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Wilbur Harden ist einer der unbekannten Grössen, des Hardbop, ein äusserst flüssiger, lyrischer Trompeter, der zu meinen Lieblings „stars of the second (oder wohl eher third) row“ zählt!
Mit Coltrane hat er im Jahr 1958 sowohl für Savoy als auch für Prestige aufgenommen. Die Savoy-Sessions wurden 1999 in einem schönen 2CD-Set gesammelt neu aufgelegt (davor erschienen sie mehrmals auf LP, zuerst unter Hardens Namen, dann später mit anderen Titeln unter Coltranes).
Eine Diskographie von Harden findet sich hier:
http://www.jazzdiscography.com/Artists/Harden/index.html
Wie Ihr sieht, hat er neben den Sessions mit Coltrane vor allem mit Yusef Lateef aufgenommen, zwei Savoy Sessions und eine lange für Prestige (aus der gleich zwei Alben resultierten). Für Savoy hat er zudem auch noch ein Album in der seltenen Quartett-Besetzung (Trompeter machen das leider eher selten, ohne andere Bläser ein Album aufnehmen, hätt ich gern mehr davon!) „The King and I“ aufgenommen.
Die Sidemen auf den Sessions mit Coltrane sind teils bekannte Leute, die schon auf früheren Coltrane-Sessions gespielt hatten, aber auch ein paar neue Namen tauchen auf (die sonst nicht in der Coltrane-Diskographie erschienen).
Die Musik wurde fast ausschliesslich von Harden komponiert – wohl speziell für diese Sessions. Die Stücke wurden auch sonst nie (oder äussert selten) wieder aufgegriffen. Sie sind im Vergleich mit dem üblichen Ausgangsmaterial von solchen 50er Jam-Sessions sehr vorsichtig und mit einem Auge für Details gemacht und müssen wohl auch massgeblich zu unserem lückenhaften Bild von Harden beitragen.
Aber ob die Alben wirklich so sorgfältig produziert worden sind, wie der Wiki-Eintrag behauptet, wage ich jetzt mal zu bezweifeln. Ozzie Cadenas Approach hat sich meines Wissens nicht allzu stark von jenem von Bob Weinstock unterschieden, und er hat sich auch oft – auch hier – erfrecht, sich selbst als Co-Composer eintragen zu lassen.
In Loren Schoenbergs Liner Notes zu Harden/Coltrane „The Complete Savoy Sessions“ (1999) heisst es zur Person Hardens:
Harden himself contributed greatly to the mystery surrounding him. His elusive nature is reflected in recent comments by both of the pianists on these sessions, who are among the very few who recall him from the Fifties. Tommy Flanagan describes him as a „quiet guy who was off the scene most of the time; I don’t remember him having any gigs in New York. He did work back in Detroit though.“ Howard Williams can add only that „Wilbur was a nice guy, not aggressive, just a pure musician. We used to jam a lot in my loft, which was on 6th Avenue, right next to Hall Overton’s. I heard that Wilbur had a nervous breakdown or something, but after that he just vanished.“
Die erste, längste Session vom 13. März 1958 ist fast eine All-Star Band, Coltrane und Harden mit Tommy Flanagan, Doug Watkins und Louis Hayes. Was ich oben über Donald Byrd angetönt habe trifft auf Harden eigentlich auch zu, aber irgendwie hat Harden doch einiges mehr an Persönlichkeit zu bieten und sein aussergewöhlich schönes Spiel bietet einen guten Kontrast zu Coltrane – jeder der beiden zieht sein Ding durch und es harmoniert erstaunlich gut. Die Luxus-Rhythmusgruppe hilft beträchtlich, und ich staune grad wieder, wieviel das doch ausmacht! Wieder ist Louis Hayes an den Drums, und wie ich oben schon erwähnte: er klingt einerseits leichter – mehr Ride-Cymbal, höher gestimmte Drums? -, andererseits spielt er doch ziemlich schwer – eben zum Beispiel das Ride, das er fast durchwegs auf jeden Schlag bringt, auch die Snare-Einwürfe sind nicht gerade leicht, aber das gibt eben auch ein äusserst solides Fundament, das zu Coltrane sehr gut passt. Und dazu kommt Doug Watkins, auch er ein soliderer, erdigerer Bassist als Chambers, der aber ein ähnlich toller Solist ist (und auf „West 42nd Street“ auch ein kurzes gestrichenes Solo spielt). Flanagan dagegen ist eher leichter, lyrischer als Garland… eigentlich schade, dass Coltrane nicht öfter mit ihm aufnahm und überhaupt nicht öfter mit anderen Rhythmusleuten gearbeitet hat (z.B. Philly Joe Jones, Doug Watkins, Sam Jones, Hank Jones, Jimmy Cobb, Roy Haynes – der eine oder andere von denen taucht ja da oder dort auf, Haynes allerdings erst später).
