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Schutt, abgerissene Bauten, Staub- und Dreckberge, wohin man auch schaut: Die Gegend um das Karlsruher Tollhaus ist wahrlich nicht das einladenste Ambiente, für einen anrührender Konzertabend. Noch einiges an Zeit im Vorlauf in der Tasche war gestern viel Zeit ein wenig die Stadt von seiner sichtlich schönsten Seite zu begutachten, sodann Zigarette angesteckt und vorsichtig vorgetappt – da ist der Eingang; nein, nur die Hintertür, zum Backstagebereich, für die Raucherpausen der Musiker. So scheints jedenfalls und wie erfreulich ist es dann direkt, nicht nur eine Reihe jener Fans zu sehen, die sich – nach dem Charteinstieg Knyphausens – ein wenig Kultur und Lyrik mit Niveau abholen wollen, sondern den sympathischen Mastermind selbst. Der grinst gewitzt, mit Tasse in der Hand und Kippe im Wind, mit Gitarrist Fricke wohl noch ein wenig weniger frische Luft schnappen. Schöne Begrüßung.
Das durchaus gut gefüllte Tollhaus zeigte sich mit zunehmender Nacht ausnehmend euphorisch, textsicher und hocherfreut. Zunächst betritt jedoch der junge Moritz Krämer die Bühne. Mit leichtem, fast schüchternem Lächeln wird die hübsche Gitarre gestimmt, als wäre er auch nur aus diesem Grund heute hier auf der Bühne zu Gange, dann folgt aber der Schwenker zum Mikro: „Hallooo, ich bin die Vorband!“. Ungemein sympathisch jedenfalls, wie auch das Liedgut, das mir zuvor völlig unbekannt war. Lustige kleine Geschichten (und Buchzitate) von schönen Augen, weißen Mützen, unnahbaren Nachbarn, Rotz in den Nasenöchern, dem Gedankensortieren beim Fahrradfahren und dem kleinen Spatz, der die Welt bereiste. Natürlich nicht seriös im engeren Sinne, sicher auch nicht in völliger Routine, aber das machte es letztlich sogar aus: Ganz viel Charisma und Charme und Herzblut und ja, sic, Authentizität. „Ich muss noch schnell stimmen, geb‘ aber Bescheid, wenn ich fertig bin“ sprichts sichtlich erfreut mit den Anwesenden und werkelt weiter. Zu erwähnen ist, dass der nette Herr fast durchweg von Knyphausens Musikern begleitet wurde, die – Schlagzeuger Deufel muss man besonders hervorheben – fröhlich mitschwingten, da haben sich Vor- und Hauptband fraglos gefunden, da gibt es nicht nur textlich Parallelen und Querverweise.
Gute 15 Minuten später betritt Knyphausen selbst die Bühne, mit müdem, aber glücklichem Gesicht – „ich freue mich heute hier zu sein“ gibt er an, es bleibt nicht dabei, keiner der schweigsamen Bühnengestalten. Den Beginn macht das hymnisch ausfallende „Hey hey“, das tanzend und mitsingend begleitet wird. Ach ja: Es macht an dieser Stelle wenig Sinn, eine Tracklist nachzustellen, da die Band, so in sichtlicher Partystimmung, – von „Verschwende Deine Zeit“ abgesehen – alle Tracks zum besten gab, die bisher auf Tonträger (Single/Album) erschienen. Ein etwa zweistündiges Set mit viel Spaß und einer Stimmung, die selten, auf bisherigen Konzerten, ähnlich heimelig und angenehm war. „Ich bin noch ein wenig müde von gestern und auch so“ gibt er nach einiger Zeit von sich, davon spürt man hier aber wenig, denn der Mann ist ganz bei sich, völlig unverkrampft, allelürenlos und mit soviel Witz, dass der ungeplannte Lacher bisweilen einfach aufkommen muss. Vor mit schreits dann plötzlich: „Gisbert, ich will mit Dir tanzen!“. Und ein Schweigen folgt. „Äh“ lächelt es freundlich und erwidert hoffnungsvoll „Das können wir gern machen, nachher dann, muss doch jetzt noch ein Konzert spielen“. Es wird nicht der einzige Ruf der netten Dame gewesen sein an diesem Abend, auch wenn der von ihm vorgeschlagene Salsa-Tanz auf der Bühne dann doch nicht stattfand. Fantreue, Schüchternheit, Schüchternheit. Als dann „Morsches Holz“ angestimmt wird, mit den prägenden Zeilen „Ich glaub ich weiß, was Du jetzt sagen willst/Sag es lieber nicht/Diese Träume warn nicht groß genug“ geht’s leicht in Deckung, „…das war so jetzt nicht geplannt“ wird eingeworfen und da ist er wieder, der schöne Humor, der kommen musste, der einfach Bestandteil eines solchen Abends ist, wie die Gören, die eine halbe Ewigkeit beim Merchandise verweilen, Buttons mit unterschiedlichsten Sprüchen begutachten und dann letztlich alle wieder zurückwerfend doch zum Shirt greifen. Oder das einsame Feuerzeug, das sich bei „So seltsam durch die Nacht“ im durchaus hübsches Saal verirrte – und natürlich das grandiose „Neues Jahr“, vorgeführt in verlängerter Version (generell ließ es sich Knyhausen nicht nehmen, einige Passagen, zum Erfreuen aller, mir nichts, Dir nichts umzudichten), mit ungemein viel Dynamik, sogar, ganz ohne Ironie im Sarkasmus, floydianischen Zügen. Da wurde Großes geboten, textlich, wie auch ganz besonders musikalisch. Gisbert zu Knyphausen ist mit „Hurra! Hurra! So nicht.“ nicht mehr das anfänglich so wirkende Singer/Songwriter-Projekt, sondern eine gut auf sich eingespielte Band, mit viel Spaß am Spaß, bei Balladen, wie auch eher rocklastigen Tracks. „Du bist ein Cowboy“ grinst mich die oben schon erwähnte Dame dann beim wundervollen „Wer kann sich schon entscheiden?“ an, der Hut wieder, und meint lächelnd, dass wir – verflixt, wurde wieder beim textsicheren Mitsingen erwischt – doch auf die Bühne sollten; tanzend und singend begleitend. Immer diese Tanzerei. „Aber hey, alles ist okay“ kriecht die Zeile des Setopeners dann ins Gedächtnis, manifestiert sich zwar nicht zum plötzlichen Bühnenauftritt, aber zum gemeinschaftlichen Abfeiern, zum Springen und zu einer Gewissheit: Gisbert zu Knyphausen schreibt immer auch ein wenig das Leben seiner Hörer nieder, nicht detailgetreu, aber wenn es ein Lebensgefühl gibt, das durch Kunst verkörpert werden kann, dann habe ich das gestern ganz deutlich wahrgenommen. Ein Soundtrack für den derzeitigen Lebensabschnitt, ganz ohne Zweifel, der mich wieder mit gutmütigem Lächeln durch den Sommer und in den regnerischen Herbst führt. Und auch auf weitere Konzert des Freigeists (Gisbert Wilhelm Enno Freiherr zu Innhausen und Knyphausen) und seiner Mannen, bereits am 27.Mai. Freu‘ mich.
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Hold on Magnolia to that great highway moon