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Nachdem schon im April „Monk’s Mood“ für Riverside aufgenommen wurde, fanden an zwei aufeinanderfolgenden Tagen im Juni die Sessions zu einem von Monks wichtigsten Alben, „Monk’s Music“ statt. Am ersten Tag schien Monk nicht in der Lage, die Session durchzuführen – Produzent Orrin Keepnews:
Eventually Art [Blakey] arrives, the drums (and there was always a full array of tom-toms around Blakey) are suitably miked and, at least a full hour after the originally designated starting time, Monk begins the job of teaching his associates how to play Crepuscule [with Nellie].
It is pretty clear from the start that too much time had gone by. The tape machine rolls on Take 1, but the ensemble opening is slow and uncertain; Monk is the only schedules soloist, and he is having problems. […] But of course at the very start of the next try, Monk falls out. The take had been preceded by a little pep talk […] and then we must face the fact that his head is on the keyboard. The pianist is asleep. Exhaustion, stimulants, frustrated creativity – I have never been overly concerned with the exact cause; I do know that he tried very hard, and that circumstances had overcome him. But I also know that he was to come back the next night, this time facing the added strain of a must-finish deadline, and succeed in recording a complete album […]
~ Orrin Keepnews, liner notes to „Thelonious Monk with John Coltrane: The Complete 1957 Riverside Recordings“
Dennoch, für den unbedarften Fan (also mich) wirken die beiden Outtakes von „Crepuscule with Nellie“ keineswegs total misslungen – Monk spielt bedächtig, Ware/Blakey grooven schön… ein wenig so, als könnte man Monk beim Proben über die Schulter sehen.
Die Session des ersten Tages wurde dann noch dazu genutzt, einen Blues von Gigi Gryce einzuspielen – ohne Monk. Dieser „Blues for Tomorrow“ erschien dann auf einer Various Artists Compilation mit demselben Titel. Gryce spielt ein erstes kurzes Solo, mit seinem hübschen, leicht säuerlichen Ton – leider etwas kurz. Copeland hat ein wenig Mühe, reinzukommen, spielt aber gut als er drin ist. Dann Coltrane und Hawkins – beide super! Und dann die grosse Überraschung: Wilbur Ware… und Blakey wird hier für seine Verhältnisse richtig innovativ, tupft hier was hin und dort, und zieht das dann auch für sein eigenes tolles Solo durch. Dann folgen Fours der Bläser – sehr schön! Und auch die Abwesenheit von Piano macht dieses Stück speziell! Und es dauert ganze 13:33 Minuten!
Am zweiten Tag galt es dann ernst… ein Re-Take von „Crepuscule“, dann „Off Minor“, die Hymne „Abide with Me“, „Epistrophy“, „Well You Needn’t“ und Hawkins‘ Balladen-Feature über „Ruby My Dear“. Von allen Stücken ausser „Ruby“ gibt’s zwei Takes (der eine von „Epistrophy“ ist sehr viel kürzer), das meiste erschien damals als Füllmaterial auf „Thelonious Monk with John Coltrane“ und anderswo).
Die Musik ist grosse Klasse, da brauch ich gar nicht mehr viel drüber zu schreiben, nur nochmal der Hinweis auf „Coltrane… COLTRANE!“, als dieser den Einstieg in sein Solo auf „Well You Needn’t“ verschläft… sehr schön!
Irgendwann im Juli entstand dann noch die Quartett-Session mit Coltrane – sie zählt für mich zu den schönsten Monk-Sessions überhaupt! Auch Coltrane spielt hier „Ruby My Dear“. Hier und auf „Nutty“ und „Trinkle, Tinkle“ kann man das Quartett hören, das diesen Sommer im Five Spot für Furore gesorgt hatte. Coltrane klingt sanft und spielt wie besessen, unglaublich! Sein Ton ist übrigens schon auf der Septett-Session neben Hawkins fast Altsax-mässig, fand ich.
Gemäss dem Coltrane Reader (p. 136f.) spielte das Quartett vom 18. Juli bis Ende August 1957 im Five Spot. Hier ist das alles etwas detaillierter… ab dem 13.8. spielte Ahmed Abdul-Malik Bass, bis Ende Juli war Frankie Dunlop am Schlagzeug, dann Shadow Wilson. Auch Julisu Watkins, Sahib Shihab, Max Roach, Art Blakey und Willie Jones hätten mal mitgespielt, ebenso Billie Holiday (!), Mal Waldron… und Monk selbst spielte mit Miles Davis, ebenso wie auch Silver und Percy Heath bei Miles aufgetaucht seien und mitgespielt hätten. (Down Beat, Sept. 5, 1957, p. 8 – nach: Coltrane Reader, p. 136. Dom Cerullis Kritik aus derselben Nummer von Down Beat, p. 33, ist dann auch noch komplett abgedruckt).
