Re: Chronological Coltrane

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gypsy-tail-wind
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nail75Ja, viel zu schwarz, natürlich. Ich habe damit auch letztens eine Formulierung von redbeans aufgegriffen.

In Bezug auf das musikalische Verständnis kann ich mit Dir nicht mithalten. Deine „interne Perspektive“ klingt durchaus plausibel. Ich tendiere eben grundsätzlich immer zur „externen Perspektive“, weil ich stets an den großen Linien einer Entwicklung interessiert bin. :-)

Jo… ich bin technisch zwar auch nicht völlig auf der Höhe, verstehe aber schon ein wenig was, war ja selber längere Zeit dilletierender Saxophonist :-)

Ich glaub diesbezüglich gibt’s an meiner Sicht auch nicht viel zu rütteln… aber doch interessant, wie man das unterschiedlich wahrnehmen kann! Geradezu erstaunlich für mich! Kann Dir ja nicht sagen, wie Du zu hören hast, aber als absoluter Kontrast zu „Giant Steps“ (oder „Countdown“ [nicht „Spiral“, wie ich oben gesagt habe, das war falsch, entschuldigung!], „26-2“, „Exotica“, „Fifth House“ oder auch die wunderbare Ballade „Central Park West“ und der Gershwin Standard „But Not For Me“, die auf ähnlichen Akkord-Folgen beruhen) bietet sich „Flamenco Sketches“ auf Kind of Blue an.

Auf der harmonisch verdichteten Seite gibt’s alle 2 Schläge einen neuen Akkord (und oft über diesen einen weiteren und darüber noch einen), das ganze wird dann zumindest in den schnellen Titeln in ebenmässiger Achtel-Phrasierung abgehandelt.
Dem gegenüber steht in „Flamenco Sketches“ eine Reihe von 5 oder 6 Skalen, die jeder Solist in derselben Reihenfolge durchgeht, und es steht jedem frei, wie lange er in welcher Tonleiter bleiben will – die Rhythmusgruppe erkennt aus den Soli heraus, wann gewechselt wird. Jost analysiert dies ausgiebig in „Free Jazz“ (das ich derzeit jemandem ausgeliehen habe leider). Miles macht „übliche“ Gruppierungen (4 Takte, 8 Takte), Cannonball moduliert (er spielt einen Lauf in der alten und gleich danach transponiert in der neuen Skala), Coltrane verdichtet – und genau das ist seine Meisterschaft (Cannonball wirkt dagegen – und das sage ich als GROSSER!!! Fan von ihm! – wie ein Schüler). Coltrane spielt getragene, lange Noten, dann eine kurze Verdichtung/Beschleuning, und – Schwupps! – wir sind in der nächsten Tonleiter… Evans/Chambers begleiten natürlich meisterlich… hab das nicht präsent, aber ich glaub auch auf dem alternate Take – der erstmals in der 6CD-Box der gesammelten Miles w/Trane Columbia Sessions zum Vorschein kam – gibt’s keine Fehler oder gröbere Unstimmigkeiten… das ist schon enorm Eindrücklich!
Oder „So What“, da hört man ja schon an der Bass-Begleitung die Tonleiter – das ist alles enorm reduziert und bringt einerseits grosse Freiheit aber gerade dadurch andererseit auch eine grosse… Verantwortung ist das falsche Wort… Bürde, Last – „Il faut imaginer Sisyphe heureux“. Genau diese Entwicklung/Entdeckung erlaubte dieses neuaritge, lyrische Spiel, wie es Davis und Evans, und eben auch Coltrane, meisterlich beherrschten!

Ich hab jetzt im Booklet der Atlantic Box nachgeschaut, da gibt’s eine Beschreibung (auch von Lewis Porter übrigens) von „My Favorite Things“, wie Coltrane es aufgesetzt hat, ich tippe das mal ab, das sollte dann auch technisch völlig unbedarften Hörern die Möglichkeit bieten, das zu verfolgen (das ist übrigens keineswegs abfällig gemeint! Ganz im Gegenteil! Ich bewundere Leute, die rein intuitiv all diese grosse und oft von aussen schwierig klingende Musik schätzen können!)

The Song’s structure is A-A-B. Both of the A sections use the „raindrops and roses“ tune and emphasize happy things. The B part is the first mention of negative experiences — „When the dog bites“ — but its point is that the good things help us to overcome the bad. Coltrane plays the two A parts at the beginning of his version. Only at the very end of the performance does he play the B part. In the meantime, he stretches out the sense of time in several ways. he has the rhythm section begin with a vamp in E minor, and he comes in at his leisure. After the first A they switch to an E major vamp, and he solos briefly over this. Then it’s back to E minor for the second A. At the end of this one, the E minor vamp returns, and the solos begin. Each solo follows a plan: The soloist, Coltrane or Tyner, plays over the E minor vamp as long as he wants, and then moves on cue to the E major vamp. The cue is a return to the theme. You can hear Tyner return to the theme in the middle of his solo, which is his cue to the others, and then the vamp becomes major. Coltrane does the same during his solo. And during every live version of this piece each soloist, including Eric Dolphy, does the same. When the B section finally enters at the end, we feel that we have been through an entire world of music.
~ Lewis Porter, „The Atlantic Years“, liner notes to „John Coltrane – The Heavyweight Champion. The Complete Atlantic Recordings“, p. 19-20

Also kurz die Solo-Routine:
– E Moll so lange, wie der Solist will
– Wechsel in E Dur, angezeigt dadurch, dass der Solist das Thema aufgreift

Sowas mag nicht völlig neu gewesen sein, aber es ist doch eine komplett von der Norm abweichende Spielweise! Und auch etwas komplett anderes im Vergleich mit den Songs auf „Giant Steps“ (und „Coltrane Jazz“), die als abgewandelte (harmonisch komplexere, dichtere) Varianten der konventionellen Song-Formen zu verstehen sind. Die Entwicklung der Variation dieser Strukturen beginnt früh, im Bebop nahm sie wohl den grössten Entwicklungsschritt, als Parker, Gillespie etc. ihre eigenen Melodien über abgewandelte harmonische Strukturen von Standards (DER Klassiker war natürlich „I Got Rhythm“, aber auch andere wie „Embraceable You“ wurden genutzt – die Praxis findet man wohl auch schon früher). Die Bopper haben dann oft die Akkorde verdichtet und verändert (man kann Akkorde nach gewissen Regeln „umbauen“, reharmonisieren etc… das übersteigt im Detail dann auch meine Kenntnisse). Nur wenige (etwa Ellington, Monk, Mingus) haben völlig eigentständige Musik geschrieben, die nicht stark an Stücke aus dem Great American Songbook angelehnt war (Mingus‘ „Re-Incarnation of a Love-Bird“ ist ein besonders komplexes Beispiel, oder Monks „Criss-Cross“, wo auch die übliche Anzahl Takte aufgebrochen wird). Coltrane hat „seine“ Changes gefunden und auf „Giant Steps“ verewigt – noch einmal Lewis Porter:

These recordings [Giant Steps, Countdown, 26-2, Exotica, Fifth House, Satellite, Central Park West, But Not for Me] epitomize one major concern of Coltrane’s at this time, that of developing the ability to successfully negotiate the fastest moving chord progressions.
~ Lewis Porter, ibid, p. 14

Ich wollte eigentlich nur ganz kurz Antwort geben… aber ich hoffe, diese Ausführunge helfen, zu verstehen, wovon ich schrieb!

Jetzt läuft übrigens die Carnegie Hall CD vom Monk mit Coltrane – absolut grandiose Musik!

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