Antwort auf: Chronological Coltrane

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gypsy-tail-wind
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Oktober 1960: die Atlantic-Sessions

Die Highlights sind viele… das unglaublich frische Spiel von Tyner, Elvin Jones, der bereits einen zwar feinen aber doch dichten Teppich aus Rhythmen legt. Die Arrangements sind noch immer so durchdacht wie auf Giant Steps oder Coltrane Jazz, aber die Ausführung wirkt offener, freier, gelassener, leichter – was natürlich trügt, aber genau das ist ja die Kunst!

:: 21. Oktober 1960 (13:00-17:30) ::

Am ersten Tag entstehen zwei Takes des über ein Ostinato konstruierten Village Blues sowie der grosse Hit My Favorite Things (mehr dazu hier). Takes von Equinox und The Night Has a Thousand Eyes sind wohl verloren. Village Blues wurde als erstes Stück dieser Sessions im Februar 1961 auf „Coltrane Jazz“ veröffentlicht, gemeinsam mit den Sessions vom November und Dezember 1959).

:: 24. Oktober 1960 (13:00-17:30) ::

Am 24. Oktober wurde dann in zwei Sessions (14:00-18:30 und 19:30-24:00) eine unglaubliche Menge an grossartiger Musik aufgezeichnet – Coltrane war eindeutig bereit! Und die wilden letzten Wochen mit Miles haben sein Spiel wohl noch einmal weitergebracht im Vergleich zu den Sessions von 1959. Am 24. begann das Quartett mit der bezaubernden Ballade Central Park West, die einmal mehr die Changes von „Giant Steps“ aufgriff. Coltranes Sopran klingt hier voller und weicher als üblich. Mr. Syms zeigt Coltrane auf dem Sopran in einem langsamen, harmonisch gepimpten (jaja, wir Kinder von MTV und Red Bull) Blues, wunderbar relaxt. Bei Exotica folgt dann wieder ein ausgeklügeltes Arrangement, in dem grosse Teile der Bass-Begleitung irgendwie fixiert scheinen, Tyner lasst Coltrane stellenweise allein über b/d solieren, sehr schön die Verbindung von fast statischer Begleitung mit dem treibenden Sopransax. Summertime dann wird auf dem Tenor in einer Härte dargeboten, wie ich sie sonst kaum für dieses Stück kenne – hier klingt zumindest im Thema sogar das Tenorsax nasal! Der A-Teil wird teilweise wieder über Pedal Points dargeboten und von Jones‘ tollen Rhythmen ausgefüllt. Coltrane ist unglaublich hier! Sein Solo klingt wie eine Kurzfassung der vielen ausufernden Soli, die er im März/April noch mit Miles gespielt hat. Body and Soul dann wird solistisch fast ganz von Tyner getragen, Coltrane beschränkt sich auf eine meisterliche Präsentation des Themas – auf dem Niveau von Coleman Hawkins? Jawoll, genau da! Eindrücklich, was für einen Weg er seit 1956 oder 1957 zurückgelegt hat!
Das Trio nahm dann ohne Coltrane noch Lazy Bird (kann man sich kaum vorstellen, dass Coltrane sich nochmals an diesem alten Stück versuchen wollte!) und In Your Own Sweet Way auf – die Stücke erschienen 1976 auf Atlantic SD 1696 mit je zwei Stücken von Chick Corea, Keith Jarrett und Herbie Hancock (die im Gegensatz zu Tyners Stücken schon zuvor veröffentlich worden waren).

