Re: Chronological Coltrane

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gypsy-tail-wind
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Im Herbst 1957 landete Coltrane noch einmal bei Blue Note (er hat ja schon auf Paul Chambers‘ „Whims of Chambers“ mitgewirkt). Dabei entstanden ein schönes Album von Sonny Clark, „Sonny’s Crib“, und eine Woche später sein erster echter Klassiker, „Blue Train“.

Die Unterschiede sind ziemlich frappant: Clarks Album bewegt sich in ziemlich berechenbaren Bahnen, die Band hätte mit Ausnahme von Curtis Fuller und Clark selber auch auf einer beliebigen Prestige-Session auftauchen können: Donald Byrd, Coltrane, Chambers und Taylor. Die Kompositionen von Clark sind zwar nicht übel, auch die Standards – „With a Song in My Heart“, der Opener mit starkem Solo von Byrd, „Come Rain or Come Shine“, und vor allem Kurt Weills „Speak Low“ – sind schön arrangiert, Fuller bringt ein wenig Abwechslung in all die Quintett-Sessions… als Solist glänzt aber Coltrane am meisten, er klingt selbstsicher, solide, lässt sich nicht drängen, zieht sein Ding durch.

Auf „Blue Train“ geht’s dann eine Spur ernsthafter zu und her… Lee Morgan, Kenny Drew und Philly Joe Jones haben Byrd, Clark und Taylor ersetzt, und das wird sofort spürbar. Das Titelstück eröffnet die Platte und ist bis dahin einer der besten Momente Coltranes, als Komponist/Arrangeur/Leader aber auch als Solist. Er klingt auf dem ganze Album komplett „in charge“, scheint alles im Griff zu haben, die Musik zu steuern in eine ganz bestimmte Richtung.
Möglich, dass auch hier wieder mal die bezahlten Proben bei Blue Note den Unterschied ausmachen… die Stücke sind keineswegs ganz so simpel, wie sie beim oberflächlichen Hören klingen mögen. Der Blues ist enorm atmosphärisch, „Moment’s Notice“ hat diese wiederkehrenden „pedal points“ gefolgt von kurzen Breaks, die eine Struktur geben. „Locomotion“ ist nochmal ein Blues, diesmal im Uptempo. Mit „I’m Old Fashioned“ folgt dann der einzige Standard und zugleich die Ballade der Session, ein alter Song, wohl kaum einer, der oft gespielt worden ist vor diesem Album. Als Abschluss folgt eine Hommage and Tadd Damerons Bop-Klassiker „Lady Bird“, in schnellerem Tempo und dem Titel „Lazy Bird“.
Wie Robert Levin in seinen Liner Notes schreibt:

What is perhaps the most striking attribute (among many) about this LP is its free, but not disorganized, blowing mood that has everyone in exceptional form both individually and collectively.

Dem schliess ich mich vollumfänglich an… die perfekt zusammengestellte Band, Kompositionen, die ohne allzu „schwierig“ zu sein eine klare Richtung vorgeben, und anscheinend die richtige Atmosphäre (dank Coltrane? RVG? Alfred Lion? Jack Daniels?) um das ganze gelingen zu lassen.
Kenny Drew klingt hart und knackig, Lee Morgan toll wie auf all seinen frühen Blue Note Sessions, Fuller ist wohl der einzige, den man sich überhaupt in dieser Band vorstellen kann… und Chambers, klar! Geschüttelt, äh, gestrichen oder gezupft… für diese Art von Session gab’s sonst nur Doug Watkins (der meiner Meinung nach komplett unterschätzt ist, den gab’s aber nur gezupft)… und Philly Joe ist eh der beste Hardbop-Drummer überhaupt!

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