Antwort auf: Folgende Ausstellung werde ich besuchen …

Startseite Foren Verschiedene Kleinode von Bedeutung News & Gossip Folgende Ausstellung werde ich besuchen … Antwort auf: Folgende Ausstellung werde ich besuchen …

#7589845  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 68,342

lovely_creatureKonrad Witz war unter anderen ein Maler, den ich in meinem allerersten Proseminar in Nürnberg behandelt habe (Farbgebung). Das war sehr spannend.
Ich würde mir die Ausstellung sicher auch ansehen. Erzähl ruhig etwas darüber, wenn Du sie gesehen hast.

War heute da – sehr, sehr toll!

Sehr eindrücklich auf jeden Fall, wie da die wohl erste Landschaftsdarstellung der deutschen Malerei (Basel war damals, in der Zeit des Konzils, eine freie Reichsstadt) entsteht – eben Jesus auf dem Genfersee. Leider sind die Bilder des Genfer Altars nur in Abbildungen vorhanden, die können nicht mehr reisen versicherungstechnisch anscheinend. Muss sie mir wohl mal ansehen gehen, falls das in Genf möglich ist…

Zwei Dinge fand ich spannend: zum ersten natürlich, wie Witz den Raum bespielt, wie gewisse Elemente der Bilder förmlich den Bildraum zu sprengen scheinen und den Betrachter ins Bild ziehen, am auffälligsten wohl der Schlagbaum in der „Begegnung an der goldenen Pforte“ (vom Olsberger(?) Altar):

Gerade in diesem Bild wird allerdings auch das zweite deutlich, was ich so spannend finde: wie Alltägliches in den sakralen Bildern auftaucht. Hier der Rost, der von der Befestigung des Schlagbaumes herunterläuft, die Pfützen, das Unkraut, im Torbogen (der wohl gar keiner ist) im Hintergrund die Spinnweben… sehr schön auch, wie durch die Nische in der Nische ein Fenster noch einmal den Blick auf die goldene Mauer öffnet.

Beim berühmten Petri Fischzug (vom Genfer Altar) sind im Hintergrund diverse alltägliche Tätigkeiten erkennbar, es wird mit Pfeil und Bogen hantiert, gewaschen (?), gejagt… auf der Flagge, die der vorderste Reiter der Kolonne am gegenüberliegenden Ufer trägt, ist zudem das Wappen der Herzogs(?) von Savoyen zu erkennen, der das Bild glaub ich gestiftet hat? Witzig das Detail von Petrus im Wasser: sein Mantel wird vom Wasser verdrängt, die Beine werden sichtbar… auch das schon unglaublich realistisch dargestellt!
(Aber eben: von den Genfer Altarbildern gibt’s leider nur – vermutlich originalgrosse – Reproduktionen zu sehen.)

Obige Tafel aus Basel (die weiteren Teile wie auch die anderen Witz zugeschriebenen Bilder findet man >hier<) ist ebenfalls toll. Der Ellbogen sticht förmlich aus dem Bild hinaus, die Hände sind äusserst modern (konnte Dürer nicht so gut, oder?), die Spiegelungen in der Rüstung mit unglaublicher Vorsicht gemalt (besonders der Turnierhaken). Das Bild erzählt aber auch die Geschichte (ich bin versucht zu sagen: den Witz), die im nächsten Moment geschehen wird: der stolze Ritter, der direkt wohl vom Turnierplatz kommt(man beachte den lädierten Mantel und die Kampfspuren am Helm), um König David (in der Tafel daneben, oben nicht sichtbar) zu huldigen wird unter lautem Gerumpel umfallen, weil der Herr hinter ihm auf seinem Mantel steht…

Das Bild von Katharina und Magdalena in einer Basler Kirche fand ich wohl das faszinierendste. Da ist erst mal der Altar links im Mittelgrund, auf dem eine Kerze grad erlischt. Diese Kerze führt uns auf die Spur zum Lichtreflex ganz links auf dem Altarbild (das wohl eine Kreuzigungsszene darstellt). Der Fuss eines zweiten Kerzenständers ist nämlich grad noch auszumachen, und auf diese Weise macht Witz im Bild im Bild quasi die Abbildung des nicht Abbildbaren möglich.
Dann ist da der Ausblick auf ein typisches Basler Haus am Ende des offenen Säulenganges. Das ist hier nicht zu erkennen, aber im Fenster im ersten Stock steht eine dieser geschnitzten Figuren, wie Witz sie wohl auch selber gefertigt hat und sie schon an der goldenen Pforte oben dargestellt hat (er zeigt – nicht nur hier – den Bildhauern, dass er das alles auch in der Malerei in Perfektion abbilden kann… noch schöner sind solche Details auf einigen wenigen in der Ausstellung abgebildeten Fragmenten von Kirchen-Fresken zu sehen… Witz braucht keine Architektur und keine Bildhauerei, ihm reicht die Malerei, um ein beinah vollendetes trompe-l’oeil herzustellen, in dem Figuren und Säulen geradeso perfekt wie in der Realität sind). Das witzige – man vergebe mir den Kalauer – ist dabei, dass da nicht nur so ein Figürchen steht, sondern dass das Haus als Künstlerwerkstatt erkennbar ist, mit Verkaufsauslage und dem stolzen Besitzer im roten Wams vor dem Haus (inklusive Spiegelung in der Pfütze).

Für mich als grossen Ignoranten vor dem Herrn was Ikonen und all das religiöse Zeug betrifft und überhaupt Malerei vor der Renaissance betrifft, war die Ausstellung jedenfalls eine – na ja, Offenbarung wär ein wenig übertrieben, aber sowas in der Art. Enorm faszinierend!

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #163: Neuentdeckungen aus dem Katalog von CTI Records (Teil 2), 13.5., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba