie bei allen Blues-Nummern, die Coltrane in dieser Zeit gespielt hat (P.C., Blue Train, Traneing In, ab und zu Chasin‘ the Trane) spielt Coltrane ein langes, man könnte sagen suchendes, Solo und die Rhythmusgruppe kocht schon nach wenigen Takten. „My Favorite Things“ ist grandios, sehr schade, dass diese Version in der Box fehlt! Müsste mir wohl meine eigenen Box-Sets zusammenstellen, um das alles ohne dauernd die CDs zu wechseln komplett hören zu können (das mach ich nicht, höre die Musik nicht ganz in der richtigen Reihenfolge in den Fällen, in denen einiges auf der 7CD-Box ist und anderes nicht). Auf „Traneing In“ hat Jimmy Garrison ausführlich Raum, er spielt zuerst mit dem Bogen, dann geht sein Solo „walkend“ zu Ende, während Elvin Jones die Temperatur schon wieder langsam erhöht… und dann nochmal Coltrane!
Von „I Want to Talk About You“ existiert eine Video-Aufnahme vom Schwedischen Fernsehen, von einem Balkon aus gemacht – kann man sich hier anschauen. (Es steht dort, die Aufnahme sei von einem Zuschauen gemacht worden, das ist falsch – sie wurde für die monatliche Jazz-Sendung Trompeten gemacht und am Freitag 30. November 1962 ausgestrahlt. Es Existiert zudem insgesamt 1:25 „backstage footage“ – u.a. Jones am Kit aufstellen, Garrison am Krawatte binden, Simon Brehm [Produzent von Trompeten] am Coltranes Zigarre anzünden, sowie kurze Auschnitte aus dem Konzert – alles ohne Ton, hab ich auch nie gesehen, soweit ich mich erinnern kann. In „Coltrane Reference“ wird vermutet, dass es sich dabei um Bildmaterial für einen News-Beitrag über dieses Konzert handle. Quelle: „Coltrane Reference“, 664f.)
:: . :: . ::
Am 20. November in Helsinki entstand die nächste Aufnahme. Die Setliste wurde auf dieser Tour weniger variiert als auf derjenigen von 1961, aber es ist für mich dennoch ein grosses Vergnügen, diese Dokumente anzuhören, auch wenn immer wieder „My Favorite Things“, „Impressions“, „The Inchworm“ oder „Bye Bye Blackbird“ gespielt werden.
Die Reihenfolge meiner Aufnahme stimmt überhaupt nicht mit der Reihenfolge in „Coltrane Reference“ (666) überein… bei mir beginnt’s mit „Traneing In“, langes Piano- und Bass-Solo, Garrison ist noch nicht so agil (und eindrücklich) wie später, als er seine Solo-Bass-Intros (z.B. für „Impressions“) zupft und seine „Flamenco-Licks“ spielt, aber doch sehr schön, ihn ausführlich zu hören – im Studio war er ja sehr zurückhaltend und auch bei seinen wenigen Soli keineswegs darauf aus, technisch zu brillieren. „Bye Bye Blackbird“ beginnt mit einem sehr langen Coltrane-Solo – das Stück ist ja ein leftover von Miles, das auch auf der berühmt-berüchtigten Tour im März/April 1960 regelmässig gespielt wurde.
Das Zwiegespräch von Coltrane und Jones wird immer dichter… das sollte sich über die Jahre soweit entwickeln, dass Tyner und Garrison oft über lange Strecken aussetzten, hie und da wurde auch ein Stück im Duo gespielt, einmal auch auf einer Impulse-Session im Studio („Vigil“, 1965-06-16, das Stück erschien auf dem Album Kulu Se Mama). „Mr. P.C.“ bringt eine weitere lange Exkursion in Sachen Blues. Dann folgt „The Inchworm“ auf dem Sopran, „I Want to Talk About You“ auf dem Tenor (interessant, das ist mal ein Stück, das kürzer wurde – die 1958er Studio-Aufnahme auf Soultrane dauerte noch beinahe 11 Minuten). Dann zum Abschluss eine leider unvollständige Version von „My Favorite Things“.
:: . :: . ::
Am 22. November spielte das Quartett in Kopenhagen, auch hier war das Dänische Radio dabei, um das Konzert mitzuschneiden.
Die Setlist ist ähnlich: „Blackbird“, dann eine Überraschung: „Chasin‘ the Trane“ (nur 7:30 aber auch im Trio ohne Piano), „The Inchworm“, „Everytime We Say Goodbye“, „Mr. P.C.“, „I Want to Talk About You“, „Traneing In“, „Impressions“, „My Favorite Things“ (inc).
