Re: Gisbert zu Knyphausen – Hurra! Hurra! So nicht.

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irrlicht
Nihil

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So, jetzt aber.

„Hurra! Hurra! So nicht.“ ist eine ganze Spur anders geworden, als ich erwartet hatte. Dass zu Knyphausen den frischen Charme nicht schlicht duplizieren konnte und mancher Thematik auch andere Wege eröffnen musste, war abzusehen, dennoch bin ich fast fassungslos, wie anders der Zweitling eigentlich klingt. Das ist zwar immer noch der grinsenden Kerl mit den einfühlsamen Songs (mitten aus dem Alltag und letztlich auch wieder gerade dafür), aber das klingt doch alles deutlich komplexer, vielseitiger, zuweilen dunkler und offensiver. Eine Kriegserklärung ist das Album natürlich nicht, aber man könnte behaupten, dass sich der Herr hier von der Vorstellung vollends verabschiedete, einem ominösen Solistenstatus gerecht zu werden, wie der Bandname womöglich vortäuscht. „Hurra! Hurra! So nicht.“ ist ziemlich deutlich erkennbar mehr Band-, als Singer/Songwriter-Werk, mit zuweilen schier bahnbrechender Rhythmik und Gitarrenarbeit. Um zu den Songs selbst zu kommen: Die sind letztlich immer noch weitaus mehr Gisbert, als man nach dem ersten Hören denken will. Alles etwas mehr verschachtelt und weniger auf das einzelne Wort an sich bedacht, die raffinierte Pointe, die dann zumeist vom sich ändernden Takt sehr schön untermauert wird, gibt es aber weiterhin. Besonders schön gelingt das bei „Dreh Dich nicht um“, bei der nur die Akustikgitarre begleitet – „Trag’ dieses Lachen bei Dir, wenn Du gehst/Ich mag es sehr“; und dann kommt die Trompete zum Zug und beleuchtet und ummantelt den Track auf so grandiose Weise, dass mir fast Angst und Bange wird. Es tut einfach so unendlich weh.

Ebenso famos ist „Grau, Grau, Grau“ (wäre eine schöne Single geworden), das Lied von der ewigen Wanderschaft, bei der der Blick übers Meer zieht und auf das Schiff wartet, das bereit ist, den vom ewigen Grau müden Gesellen mit sich zu nehmen. Dahin, „Wo mich niemand sieht/mich niemand hört/und mich niemand fragt: Wie solls jetzt weitergehn’? Das weiß ich doch auch nicht!“. Spricht mir aus dem Herz, Mercí. Großartig an diesem Titel ist auch das instrumentelle Bild, das mich mal so gar nicht an deutsches Liedgut erinnert, im Gegenteil sogar eher darauf schließen lässt, dass der Gute ein wenig bei Modest mouse, Oasis, Muse oder sonstigem durchaus auf kraftvollen Rhythmus bedachten Kapellen eingehört hat. Großartig arrangiert jedenfalls, mit schöner Arbeit von Fricke an den Saiten und fast hall-artigem Refrain. Leuchtet. Das ist die eine Seite von „Hurra! Hurra! So nicht.“, bei der auch das intensiv-introvertierte „Morsches Holz“ (thematisch dem überirdischen „Unvollständigkeit“ der Einstürzenden Neubauten durchaus ähnlich), der Titelsong (das Ende ist absolut brillant, lass’ die Band ruhig öfters mal ausbrechen!), die Single, „Melancholie“ (schöner Humor, mag ich gern) und das absolut anrührende „Ich bin Freund von Klischees und funkelnden Sternen“, das die noch mal verbesserte Version der kleinen Ballade darstellen könnte, mittlerweile völlig zu überzeugen wissen. Der Rest der Tracks kann da m.E. allerdings nicht mithalten. Natürlich sind auch „Kräne“ oder „Seltsames Licht“ (schöner Refrain) hörenswerte, gar gute Titel (auch wenn ich bei letzterem immer noch nicht ganz sicher bin, von was er eigentlich handelt. Trennung? Verlust? Tod? Höre ich da Parallelen zu Son Gokus „Hier sind wir sind hier“? Und was hat es mit den sechs Jungs auf sich?), aber das zieht sich irgendwie, der Abschlusstrack „Nichts als Gespenster“ ist dann sogar so herrlich zäh (nicht bissfest!), dass mir nach der Hälfte das Interesse vergeht. Und der locker-flockige Einschub inform vom „Rastplatz Krachgarten“ ist zwar gut gemeint, haftet aber im Gedächtnis, als hätte man ihn auch nach fünfzehn Durchläufen immer beim Hören vernachlässigt. Besonders ärgerlich ist aber der bereits angesprochene Opener, „Hey“, der nicht nur der schwächste zu Knyphausen Track bisher sein dürfte, sondern auch gerade darum schmerzt, weil jener des Vorgängers einfach umwerfend schön war. Im Grunde ist der Titel nicht mal schlimm, will aber weder ins Bild passen, noch wirkt sonst irgendwie beachtenswert. Ein klassischer Füller, direkt als Einstieg.

Zusammenfassend: Auch „Hurra! Hurra! So nicht.“ ist ein tolles Album geworden, das aber weitaus weniger ausgewogen daherkommt, als es der völlig in sich geschlossene Vorgänger tat. Aber: Die Entwicklung ist hier absolut beachtlich, der textliche Rahmen vergrößert, die Band für ein paar wundervolle Momente etwas mehr von der Leine. Und mit „Grau, Grau“, Grau“, „Dreh Dich nicht um“ und „Ich bin Freund von Klischees und funkelnden Sternen“ finden sich gleich drei absolute Perlen, die mir seit Tagen schöne Begleiter stellen. Und jetzt „leg’ ich auch meinen Kopf in die Nacht und die Füße in den Sand“ und mach’ mich an die weitere Abendgestaltung. Gracías, Gisbert!

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Hold on Magnolia to that great highway moon