Re: ROLLING STONE Juli 2010

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nail75

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MistadobalinaDie Beiträge der Werbeagenturen – na ja, ganz nett. wenn man denn glauben will, dass die bösen Downloader am Untergang der Plattenindustrie Schuld sind. Das ist mir dann doch ein wenig zu einseitig.

DJ@RSO
Ach so, Raubkopierer und Downloader sind an der Krise der Musikindustrie Schuld. Das sind jetzt aber mal Neuigkeiten. So langsam wird es langweilig.

Ich finde es sehr bedauerlich, dass der RS diese unhaltbare These, die von der Plattenindustrie seit Jahren gepuscht wird, nachplappert. Ich habe eine Gegenthese, die da lautet: Schuld am Niedergang der major labels sind die major labels und sonst niemand.

Als Napster aufkam, war alle Welt begeistert und lud kräftig herunter, viel (aber keineswegs alles) unter Verletzung des Urheberrechts. Anstatt das Potential des Internets zu erkennen, entschloss die Plattenindustrie die Downloader zu bekämpfen, da sie sie als Bedrohung betrachtete. Sie erkannte nicht die Möglichkeit, ihren Kunden jede nur denkbare Musik einfach und komfortabel zur Verfügung zustellen.

An dieser katastrophalen Fehlentscheidung der Plattenindustrie leidet sie noch heute. Nicht nur hat sie sich einer gestrigen, reaktionären Sichtweise gegenüber neuen Technologien verschrieben, sie hat ihre eigenen (potentiellen) Kunden auch beschimpft, bedroht und angezeigt. Kein Wunder, dass die meisten Menschen den Niedergang der major labels mit tiefer Befriedigung oder völliger Gleichgültigkeit verfolgen.

Dass man mit Strafanzeigen oder technischen Hindernissen niemals dieser fundamentalen Veränderung des Musikkonsums Herr werden würde, wusste jeder halbwegs intelligente Mensch. Dennoch glaubte die Plattenindustrie, man könne ernsthaft die Lebensgewohnheiten von Dutzenden von Millionen Menschen ändern, indem man ein paar Tausend von ihnen anzeigt oder sie als Kunden mit nervigem Kopierschutz, DRM und belästigenden Filmen und Spots zu Tode nervt. Wie pflegte ein Freund von mir zu sagen, nachdem wir im Kino die katastrophal dummen Kopierwarnspots ertragen mussten: „Wenn ich zu Hause bin, muss ich erstmal etwas herunterladen, damit ich mich wieder sauber fühle.“

Nun geht es in der Tat hier um Musik, aber meine Sympathie für eine Firma, die FBI-Warnungen auf ihre Produkte drucken lässt und ihren Kunden androht, sie straf- und zivilrechtlich zu verfolgen, ist gleich null. Neuerdings hat EMI beispielsweise kapiert, dass es keine gute Idee ist, die Kunden als Dank für den Kauf eines Produktes zu bedrohen und bedankt sich artig. Zu spät. Für die Mitarbeiter tut es mir leid, aber ansonsten gilt der alte fehlübersetzte Satz von Gorbatschow: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“

Der Rolling Stone täte gut daran, sich von einer so gestrigen und unproduktiven Sichtweise zu verabschieden. Die 1990er sind vorbei, die damaligen Auflagezahlen sind Geschichte und kommen nie wieder. Wie die Musikindustrie in 5 oder 10 Jahren aussehen wird, ist eine spannende Frage. Aber jemand, der immer noch auf der Suche nach den Schuldigen für den Niedergang ist (und das auch noch bei den vollkommen falschen Adressaten), der hat natürlich keinen Sinn für die Chancen der Zukunft.

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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.