Re: 01.11.2009

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otis
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Wolfgang DoebelingWas wäre über die Kindertotenlieder zu sagen, rezeptionsgeschichtlich?

An die Mahler-Renaissance Ende der 60s ff erinnerst du dich? Bis dahin war er in der Klassik-Szene eher übersehen, überhört, etwas belächelt, vor allem weil zeitgleich und kurze Zeit später ihm die zweite Wiener Schule (Schönberg, Berg, Webern) den Rang abgelaufen hatte (obwohl sich diese gern und oft auf Mahler bezog und ihn hoch in Ehren hielt).
Auch verstand man ganz und gar nicht Mahlers Liebe zu einfachen Weisen, ausgefallenen Instrumentierungen, übergroßen Orchestern etc. Mahler, der letzte große Spätromantiker, war mithin ein Vorläufer der Postmoderne. Und ich erinnere mich gut, dass im Zuge seiner Wiederentdeckung damals auch häufiger mal das Wort Pop-Art fiel.
Außer Bruno Walter (ein Schüler von ihm) nahm kaum jemand im Klassikbetrieb Notiz von dem Mann, bis Adorno sein großes Mahler-Buch schrieb und Bernstein und Kubelik dann die ersten Gesamtaufnahmen seiner Sinfonien präsentierten. Plötzlich war die Zeit reif. (Von da an war Mahler ein neuer Star in den Katalogen, ist es bis heute natürlich zu Recht geblieben.)
Das führte dann auch zur ausgesprochen wohlwollenden Rezeption seines übrigen schmalen Werkes: Das Lied von der Erde und die Kindertoten-, Wunderhorn-, Fahrende Gesellen-, Rückert-Lieder.
Die Lieder-Zyklen wurden bald von vielen Sängern ins Repertoire genommen, zumindest auf Platte. Sie haben alle ihren großen Qualitäten, besonders natürlich die Kindertotenlieder, aber auch die Wunderhorn-/Gesellen-Lieder, deren Grundstimmung sich in den ersten Sätzen der Zweiten teilweise wiederfindet.
Bzgl. Mahler habe ich schon einmal ein schönes Radio-Erlebnis gehabt. Ca. ’72/’73 spielte Alan Bangs Mahlers wunderbares „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ (eins der Rückert-Lieder) und „I Come And Stand At Every Door“ von den Byrds nacheinander. Damals für mich ausgesprochen ergreifend. Falls du es nicht kennst, unbedingt anhören, auf einer Höhe mit „Oft denk ich…“

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