Re: Leonard Cohen live

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irrlicht
Nihil

Registriert seit: 08.07.2007

Beiträge: 31,430

nail75[…]Wenn Du Dynamik erwartest, dann musst du wohl wirklich in die späten 60er zurück, denn schon auf „Live At The Isle Of Wight“ ist Cohen ultra-gemächlich. Und schau doch mal: auch damals gab es schon Background-Sängerinnen und eine Violine. Vor 43 Jahren![…]

Es geht nicht darum, ob die Musik „ultra-gemächlich“ ist, genauso wenig darum, ob Cohen sich nun viel bewegt, düstere Songs spielt oder den Balladesken gibt. Es geht darum, wie man die Mittel, die einem zur Verfügung stehen nutzt. Cohen hatte erstklassige Musiker an der Hand – ich finde ihr Zusammenwirken aber viel zu verschwenderisch. Die Musik dieses Mannes hat mich von jeher dann begeistert, wenn sie fein, akzenturiert und ohne unnötig kleisternde Patina war. Auch karg und spröde, ja, aber zunächst intensiv durch den Einsatz der Dinge zum ganz rechten Moment. Hier wirkte alles wie Zusammengeworfen, beständig mussten alle Geschütze in Bereitschaft stehen; ich hätte mir so gewünscht, dass Cohen irgendwann die Gitarre schnappt, meinetwegen „One of us cannot be wrong“ anstimmt, nur begleitet durch Alexandru Bublitchi. Oder ein sanftes „Last year’s man“, das so tödlich bitter, wie es klingt, von den Webb Sisters zu Ende beschlossen wird.

nail75Das liest sich schmissig, gibt aber nicht das Verhalten des Publikums wieder.[…]Aus meiner Sicht tust du ihnen mit deinen Aussagen sehr Unrecht.

Es geht nicht um Vergleichsstatistiken, Daniel – mir ist die Alterklassenkonsequenz absolut gleichgültig, ebenso ob bei Rock am Ring Zehntause mehr am Knipsen sind und wären: Es störte mich hier dennoch ganz gewaltig. Ich saß in der vorletzten Reihe oben und hatte damit den kompletten Saal im Blick. Ständig, praktisch im Zehnsekundentakt leuchtete irgendwo etwas auf, was der ohnehin schon gemächlich gediegenen Stimmung der Musik dann mehr und mehr den Boden abgegraben hat. Oder kurz: Das was ich gehört habe, hat mich ziemlich gelangweilt – und bei dem, dem ich dann mal gerne gelauscht hätte, war der Zugang durch permanente Ablenkung verwehrt.

nail75Der Show jegliche Intensität und Tiefe abzusprechen geht wirklich viel zu weit. Sie besaß das durchaus, wie ich es in meinem Artikel auch darzustellen versucht habe.

Nun gut, vielleicht nicht jegliche. Aber wir sprechen hier von Cohen, nicht von einem drittklassigen Künstler, der auf der Bühne mal einen glanzvollen Moment erlebt, sondern von einer Ikone, die wie kaum eine zweite schon mit ein paar langsam gesprochenen Sätzen etwas ganz Außerordentliches erschaffen kann.

nail75Vermutlich nicht, aber ich denke, dass der Bericht, gut geschrieben wie er ist, einen sehr einseitigen Eindruck des Konzerts vermittelt. Die „Hammond-Orgel“ (die natürlich keine war) war in den ersten drei, vier Songs sehr prominent und war auf dem Weg mich zu nerven, als sie plötzlich quasi verschwand und nur noch sporadisch eingesetzt wurde.

Meinetwegen, dann war es eben keine Hammond-Orgel, dafür mehrere Keyboards die entsetzlich genau dieses Klangerlebnis nachstellen konnten (das ist der Friedhof der Töne!).

nail75Der Eindruck, es habe sich um eine „eine routinierte, streng durchchoreografierte Show ab, die nach Las Vegas gepasst hätte“ gehandelt, drängt sich bei Irrlichts Kritik tatsächlich auf. Das ist natürlich eine maßlose Übertreibung. Ich finde, dass Cohen selbst diese riesige Halle in einen intimen Ort verwandelt hat.[…]

Das habe ich so auch nicht geschrieben. Cohen war ein charmanter, herzlicher Gastgeber, der sich und das Publikum über Stunden bei Laune gehalten hat. Das konnte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass da kaum mehr das ist, was ich an der Umsetzung dieser Tracks einstmals zu lieben begonnen habe. Es war einfach alles ein wenig zu glatt, zu kunsthandwerklich, zu routiniert, ja, zu seicht und langweilig. Mit „Ausverkauf“, wie Doc F es nennt, hat das für mich allerdings NICHTS zu tun, sondern einfach damit, dass der Mann und wohl auch seine Haltung zu seinen eigenen Songs, letzthin etwas zahm geworden ist. Ich finde das nicht schlimm – es berührt mich nur nicht mehr.

Ein ähnliches Phänomen wohl, wie wenn man einst „Parallel lines“ geliebt hat und dann irgendwann mit „Panic of girls“ in Verbindung kommt.

Stormy MondayIch hoffe, ich liege mit meiner Interpretation seines Berichts nicht zu sehr daneben.

Sehr richtig, Danke. Auch an Times, Doc F und E-L fürs Lesen und Kommentieren.

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Hold on Magnolia to that great highway moon