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nochmal ein kurzer Post, bevor es wieder richtig losgeht… manchmal geht es nicht anders, da muss man Musik vorstellen, die es nur als mp3 download gibt ist aber bei der Klangqualität der Aufnahmen vielleicht verschmerzbar…
The Ronnie Singer Tape
es gibt, grad in diesen regionalen Jazzszenen wie Chicago, immer wieder Künstler, die von ihren Mitmusikern aufs höchste gelobt werden, von denen aber fast keine Spuren erhalten sind… Andrew Hill hat betont, seine drei größten Einflüsse seien Charlie Parker, Thelonious Monk und Ike Day gewesen, von Day sind wohl mehr Aktenvermerke als Aufnahmen erhalten (s. das Ende des Dave Young Posts)… Charles Davis hat kürzlich als einen seiner drei wesentlichen Einflüsse den ziemlich obskuren Chicagoer Saxophonisten Swing Lee O’Neil herausgestrichen, einen frühen Sideman von Sun Ra, dessen wenige Aufnahmen wohl nur mit größter Mühe zu finden sein dürften… und dann gibt es Ronnie Singer, einen Gitarristen, der von den wenigen, die ihn Ende der vierziger Jahre in Chicago oder Anfang der fünfziger Jahre in New York gehört haben, immer wieder in höchsten Tönen gelobt wurde. Singer (ca 1927 – ca 1951), war im Chicago der vierziger Jahre ein Weggefährte von Jimmy Raney und Jimmy Gourley. Gourley hat immer wieder betont wie stark sie sich gegenseitig beeinflusst haben, und welche Vorreiterrolle Singer dabei hatte… In Ira Gitlers Swing to Bop sind eine Reihe weitere Lobeshymnen auf Singer abgedruckt, Lee Konitz, Lou Levy, auch beide mit Wurzeln in Chicago und der Kritiker Dan Morgenstern beschwören Singers verlorenes Potential, ich zitier mal nur Gitler selbst, „He had a spirit, a sound that reminded me of Charlie Christian, that kind of raw sound and power.“
Bis vor kurzem endete die Geschichte damit, dass Singer seinen Kopf Anfang der fünfziger Jahre zu lange in ein Ofenrohr gesteckt hatte (absichtlich) und der Nachwelt keine Aufnahmen hinterlassen hatte, auf denen man etwas von seinem Talent hätte hören können (auch keine anderen Aufnahmen, ein Foto war bisher auch nicht zu finden, für mich jedenfalls…). Seit einigen Tagen kann man sich nun die Inhalte eines Tapes, das in den fünfziger Jahren mit Gourley nach Frankreich ausgewandert war, anhören und herunterladen. Vorhin erst habe ich den „Flair“ von Tony Fruscellas Open Door Aufnahmen gelobt. Hier ist diese besondere Stimmung des New York der frühen fünfziger Jahre vielleicht noch deutlicher zu spüren; die Jazzwelt blickte an die Westküste, Billie Holiday, Lester Young, Charlie Parker waren scheinbar nur noch Schatten ihrer selbst, aber sie sollten noch für Jahre durch die Stadt schleichen und immer wieder punktuell zu ihrer alten Größe zurückfinden… irgendwie so, Robert Reisner’s „Bird: The Legend of Charlie Parker“ beschreibt eindrucksvoll diese Szene rund um das Open Door, auch Singer wird irgendwo kurz erwähnt (das Open Door selbst hat er aber, glaub ich, nicht mehr erlebt). Es gibt so eine Konvention, weiße Musiker aus Singers Altersgruppe dem Cool Jazz zuzuordnen, Jimmy Raney hat sich öfters dagegen gewehrt und betont, dass er sich selbst als Bop Musiker sieht; soweit ich das hören kann, allein schon von dem enormen Biss her, mit dem er spielt, bin ich geneigt, auch Ronnie Singer eher im Bebop als im Cool Jazz anzusiedeln…(mehr noch als Raney, die Frage, was Cool Jazz eigentlich ist, ist allerdings eine schwierige, insofern ist das vergleichsweise schwer wasserdicht zu machen…). Die Band auf dem zwanzigminütigen Tape ist ein Quintet, Rhythmusgruppe mit Klavier, Bass, Schlagzeug, ein Trompeter und Singer. Leider sind alle drei Stücke stark editiert, die Mitschnitte von Tea for Two und Donna Lee beschränken sich weitestgehend auf Singers Solo, nur auf Shine, dem Herzstück des Tapes, ist das Thema zu hören dort sind auch vor und nach Singers Solo zwei kurze Trompetensoli (teilweise) übriggegblieben. Der größte Teil von Shine besteht aus Fours, also einem Frage- und Antwort-Spiel zwischen Singer und dem (nicht identifizierten) Trompeter. Der Trompeter spielt in einem interessanten Stil, der Swing- und Bop-Elemente verbindet, für meine Begriffe wiederholt er sich ein bißchen. Das führt einem aber umso eindrucksvoller den grandiosen melodischen Erfindungsreichtum von Singer vor Augen, und eine Zielstrebigkeit, die nicht so recht zu seinem tragischen Ende passen will… „that kind of raw sound and power“ trifft es schon ziemlich gut.
Bleibt zu sagen, schade dass es nicht mehr gibt, schade, dass es Singer nicht besser ergangen ist, hier geht es zu den Aufnahmen.
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