Coltrane klingt jedenfalls richtig gut hier, sein Ton ist vielleicht eine Spur weniger schön (bzw. die ganze Aufnahme klingt anders als die atmosphärischen Prestige-Sessions, aber auch diese Savoy-Sessions fanden in Van Gelders Studio statt, seltsam). Curtis Fuller, der andere hier anwesende Bläser (und neben Harden der andere Frontline-Partner in Yusef Lateefs frühem Quintett), gemäss Schoenbergs Liner Notes:
According to trombonist Curtis Fuller, the other horn on two of the original sessions, Coltrane was there entirely because he wanted to be. He was openly enthusiastic about Harden’s work; as Fuller puts it, „he certainly wasn’t there just for the forty one dollars.“ (To be precise, $41.25 was musicians union scale for a sideman for a three-hour recording session in 1958.) But he also notes that Coltrane’s presence had a down side; Harden was a rather unassertive young man and when he failed to display sufficient decisiveness as leader, the saxophonist stepped in and took charge – which Harden in turn reacted to with some discomfort and even resentment. However, while Coltrane’s appreciation can readily be heard here, the tension that Fuller recalls is not apparent.
In „Coltrane Reference“ (p. 513) steht, dass die Session von 1-7 p.m. dauerte, mit einer Stunde Pause fürs Nachtessen (nehme an für die meisten anwesenden war’s eher das Frühstück) – es wären also immerhin 80$ gewesen.
Fuller stösst für die zweite und dritte Session dazu, auf der Art Taylor und Ali Jackson (Bruder von Drummer Oliver – siehe Lateef – und nicht mit Milt Jacksons Bruder, dem Bassisten Alvin Jackson zu verwechseln… alle aus Detroit, wie natürlich auch Flanagan, Watkins und Hayes) Watkins und Hayes ersetzen. Auf der zweiten Session spielt Howard Williams anstelle von Flanagan, der dann für die dritte wieder dabei war. Die Rhythmusgruppe ist ziemlich anders, Jackson ist weniger präsent als Watkins, Taylor leichter, aber eben auch – wie mich jetzt grad auf Take 2 von „B.J.“ dünkt – wieder sehr in Eile. Das scheint jedoch die drei Bläser nicht zu stören, Coltrane klingt hier wieder ganz wunderbar, ebenso Harden, der auch klarer klingt… und Fullers flüssiges, von J.J. Johnson inspiriertes Spiel fügt sich schön ins Ensemble ein (hier scheint alles klarer, schöner aufgenommen als auf der ersten Session woran auch immer das gelegen haben mag).
Was Harden betrifft, so ist der einzige Standard der Session, „Once in a While“, ganz sicher ein Highlight! Unglaublich schön, sein Ton! Und wie Coltrane dann übernimmt für die Bridge… zauberhaft! Sein Ton ist hier übrigens fast schon so zurückgenommen und sanft wie später auf Ballads.
Zwischen der ersten und der zweiten Session enstand übrigens ein weiteres Highlight aus der Prestige-Zeit, Settin‘ the Pace (wie ich oben schon erwähnte möglicherweise mein liebstes Prestige-Album von Coltrane). Zwischen der zweite und der dritten Session entstand dann Black Pearls, aber auch die fantastische Miles Davis Session vom 26. Mai 1958 (mit „Love for Sale“ als Highlight… ausgerechnet das Stück hat aber auf „Jazz Track“ gefehlt, war zuerst soweit ich weiss auf Circle in the Round zu hören)
Trivia: in der Doppel-CD ist auch wieder das einzige grosse Coltrane-Photo (das auch ausschnittweise auf dem Titel drauf ist) dasjenige mit dem Altsax (von Esmond Edwards aufgenommen) – wie schon in der Monk/Coltrane Riverside Doppel-CD. Sehr befremdlich, aber ist ja auch beides von Orrin Keepnews produziert (die Savoy Doppel-CD scheint übrigens dennoch komplett zu sein, manche dieser Ende der 90er zusammengestellten Savoy Reissues hat Keepnews ja irgendwie versaut…
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