Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Blue Note – das Jazzforum › Chronological Coltrane › Re: Chronological Coltrane
Meine gestrigen Ankündigungen habe ich heute in die Tat umgesetzt und „Plays the Blues“ gleich zweimal, mit Unterbrechung dazwischen gehört.
Der erste Durchgang war weniger euphorisch, aber auch weniger mikroskopisch. Es drängte sich der Verdacht auf, dass das ganze Ensemble ein wenig uninspiriert vor sich hin spielt. Auch wird der Atem der Produktion nicht gerade von frischer Bergluft genährt. Es klingt eher kompakt, unaufdringlich und vom typischen (?) Ertegun-Stilverständnis in entsprechende Bahnen gelenkt.
Dies sage ich, wohlgemerkt mit höchstem Respekt, den beiden einmaligen Brüdern gegenüber!
Nur warf es in mir die Frage auf, ob unser Conciousness-Explorer da tatsächlich an der richtigen Adresse in Lohn und Arbeit stand. Alles was man hört, ereignet sich auf höchster Ebene, jedoch höre ich auffällige Unterschiede sowohl zu früher als auch zu später.
Da wären, einerseits, auf den Prestige Aufnahmen, diese, manchmal schon überbordende, Spielfreude und beseelte Melodieseligkeit. – Und diese Aufnahmen atmen wirklich; versprühen eine Dreidimensionalität und platzieren den Zuhörer direkt in ihrer Mitte. Um die Attribute des (religiösen) Klangforschers erweitert, klingen seine Platten bei Impulse gar nicht unähnlich, was die Produktion betrifft. Dass man hier zusätzlich auch Zeuge sämtlicher anderer Nebenerscheinungen, individueller und zeitspezifischer Vorgänge, werden kann halte ich für einen Zugewinn, den man in dem Ausmass, einer Company vielleicht gar nicht so deutlich zusprechen würde. Doch ich denke, hier ergab sich eine gewisse Einheit, eine Geschlossenheit zwischen Künstler und den ultimativen Gegebenheiten (zumindest auf kreativer Ebene, die wirtschaftlichen Fakten sind mir nicht bekannt).
Das gleiche empfinde ich auch bei den mir bekannten Aufnahmen von z.B. Mingus oder Gil Evans. Noch frappierender ist es vermutlich beim Werk Alice Coltrane´s (wobei mir hier keine älteren Aufnahmen bekannt sind) , die vielleicht nicht das Standing als Solistin hatte, aber ein schillerndes, akustisches Gesamtbild erschuf, welches sich zumindest meines Respektes sicher sein kann.
Ich finde, Impulse war deutlich mehr als ein Label. Ich sehe es als Katalysator und regelrechte musikalische Lebenshaltung. Die einzelnen Werke mag jeder für sich selbst beurteilen, aber kann ein eine Firma cooler sein als diese, im wahrsten Sinne des Wortes?!
Ok, zweiter Durchgang „Coltrane plays the Blues“.
Diese Musik taugt auch als sehr gepflegte Unterhaltungsmusik. In einem stilvollen Club aufgelegt, ist es eine Facette von Trane, die zwar schon dezent weitergräbt, aber, auch kontextgebunden, dem Zuhörer nicht das Genick bricht. Und auch nicht mit Gewalt diesen Sog erzeugt, der die spätere Legende begründete. Ich bin mir sicher, dass Nesuhi Ertegun, auf sehr charmante Art und Weise, die Wogen geglättet hat und den Giganten einfach mal eine ganz lockere Session abgequatscht hat. Schlechte Absichten verbargen sich sicherlich keine dahinter, wie immer es auch tatsächlich abgelaufen ist.
Coltrane scheint mir minimalst mürrisch aufzuspielen. Nicht grob, eher suchend. Die Melodien gehen ihm scheinbar langsam auf den Keks, aber er übt sich in professioneller Beherrschung. Daran „krankt“ das ganze für mich leider auch dezent. Die Improvisationen stochern im Ungewissen, fördern aber eher schemenhaft zutage. Wenn er mal melodisch agiert, klingt es leicht unentschlossen und seine Experimente läßt der Rahmen auch nur sehr bedingt zu. McCoy Tyner glänzt dann an manchen Stellen doch noch unerwartet, da er sich vermutlich noch am ehesten fallenlassen konnte, in diesen Themen. Bass und Schlagzeug empfinde ich als hochgradig unauffälig, extrem repertoire-dienlich aber auch auf Weltniveau. Von daher ist das hier kein Beinbruch.
Mir drängt sich folgender Gedanke auf: Coltrane war eigentlich 1959 schon bereit für den nächsten Schritt (den „gigantischen“ hat er ja dann auch gleich mal gewagt ) und hätte ihn da auch eigentlich schon ganz vollziehen können. Der Erfolg von „Kind of Blue“ jedoch, hat ihn meiner Meinung nach „zurückgeworfen“ und ihn erst noch einmal für eine gewisse Zeit an die Melodie gebunden. Es ist ein pikanter „Zufall“, dass sich die Recordings zu „Giant Steps“ und „Kind of Blue“ quasi überschnitten haben. Aber ich würde Stein auf Bein schwören, das JC schon im anderen Zug saß und wieder da raus „musste“.
Hat Ertegun davon geträumt aus „Plays the Blues“ ein zweites „Kind of Blue“ zu machen? Er war ein sehr fähiger Geschäftsmann und man könnte es ihm nicht mal verdenken. Aber das, denke ich, ging dann (in Relation gesetzt, natürlich), gründlich in die Hose.
„Plays the Blues“ ist garantiert ein großes Werk, aber fällt dann im Gesamtbild doch minimal ab, auch aus erwägbaren Gründen. Man muss sich auch nur einmal die gnadenlos übertriebenen alten Linernotes von Joe Goldberg zu Gemüte führen. Mit Schmunzeln nimmt man nachträglich zur Kenntnis, dass es sich hier um ein Werk handelt, welches „Kind of Blue“ scheinbar überragt…
Ich freue mich schon auf weitere Diskussionen zu dem Thema!
Einen Zusatz noch: Auf der CD Ausgabe befindet sich ein Bonustrack, der damals als unpassend verworfen wurde. „Untitled Original“ heißt dieses Stück. Und siehe da: Man lässt die Hunde von der Kette und Alles einfach Alles ist in sekundenschnelle da! genauso wie man´s liebt…
--