Nach dem Essen (vielleicht hat Coltrane ja stattdessen geübt?) ging’s weiter mit Mr. Knight – Elvin Jones ist hier unglaublich! Das Ostinato, das jeweils für ganz kurze Momente (Takte 9-10 meistens?) in ein swingendes 4/4 durchbricht ist toll und gibt Elvin sehr viel Raum. Dann folgt Elvins Blues to Elvin, dessen Entstehung man anhand von drei Takes und einem Breakdown nachvollziehen kann – bemerkenswerterweise wird das Tempo stets langsamer, der Groove immer fetter. Für mich eins der Highlights von diesen Sessions! Und wieder findet sich hier eine ganz einfache, sparsame, aber sehr effektive Basslinie, die Elvin und Tyner Raum für Ausschmückungen und Kommentare lässt. Das Stück stammt übrigens aus der Feder von Elvin Jones. Wie Coltrane Blues-Klischees reiht, „schmutzige“ Sounds produziert und das ganze zu einem kohärenten Statement formt gefällt mir ausserordentlich, und es lässt wohl seine Lehrjahre bei „Cleanhead“ anklingen, und besonders die Zeit bei Earl Bostic, von dem er ja einiges an nicht-akademischer Spieltechnik gelernt hat (hier)
Es folgen drei weitere Blues: Mr. Day ist wohl kein allzu entfernter Verwandter von „Mr. Knight“. Ähnlich wie dieses Stück ist es um ein Ostinato herum gebaut ist, Coltrane stürmt mit viel Energie durch sein Solo, nimmt sich zwischendurch etwa zurück, um selber statische Linien auszuprobieren, aus denen er dann neuen Schwung holt – dies ist das letzte Stück mit Tyner, der Rest der Session fand im Trio statt. Da ist zuerst grad ein weiteres Highlight der Sessions, Blues for You, ein mittelschneller Blues (mit Walking Bass, für einmal, geht ja im Trio auch kaum anders), in dem Coltrane (am Tenor) aus einem schier endlosen Reservoir von Ideen zu zehren scheint. Unglaublich! Fast ist man versucht, zu sagen dies sei ein Ausblick auf „Chasin‘ the Trane“ von den Village Vanguard Sessions ein Jahr später! Es gibt davon drei komplette Takes, und – die Welt ist wieder in Ordnung! – das Tempo nimmt von Take zu Take zu. Der Master Take ist unglaublich toll!
Dann folgt der letzte Blues des Tages (und des Blues-Albums), Blues to Bechet, eine Widmung an den grossen Alten Meister des Sopransaxophons, Sidney Bechet. Der wunderbare midtempo-Blues wird vom soliden Walking Bass von Davis getragen, Elvin umspielt den Beat, füllt, swingt unglaublich. Coltrane spielt natürlich Sopran und konstruiert ein Solo, das ans Tenorsolo auf „Blues to Elvin“ erinnert. Zum Ende dieser Aufnahme-Session gibt’s das echte Satellite, ein Thema, das geschickt mit Doubletime arbeitet und dann im schnellen Tempo ein weiteres tolles Tenorsolo von Coltrane bringt.

:: 26. Oktober 1960 (13:00-17:30) ::

Der dritte Tag begann mit Everytime We Say Goodbye, einem Stück von Cole Porter, das auf dem Sopransax präsentiert wird, wieder im Rahmen eines geschickten, teilweise mit Pedal Points operierenden Arrangements. Elvin Jones spielt mit Besen, fürs Pianosolo geht’s in Doubletime, aber ohne die Stimmung im geringsten zu brechen – sehr schönes Solo von Tyner!
26-2 führt dann in nostalgischere Gefilde zurück, es beruht auf Charlie Parkers „Confirmation“ (das Coltrane auf dem Jazz West Album unter Paul Chambers Leitung 1956 aufnahm). Das abschliessende Thema wird dann auf dem Sopran gespielt. Es folgt ein weiterer Standard, But Not for Me, klingt hier etwas ruhiger und geordneter als in der Juni Live-Version, die ich heute mittag gehört habe. Was bei diesen beiden Stücken auffällt, die ganz ohne Ostinati auskommen: Tyner klingt sehr leicht, wenn er die linke Hand nicht ganz so stark braucht, sehr lyrisch… ein Touch Bill Evans ist da bestimmt drin, aber auch diese perlenden Läufe von Red Garland. Tolles Solo!
Weiter geht’s mit Liberia – zum ersten Mal wird ein Thema im Rubato (also ohne festes Metrum) präsentiert… dann verfestigt es sich und entpuppt sich als ein Verwandter von Dizzy Gillespies „A Night in Tunisia“. Das Stück wird wie Dizzys Klassiker durch Passagen mit Latin Beat (und Pedal Point) unterbrochen, Coltrane soliert grandios, absolut sicher und sehr beweglich. Elvin Jones gibt auch ziemlich gas. Ich überlege mir grad… ist es das Tenorspiel, das „Coltrane’s Sound“ vielleicht zum besten dieser drei Alben macht? Mit „Equinox“ und „Central Park West“ enthält es zwei meiner allerliebsten Coltrane-Kompositionen, dazu „Liberia“, das grossartige „Body and Soul“, „Satellite“, und zu guter letzt auch noch „The Night Has a Thousand Eyes“, ein weiteres Highlight von Coltranes Atlantic-Sessions! Das einzige Sopranstück ist gerade nichts eins der nasalen Röst-Stücke (die ich auch mag, aber wenn ich Coltrane denke, denke ich immer zuerst ans Tenor!)
Anyway, weiter geht’s mit The Night Has a Thousand Eyes, einem Standard in dem wieder zwischen Teilen mit einem Latinbeat mit Pedal-Bass und swingendem 4/4 hin und her gewechselt wird.
Und schliesslich zum Ende, vor einer Pause von über sechs Monaten, ein absolutes Juwel: Equinox. Mit einem hübschen kleinen Intro, aber kaum beginnt das Thema, wird’s ernst. Einmal mehr zeigt Coltrane, dass er ein grosser Blues-Spieler ist. Das Thema beruht auf einem leicht abgewandelten Standard-12-Takte-Schema, der Bass spielt ein sehr schönes Ostinato, und Coltrane lässt sich Zeit, konstruiert über viele Chorusse ein unglaubliches Solo.

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