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Lob & auch weniger:
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Die beiden Titelbilder von Rauch könnten auch mit Schwefel in Verbindung gebracht werden und erinnern an Publikationen der Zeugen Jehovas aus deren Wachttürmen. Der Maler dagegen erweist sich im Interview als intelligenter Plauderer und seine Herangehensweise der Musikaneignung ist bestechend: es kommt zunächst auf das Cover an. Dass auf diese Weise offenbar eine recht veritable Sammlung entstand, verblüfft ebenso, wie seine Einteilung der zwei Arten von Musik. Bester Artikel im Mai-Heft.
****½
Die acht Seiten des nimmermüden Wolfgang Doebeling sind allein schon ein Kaufgrund für dieses Heft und wiegen mehr, als der ganze versammelte Auswurf an Monatsneuheiten. Seine missionarische Entdeckungsreise hat nichts mit Nostalgie zu tun, sondern führt auf beeindruckende Weise vor, dass man tonträgermäßig nicht immer den lautesten Trommlern und gewieftesten Werbestrategen hinterherstolpern sollte. Verkannt worden – wie der Titel dieser Meisterwerkesammlung es andeutet – sind die genannten Alben allerdings wohl eher von jenen, die sie gar nicht kennen. Gut, dass man so etwas ändern kann.
****½
“Der letzte Coup” – ein aus dem US-Rolling-Stone übernommener Artikel von David Fricke – steht natürlich im Zusammenhang mit den jüngsten Deluxe-Veröffentlichungen der Hendrix-Alben, macht aber ganz unabhängig davon beim Lesen erneut deutlich, welch große Musikerpersönlichkeit der Rockmusik so früh verlorenging; und obendrein neugierig auf die restaurierten und ergänzten Alben.
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Willanders schön geschriebener Nachruf auf einen Lebenden macht – nicht nur wegen des Geburtstages von Eastwood – Lust auf die erneute oder erstmalige Begegnung mit den Filmen dieser amerikanischen Ikone. Schade nur, dass BREEZY in seinem Text keine Erwähnung fand.
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Die fünf Seiten über “Shooting-Star” Gisbert zu Knyphausen von Reinhardt & Groß machen den modernen Liedermacher noch sympathischer, als er bereits ist. Raffiniert. Wer nach der Lektüre des Beitrags nicht unbedingt auch mal in das zitierte Album hineinhören mag, dem ist wohl nicht zu helfen.
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Einfach eine feine und runde Sache – das Rolling Stone Portfolio. Hoffentlich behält man diese Schau-Ecke bei. Das Photo von Bargeld ist ebenso klasse wie jenes von Peaches und vielleicht sollte ich mir gelegentlich ein Album von DJ Hell zulegen.
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Juli Zeh ist eine kluge Frau, die wunderbare Bücher schreibt. Ihre Zeilen über die Piratenpartei sind interessant; die geäußerten Gedanken könnten weitere Beschäftigung verdienen. Unklar ist allerdings, wie mit sozialversicherungspflichtiger Ironie und zwei Prozent Stimmanteil Demokratie zu retten ist, Wirtschaftskrise und Weltpoker zu beenden sind.
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Hentschels sympathischer kinderKram ähnelt von der Schrift her der berühmten kinderSchokolade und ist in gewissem Sinne auch ein Überraschungsei. Schade, dass diesem versteckten Tiefsinn vom Rande des Schulhofs so wenige Zeilen eingeräumt werden. Da sollte beim Elternabend der Redaktion noch einmal nachgehakt werden.
**½
Die Rare-Trax-Seite (zur beigelegten CD) ist ein offenbar von der Redaktion unterschätztes Eigengewächs, das nur halbherzig gepflegt wird. Der aktuelle Ausflug im Weltmusik-Pop in zehn Beispielen wird leider nur in ein paar kurzen Sätzen abgearbeitet. Abgesehen von Tamikrest geht es um Interpreten, die wenig Aufmerksamkeit im Magazin finden und die Möglichkeit ein wenig ausführlicher auf sie einzugehen – vielleicht auf einer Doppelseite – wurde vertan. Sehr schade.
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Den Coup der Veröffentlichung der Vinyl-Box der einflussreichen deutschen Band Neu! überhaupt zu erwähnen, kann man loben, dass auf der Doppelseite neben einem maximalen Photo nur ein minimaler Text prangt, nicht. Immerhin folgt später in den Reviews eine kurze Besprechung der Box. Die Kollegen von musikexpress haben das schöner gelöst.
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Unterwegs von Lounge zu Lunch und offenbar für Interviews ebenso wenig Zeit habend, wie für das Amt als FDP-Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, hat Silvana Koch-Mehrin immerhin Tosca zwischen den Beinen und trägt dabei Schuhwerk des Gestiefelten Katers. Märchenhaft.
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Stuckrad-Barre n’existe pas. Pop Shopping ist unzweifelhaft Else Stratmann pur. Popcorn mit Pop. Das diesmal Bon-lose Geschnatter kreist schwadronierend um mindestens 22 im Text untergebrachte Ichs und immerhin sind auch Deutsche unter den Opfern.
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Was haben Courtney und Craig in New York bloß gemacht? In dem dreistündigen Interview kommt es gerade einmal zu acht Fragen und ebenso viel Antworten. Die ausgebeutete Anhängerin des Reinheitsgebotes jammert in ihrem Penthouse über finanzielle Desaster und kauft ihrer Tochter ein Haus. Gut, dass man das endlich weiß.
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Die fünf Seiten, die um den überschätzten Wainwright gestrickt wurden, sind nicht der Rede Wert, sind allerdings auch nur Rahmenhandlung einer Modestrecke, bei der nur noch die Preisangaben fehlen.
*½
Das Thema Amerika und seine Moral wäre ein hochinteressantes Sujet gewesen; natürlich nur, wenn dies nicht auf zweieinhalb Seiten heruntergewischt und mit Bildern aus dem Goldenen Blatt verziert worden wäre. Verschenkt. Hätte man auch eindampfen und unter Randnotizen unterbringen können. Bilder: Hefner & Woods; Text: “Normalerweise leben Pfaue in der Gesellschaft von zwei bis fünf Hennen. Nur in Gefangenschaft gibt sich der Pfau mit einer Henne zufrieden. Ist er frei, tendiert er zu fünf.”
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