Die Musik ist ähnlich wie zwei Tage zuvor in Helsinki, aber die Qualität der Aufnahme besser – macht dementsprechend mehr Spass! Man hört Garrisons Solo in „Blackbird“ ziemlich gut. „Chasin‘ the Trane“ ist einmal mehr unglaublich gut! Schade, dass es nicht doppelt oder dreimal so lange dauert!
„I Want to Talk Abou You“ (das schon am 20. November 8:30 gedauert haben soll, eine Aufnahme davon scheint nicht zu existieren) dauert hier über 11 Minuten und wird zum ersten Mal (?) mit einer langen Sax-Kadenz von Coltrane abgeschlossen (ca. 3:30 dauert allein die Kadenz).
:: . :: . ::
Aus Graz, wo das Quartett am 28. November gespielt hat, ist auf zwei CDs („The Complete Graz Concert“, Charly CPCD 8262-2) vermutlich das ganze Konzert erhalten, mitgeschnitten vom ORF.
Hier dauert „I Want to Talk About You“ fast 14 Minuten (die Kadenz wieder ca. 3:30, d.h. das Stück wurde länger), und auch „My Favorite Things“ (23:30), „Impressions“ (21), „Bye Bye Blackbird“ (ca. 23:30) und „Mr. P.C.“ (19:30) sind sehr lange, selbst „The Inchworm“ (12:30) ist hier länger als üblich, nur „Everytime We Say Goodbye“ bleibt mit 7 Minuten kurz, und dazu gibt’s – mal wieder eine Überraschung in der Setliste – „Autumn Leaves“ (ca. 10:30).
Von diesem Konzert ist übrigens in den letzten Wochen ein 1CD-Bootleg mit dem Titel „The Inchworm“ aufgetaucht. Davon rate ich ab… wer das hören will, soll sich „The Complete Graz Concert“ (Charly CPCD 8262-2) besorgen! Auch auf der Magnetic Version (MRCD 104/105) fehlte ein wenig was („My Favorite Things“ war unvollständig). Andererseits braucht auch die Charly-Ausgabe mal eine Korrektur, was die Geschwindigkeit betrifft (laut „Coltrane Reference“, 669, laufen „Mr. P.C.“ und „I Want to Talk Abou You“ zu langsam und „My Favorite Things“ ist fast einen Halbton zu hoch, also zu schnell).
Dieses Konzert gehört für mich zu den besten! Die Qualität der Aufnahme ist ansprechend (ab und zu scheint jedoch Garrison zu verschwinden), und das ganze ist ziemlich ausführlich – wenn man nur ein Dokument dieser 1962er Tournee haben will, würde ich das hier ohne zu zögern empfehlen! Mit „Autumn Leaves“ ist zudem eine gewisse Spontanität in der Setlist da, und schön ist auch der Auftakt zu „I Want to Talk About You“ (das hier auch die mittlerweile übliche lange Solo-Kadenz am Ende enthält), Tyner klimpert etwas, und Coltrane greift das auf, um das Stück mit einer kurzen Solo-Kadenz zu eröffnen. Zudem dauert „Impressions“, das Stück, auf dem Coltrane am suchendsten, am wildesten zu spielen schien auf dieser Tour, hier nicht 7-8 Minuten sondern ganze 20! Ein unglaublicher Parforce-Ritt, den Coltrane da hinlegt! Zum Abschluss dann noch „My Favorite Things“ auf Speed (mich dünkt hier hört man echt, dass es viel zu schnell läuft).
:: . :: . ::
Das letzte Konzert, von dem Aufnahmen exisiteren, fand dann am 2. Dezember im Teatro dell’Arte in Mailand statt. Erhalten sind nur vier Titel, zusammen nicht einmal 33 Minuten. In ziemlich übler Qualität gibt’s noch einmal „Everytime We Say Goodbye“, „The Inchworm“, ein längeres „Mr. P.C.“, sowie zum Abschluss nochmal „Chasin‘ the Trane“ (leider nur gut 4 Minuten und unvollständig).
:: . :: . ::
Damit endet eine tolle Tour. Ich bilde mir ein, zu hören, wie sich das Spiel der Gruppe hier konsolidiert. Und speziell bei Garrison scheint mir, dass seine Soli (v.a. in „Mr. P.C.“ und „Traneing In“) immer länger und sicherer werden, streckenweise gehen seine „double stops“ schon fast in die später so eindrücklichen Flamenco-Licks über. Jones ist in voller Fahrt, zu diesem Zeitpunkt hatte der sein Vokabular beisammen und ist für mich der grösste Drummer jener Jahre!
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba