Re: The Chicago Sound

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redbeansandrice

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Tolle Idee für einen Thread!

Joe Daley Trio – At Newport ’63

Ich dachte, ich lehn mich mal ein Stück weit aus dem Fenster, und schreib was über das Album Joe Daley Trio in Newport von 1963. Daley, nicht zu verwechseln mit dem Tuba-Spieler gleichen Namens ist ein ziemlich vergessener Exponent der Schule der großen Tenorsaxophonisten von Chicago… Sie beginnt mit Leuten wie Gene Ammons, Johnny Griffin, Von Freeman… es sind sehr viele, die wenigsten sind so bekannt geworden, wie sie es verdient hätten… auch Fred Anderson hat hier ganz klare Wurzeln – das sollte wohl auch dessen Albumtitel „The missing link“ sagen… Daley würde ich irgendwo in der Mitte zwischen Ammons und Anderson ansiedeln, jedenfalls hat er auch so einen tollen, vollen Saxophonton und seine Musik auf diesem Album steht irgendwo zwischen Hard Bop und Free Jazz. Die anderen beiden Musiker in Daley’s Trio sind der Bassist Russell Thorne und der Schlagzeuger Hal Russell, der damals am Anfang seiner Karriere stand und noch kein Multiinstrumentalist war – sollte dieser thread sich so entwickeln, wie ich das gut fände, ist der Name nicht zum letzten Mal gefallen. Thorne hat scheinbar keine weiteren Aufnahmen gemacht und sich in seiner späteren Laufbahn vorwiegend mit Esoterik auseinander gesetzt – umso überraschender sind seine virtuosen Beiträge auf diesem Album.

Ein paar Worte zur Musik… im Hinterkopf höre ich schon wieder diese Stimmen, die sagen „und das soll jetzt Free Jazz sein“, die Musik wirkt sehr durchdacht, reflektiert, ein bißchen spröde… die Trio Alben von Sonny Rollins sind ein klarer Bezugspunkt, aber die Musik hier ist viel weniger dicht, einfache, symmetrische Linien; frech könnte man behaupten, es sei sowas wie Rollins trifft neue Musik. Auch an die Tristano Schule (die ja übrigens auch ihre Wurzeln in Chicago hat) hat mich die Musik eine Spur weit erinnert, oder an Steve Lacy… Der große Unterschied zu Tristano, Lacy, der verkopften Seite der Jazz-Avantgarde ist, dass Sound (Wohlklang) hier so eine große Rolle spielt, Thorne’s gestrichener Bass, der klassische Jazztenorsaxophonton von Daley stehen weit im Vordergrund… manchmal ruht sich die Musik 10 Sekunden auf einem einzelnen schönen Ton aus… die Intensität die man mit dem Free Jazz verbindet erreicht das Album nur punktuell. Allerdings: Dass die Musiker die Intensität überhaupt so stark variieren ist vielleicht das, was das Album am weitesten in die Nähe des Free Jazz rückt – im Hard Bop ist die Intensität innerhalb eines Stücks ja doch meistens relativ konstant.

Sicherlich ist das hier kein Album für Top 10 Listen, so ganz ausgrereift wirkt das alles noch nicht – aber für mich fasst es schön zusammen, was den Jazz in Chicago ausmacht und nimmt zwar einerseits eine Außenseiterposition ein, steht aber andererseits auch irgendwie in der Mitte zwischen dem Hard Bop der 50er und dem Free Jazz der späten 60er…

Hier und hier gibt es Erinnerungen aus erster Hand an das Daley Trio. Dort gibt es auch eine Diskussion zu den strittigen Fragen „wieviel vom Applaus ist Overdub/wieviel von den Aufnahmen ist tatsächlich aus Newport?“
Jedenfalls steht das Album mit seinem falschen Applaus in der Geschichte des Free Jazz wohl weitgehend allein… Das eine Zitat von Larry Kart fand ich ziemlich erhellend und setze es mal hier hin

As for the Joe Daley Trio, I think it was a mostly mixed marriage or a mis-marriage. Daley seemed to come at outside playing from the outside, so to speak. Unlike the two Russells (especially Thorne at that time–Hal R.’s full-scale emergence lay some years ahead), he didn’t feel its logical necessity; for him it was more like decor laid on top of bebop roots. […] But the trio got better IMO because Thorne and Hal Russell’s ideas of how the music should go were winning out over Daley’s (this was a turbulent bunch of guys in every way), and understandably Daley was not happy about this; he expressed satisfaction when Thorne left , and he preferred (or said that he preferred) Thorne’s more straightahead (at least at that time) replacement Donald Garrett. As I recall, this second version of the Daley Trio was short-lived and was more or less in a Rollins at the Vanguard bag, which probably was where Daley had wanted things to be all along.

Das Album ist scheinbar irgendwie in der Public Domain gelandet (oder so ähnlich) und zwar hier. Leider sind die Dateien der letzten beiden Tracks irgendwie beschädigt, auf ebay gibt es auch ein paar Exemplare des Originals.

Daley war später vor allem als Lehrer aktiv. Er taucht nochmal auf einer Liveaufnahme von Kenny Dorham aus Chicago auf (The Charlie Parker Memorial Concert, auf zwei Stücken, in der Band außerdem Wilbur Campbell [der Schlagzeuger von „The Chicago Sound“] und Muhal Richard Abrams), außerdem gibt es ein Album zusammen mit seinem Schüler Rich Corpolongo, zwei Saxophone mit Liveelektronik, ich habe es nicht gehört.

@thelonica: Auf dem Album “Folk Bass Spirit Suite“ des Trios (Don) Moye/Sissoko/Capone, findet sich noch eine weitere Wilbur Ware Hommage aus dem erweiterten AACM Umfeld.

Nachtrag: gefühlt steh ich zwar zu einer Chronologie wie Ammons, Griffin, Daley, Freeman (?), Gilmore, Anderson (jedenfalls Ammons und Griffin vorne, Anderson hinten), aber ich sollte wohl dazu sagen, dass es von den Geburtsdaten her anders aussieht – aber da gibt es bei Jazzmusikern dieser Jahrgänge ohnehin viele Überaschungen… Tatsächlich ist es Daley (1919), Freeman (1922), Ammons (1925), Griffin (1928), Anderson (1929), Clifford Jordan (1931), John Gilmore (1931) – irritierend ist die Liste, weil sich diese Künstler sehr unterschiedlich stark weiterentwickelt haben und weil grad Freeman und Anderson fast alle ihre Alben, sagen wir, nach Ammons‘ Tod aufgenommen haben…

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