Re: 31.01.2010

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wolfgang-doebeling
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KICKS ON 45 & 33

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Fair enough. Wenn die aktuelle Ausgabe der Auslöser für Deine Kündigung war, ist es natürlich schwer, Gegenargumente aufzubieten. Allerdings gebe ich zu bedenken, daß in der Entwicklung von Zeitschriften immer eine gewisse Dynamik steckt, es werden Grenzen ausgereizt, nach unten meist, um herauszufinden, wie groß und tragfähig der gemeinsame Nenner ist, wie belastbar die angestammte Leserschaft. Daraus werden dann schon deshalb für gewöhnlich die richtigen Schlüsse gezogen, weil man auf der Verliererstraße ist, wenn man so verlorene Stammleser nicht mit mindestens derselben Zahl von Neu-Abonnenten kompensieren kann.

Solche Markt-testenden Pendelbewegungen kannst Du bei allen Periodika beobachten. Siehe „Spiegel“: dort begann man vor ein paar Jahren, sich einer Klientel anzubiedern, die qua fortgeschrittener Hirnaufweichung an esoterischen Themen Gefallen fand. Frauen ab 50 zumeist, nicht selten mit akademischer Vorbildung, die sich sinnsuchend auf alles stürzten, was vorgab, ihren Befindlichkeiten auf die Sprünge helfen zu können, von Feng Shui bis zum Legen von Tarotkarten. Keine kleine Minderheit und überdies begütert. Also brachte „Der Spiegel“ Titelgeschichten über Astrologie, das Leben nach dem Tod, Seelenwanderung und dergleichen Unfug. Woraufhin besagte Damen in Sackgewändern und roten Turnschuhen zwar zugriffen, aber nicht annähernd in ausreichender Zahl, um die Kaufabstinenz geistig gesünderer Stammleser auszugleichen. Weshalb man inzwischen bemüht ist, religiösen Themen einen gewissen rationalen Anstrich zu verpassen, indem man sie geschichtskundlich aufbereitet. Auf der anderen Seite hat sich ein dem „Focus“ angepasstes, sprachlich-journalistisches dumbing down offenbar bewährt. Sonst gäbe es nicht solche Idioten-Rubriken wie „Was war da los, Herr Xi-Li Mun?“ oder diese peinlich-depperten Überschriften, die mit „Wie“ oder „Warum“ anfangen und den Leser behandeln als wäre er ein Kleinkind: „Warum die Bahn noch nicht an die Börse geht“ oder „Wie ein hessischer CDU-Bürgermeister die Grünen hofiert“.

Ich schweife ab, sorry. Was ich sagen wollte: die qualitativen Aufs und Abs von Periodika haben ihren Ursprung fast immer in Unsicherheit. Wen erreichen wir mit Modestrecken oder Nackedeis, wen stoßen wir damit ab? Und vor allem: wie viele? Keine Attraktion ohne Repulsion. Das wird eben ausprobiert. Ich erinnere an den Aufruhr seinerzeit, als die Backstreet Boys das RS-Cover zierten und die Beatles zur ersten Boygroup deklariert wurden. Eine Dummheit, die zu wiederholen man tunlichst vermied. Weil dieser Versuchsballon platzte. Kein RS-Spezifikum, mind you, das gilt auch für Magazine, die hier einen besseren Ruf haben wie etwa „Mojo“. Als die vor Jahren Abba auf’s Cover hievten und im Heft ein allzu unkritisches Loblied auf die nährwertarmen Schwedenhappen anstimmten, brach nicht nur die Auflage um einige tausend ein, sondern es wurden nicht wenige Abos gekündigt und die Reputation des Blattes litt nachhaltig. Ich erinnere mich an eine heftige Diskussion bei „Helter Skelter“, einem Musikbuchladen in Soho, der leider inzwischen schließen mußte. Tenor der meisten Diskussionsbeiträge war: einem Blatt, das solchen musikalischen Biedersinn verklärt, sei grundsätzlich zu misstrauen. Meine Einwände, daß eine Zeitschrift aus sehr viel mehr bestehe als aus der Titelstory und ihr Wert sich nicht zuletzt in den Rubriken und Rezensionen erweise, im Fachverstand, der noch in den kleinsten Beiträgen walte, wurden zwar zuerst beifällig kommentiert, dann aber dadurch desavouiert, daß ich mich als Nicht-Abba-Verächter zu erkennen gab.