Vom 5. September bis 6. November spielte das Monk-Quartett (mit Abdul Malik, bis 10. oder 11. Sept. mit Philly Joe Jones, danach mit Shadow Wilson) erneut im Five Spot (dazwischen spielte dort die Donald Byrd/Lou Donaldson Group, an den Montagabenden spielte Mal Waldron im Trio).
Zum dritten Mal (Coltrane Reader, p. 139) spielten Monk/Trane dann vom 21. November bis am 26. Dezember im Five Spot, mit Abdul-Malik, und diesmal mit Wilson/Kenny Dennis (bis 15. bzw. ab 16. Dezember), und am 26. November fand dann das Carnegie Hall Konzert statt, das auf der tollen Blue Note CD festgehalten ist!
Für die letzte Woche von 1957 (27. Dez. – 1. Jan.) hat Coltrane dann ohne Monk im Five Spot weitergespielt, Red Garland sprang am Piano ein (am 27. Dezember anscheinend ohne Piano). Coltrane war demgemäss also erst im Januar 1958 wieder zurück bei Miles (und nicht wie Ken Vail sagt im Dezember 1957 – hab das Vail-Buch über Miles aber nicht, das einzige von ihm, das ich habe, ist das über Billie Holiday.)
Bin übrigens insgesamt eher ein klein wenig enttäuscht, vom Coltrane Reader, und da findet sicht nichts präzises über die Zeit im April (?) 1957, in der Coltrane seine Drogensucht loswurde. Es gibt nur drei Einträge „Possibly ca. Spring 1957“ und im zweiten wird Simpkins (1989, p. 56-57) referiert, über einen Gig in Philadelphia, der vorzeitig beendet wurde, weil Coltrane oblgeich er keine Drogen mehr nähme noch stark getrunken habe (Quellen geben Simpkins keine an, wohl Cal Massey oder Tyner – dann wird noch Porter p. 355 angegeben, nehme an der hat sich dort auch auf diese Simpkins-Stelle bezogen.)
Massey und Tyner: letzerer und Jimmy Garrison spielten damals in Masseys Gruppe, weswegen Coltrane nach Philadelphia gefahren sei… er kannte die also schon eine ganze Weile! (Übrigens spielt Garrison ja auf Masseys halbwegs missglücktem aber dennoch faszinierenden Candid-Album „Blues to Coltrane“… der und Tenorist dort, Hugh Brodie, ist arg unter Coltranes Einfluss.)
Der erste Eintrag zu „Possibly ca. Spring 1957“ ist jedoch faszinierend: Coltrane sei für Mobley eingesprungen (die erste Hälfte der Woche Clifford Jordan, die zweite Hälfte Coltrane) in Horace Silvers Quintet (mit Art Farmer, Teddy Kotick, Louis Hayes). Das würd ich gerne hören! Die Info beruht auf Interviews mit Silver und Farmer, genaue Datierung ist unmöglich, das ganze fand im Café Bohemia statt.
Insgesamt, nach einem sehr raschen ersten Blick, glaub ich eher nicht, dass ich mir „Coltrane Reference“ kaufen werde. Es gibt wenig Text und es werden in der Chronologie primär alle bekannten Gigs (und Sessions) aufgelistet. Dann folgt eine riesige Diskographie mit mehr Details zu den Sessions.
Es ist wohl eine Art detailliertes Gerüst, aber all das, was spannend ist, fehlt letztlich… also purely factual, sozusagen. Zu ausschliesslich, als ich dafür 100€ oder noch mehr würde ausgeben wollen… aber die Herren dachten wohl, wenn sie das drucken statt ins Netz stellen würden sie vielleicht auch noch ein klein wenig dran verdienen (?) und natürlich ist ein Buch eine viel tollere Sache als eine Website, das ist schon klar!
Das klingt jetzt negativer als intendiert… wenn ich viel Geld hätte (na ja, oder bloss ein bisschen mehr als ich hab) würd ich das Buch bestimmt kaufen (bzw. dann hätte ich es schon seit über einem Jahr…)
Und nochmal: weiss irgendjemand, was mit David Wilds Website los ist?
Und noch eine Ergänzung nach dem grösseren Edit hier (neu: „Irgendwann im Juli…“ bis zu Vail über Miles): glaub ich bin bereits genügend vom „Coltrane Reader“ fasziniert, um einen Kauf ernsthaft in Erwägung zu ziehen…
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba