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nail75Bericht aus Mannheim
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Ich war gestern Abend auch dort – und war wahrlich alles, aber nicht begeistert.
Womöglich hat der Abend schon in falscher Stimmung begonnen: Zwischen Karlsruhe und Heidelberg/Mannheim sagenhafte 25 km Stau, die selbst nach vier Stunden, auf dem Rückweg also, noch nicht restlos gelichtet waren. Wir haben das Geschehen etwas umfahren, die Ankunft war allerdings dennoch die reinste Punktlandung.
Aber zum Eigentlichen: Mir hats leider gar nicht gefallen. Wer mich etwas kennt, weiß, wie sehr mir Cohens Musik nahe geht; seine Art zu singen, sein unheimlich eigenes Gitarrenspiel, das nie Staub ansetzen wird, seine Tiefsinnigkeit, seine Texte, in denen Dunkelheit, Verlangen, Lust, Hingabe und Verzweiflung mehr stecken, als bei vielleicht jedem anderen Lyriker der Singer/Songwriterszene. Es gibt wirklich Umstände im Leben, die können nur von Cohen intoniert und begleitet werden.
Aber nun gut, die Aufnahme von „Songs of love and hate“ ist Jahrzehnte hinter uns, ich hätte das vielleicht bedenken sollen. Was ich gestern erlebt habe, war nun vielmehr das Abziehbild der ehemaligen Intensität, die nicht nur auf Tonträger, sondern auch live zu hören war, wie man etwa anhand der kostbaren BBC Aufnahmen verfolgen kann. Am Maestro selbst liegt es nicht: Der tänzelt vergnügt, singt immernoch innbrünstig und tief, wie selten zuvor. Und generell: Der Mann ist eine eigentümmliche Präsenz, die jedem im Saal Respekt, Stille und Aufmerksamkeit abverlangt. Es ist vielmehr die Interpretation der Songs. Selbst bei dynamischen und oder hinreißend liebestrunkenen Songs wie „Lover lover lover“ oder „Suzanne“ schaue ich unruhig auf die Uhr, alle fünf Minuten wieder, weil ich keinerlei Dynamik wahrnehme, kaum Spannung – vielmehr hat sich der Zusammenschluss aus dauerhaftem Background-Sing-Sang, Gitarren, Streicher und der obligatorischen, immerzu grauenvollen (!) Hammond-Orgel zu einer gleichmäßig schunkelnden Kaperfahrt all der ü60 Herzen im Saal komprimiert. Ja, ich weiß, der Mann wird langsam alt und ein Konzert, solo mit Gitarre um den Hals erwarte ich nicht – mir blutet das Herz allerdings dabei, wenn ich hören muss, wie „Famous blue raincoat“ etwa nicht die romantische Dreiecksbeziehung kongenial musikalisch umstreicht, sondern zu einem überfrachteten Düdel-Sugo verkommt; wenn immer genau das kommt, was ich ganz gruselig abgedroschen finde, was aber einer „richtig guten“ Show gebührt (plumpe Feedbacks, seltsame Keyboard-Interludes, synchrone Tanzeinlagen, vollkommen einstudierte Gesten allgemein). Und es passte einfach alles: Neben mir greifen sich die ü60 Damen bei „Hallelujah“ pathetisch an die Brust und stieren (un)gläubig Löcher in die Hallendecke. Bei „Suzanne“ und „Waiting for a miracle“ wird geschmust und am Sekt genippt. Und wenn mal ein wirklich nicht überladener, intense as fuck! moment kommt, kann man sich gar sicher sein, dass wieder (ich saß sehr weit oben) fünf Dutzend Spacken die Kameras auspacken – am besten direkt neben mir – und den Raum mit Blitzlicht zuschießen. Ich hätte sie manches Mal am liebsten von der Berüstung gestoßen.
Nein, das ist meine Welt nicht mehr – ich glaube, ich bin da tatsächlich auch nicht mehr das Zielpublikum. Ich merke das bei derartigen Events leider immer öfter. Das war eine Show mit Hörern, die mit Cohen langsam gealtert sind, die jetzt nochmal in sinnlichen Erinnerungen schwelgen wollen – und die die dazu passende, zwar qualititv immer hochwertige, höchst professionelle Musik geboten bekommen (für mich war das lange Gitarrensolo der Moment des Abends), die aber zumeist leider so vollkommen ohne jegliche Intensität, Tiefe und Variantenvielfalt ist.
Ich habe zur Mitte von „Closing time“ den Saal verlassen. Mehr muss ich wohl nicht mehr sagen.
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Hold on Magnolia to that great highway moon