Übertragen auf die aktuelle Situation heißt das: Bushido mag ein Brechmittel sein, Lindenberg ein schlechter Witz, G.Gabriel eine bemitleidenswerte Null und Kunze eine Zumutung, aber in der Berichterstattung über solche Gestalten bundesdeutscher Populärkultur erschöpft sich der RS mitnichten. Sein Gebrauchswert liegt doch jenseits, in dieser oder jener Empfehlung, Warnung, Erklärung und Aufklärung. Immer noch, meine ich. Sie liegt in der Qualität seiner Autoren, in deren Fachkompetenz und Sprachpotenz. Die ist naturgemäß unterschiedlich, aber wo denn nicht? Ich finde in jedem „Mojo“, „Word“ oder „Uncut“ Artikel, die nicht das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt wurden. Und Fehler. Das hindert mich nicht daran, sie zu lesen. Plus hundert andere Musiktitel, mindestens. Keinen einzigen freilich vollständig. Okay, in „Goldmine“ interessiert mich sehr viel mehr als in „Q“, in „Blues & Rhythm“ ungleich mehr als im „NME“, aber auf den „NME“ verzichten? Unmöglich. Er hat nicht mehr das geringste gemein mit jener aufregend faszinierenden Publikation der späten Siebziger, doch finde ich in jeder Ausgabe ein paar Hinweise auf neue Bands oder anstehende Veröffentlichungen, über die mich „Mojo“ (oder andere Monatsmagazine), wenn überhaupt, erst Monate später informiert. Will sagen: weder scheint es mir angebracht, von einer einzigen Zeitschrift zu erwarten, umfassend bedient zu werden, noch, ihre sämtlichen journalistischen Leistungen anerkennen oder gar goutieren können zu müssen.

Ich weiß, daß Du das weißt. Trotzdem glaube ich, daß die Maßstäbe, die an den RS angelegt werden, hier oft höher sind als die an andere Magazine. Man will sein Leib- und Magenblatt möglichst perfekt auf die eigenen Ansprüche abgestimmt, doch das ist illusorisch. Eine Publikation für sich nutzbar zu machen, heißt nicht zuletzt, sich auf Lektüre einzulassen. Auch und gerade zu Themen, die noch nicht auf dem eigenen Radar der Interessen aufgetaucht sind. Es berührt mich immer peinlich, wenn ich im Thread zum neuen Heft lese: „Diesmal interessiert mich rein garnichts“. Nur aufgrund der von Gerrit eingestellten Inhaltsangabe. Man wetteifert darin, als ob das Paradieren geistiger Armut eine sportliche Disziplin wäre. Fremdschämen, das mich auch überkommt, wenn die ganz Blöden ihre immergleichen Argumente des Für und Wider auffahren: Für das Jungaktuellfrische, wider das Altbärtigüberkommene. Oder genau umgekehrt: Für das Altbewährtbedeutsame, wider das Jungtrendigflippige. Schwer zu sagen, was kurzsichtiger ist. Ageism. In Kulturfragen! Als ob eine Generation der anderen etwas voraushabe außer mehr oder weniger Erfahrung, mehr oder weniger Stamina, mehr oder weniger Haare und Falten. Frappierend, immer wieder. Besonders, wenn dabei Abschätzigkeiten fallen wie „alte Säcke“ oder „junge Hüpfer“. Und sie fallen verläßlich, leider.

Wie komme ich jetzt darauf? Richtig, die „Heftkritik“ im dafür vorgesehenen Thread, bevor das Heft überhaupt vorliegt. Was mich zurückbringt zum Ausgangspunkt: Deine dort kommunizierte Abo-Kündigung. In Anbetracht der ohnehin auseinanderdriftenden Galaxien Heft und Forum, im Wissen um diese immer ärgerlichere Dichotomie, ist Dein Schritt ein eher bedauerlicher. Was dieses Forum verbindet, so meine anfänglich naive Annahme, sei der „Rolling Stone“. Das hat sich weitgehend erledigt, fürchte ich. Was aber ist der Kitt, wenn nicht gemeinsame Lektüre? Man könne davon ausgehen, daß alle, die sich im Forum anmeldeten, irgendwie musikinteressiert seien, schrieb mal einer. Sicher, irgendwie schon. Aber bei den meisten reicht das Interesse gerade mal für’s Internet. Ahnungslosigkeit, via YouTube kaschiert und treuherzig Wiki-fundiert. Man legt und folgt Links, meinungsbildend. Das ist kein Kitt, sondern Suhlen in Affirmation. Für jedes noch so schwachsinnige Theorem lassen sich schließlich „Belege“ im Internet finden, keine Idee ist zu idiotisch, um dafür nicht Apologeten auftreiben zu können. Reine Beliebigkeit, die schwerlich als Plattform für Austausch taugt. Als ich mich vor Jahren von Gerrit überreden ließ, hier mitzutun („leider!“ – ein Zwischenruf von dr.music), dann deshalb, weil mir an Feedback lag. Zu „Roots“ kommt das noch sporadisch, sofern ich nicht alte, rare Singles spiele, die kaum einer kennt. Zum „Rolling Stone“ schon lange nicht mehr, weil den, wie’s scheint, nur noch wenige hier wahrnehmen. Jedenfalls nicht als sich einmischende Stammleser, allenfalls als nur punktuell partizipierende Gelegenheitsleser (euphemistisch: „kritisch prüfende Einzelkäufer“). Zu denen nun auch Du gehörst. Bedauerlich, wie gesagt (in viel zu vielen Worten, ich weiß).

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