Re: Crossing Border Festival Antwerpen 22.11.09

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ike-tina

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Etwas verspätet noch ein paar Eindrücke von unserem Festival-Ausflug nach Antwerpen. Tuggys obige Sorgen bezüglich der Anni Rossi-Überschneidung stellten sich als obsolet heraus, da diese leider noch kurzfristig abgesagt hatte, so dass Mumford & Sons in ihren Slot rückte und uns im „Arenberg“, wo das Crossing Border Festival in diesem Jahr gastierte, quasi in Empfang nahmen.

Kein unerfreulicher Empfang, auch wenn die Band uns angesichts der kolossalen Vorschusslorbeeren nicht restlos überzeugte. Wenn Marcus Mumfords generell etwas gewaltig-aufdringliche Stimme hin und wieder in Springsteen-artiges Röhren umschlug, wurde es für tuggy und uns sogar höchst grenzwertig. Auf der selben (von den Vieren kleinsten) Bühne schlug dann zwei Stunden später James Yorkston auf, leider entgegen der Ankündigung ohne die Athletes, und nur mit einem knapp halbstündigen Set. Es wurde trotzdem ein sehr schöner und intimer Auftritt, mit einigen ganz neuen Songs (sehr vielversprechend), wie wir später in einem privaten Pläuschchen mit ihm erfuhren. Ein neues Album ist wohl auch schon wieder in Arbeit, und gut gelaunt teilte er zusätzlich mit uns, warum er seit sechs Jahren nicht mehr Deutschland betourt (horrende Künstlersteuer), dass er den RS-Weekender aber äußerst gelungen fand, und er „When The Haar Rolls In“ als sein bisher bestes Album erachtet (no argument there). Zum Abschluss kritzelte er sich noch auf Tinas Empfehlung hin Sylvia Plaths „Ariel“ in sein Notizbuch und gab ihr im Gegenzug den Namen seines schottischen Lieblingsautors mit auf den Weg. Sehr sympathischer Mann.


James Yorkston

Von Stephen Malkmus’ Set auf der kleinen „Continental Upstairs“-Stage bekamen wir dann leider nur Teile mit, tuggy schien aber sehr verzückt, während TomTom sich im Erdgeschoss parallel für die Brooklyner Chamber Pop-Formation The Antlers begeisterte. Laura Marling schließlich spielte ihr wie gewohnt wunderbares Set ebenfalls ohne Band, dafür mit Cellistin und hübschen Backingvocals. Stimmlich schien sie uns noch merklich gereift zu sein und die neuen Songs steigern die Vorfreude auf den Nachfolger zu „Alas I Cannot Swim“. Vom dreistündigen Set der Monsters Of Folk bekamen wir dann aufgrund der Überschneidung wieder nur einen kleinen Teil mit, der solide war, aber vor allem M. Wards spartanischeren Solo-Beiträge herausstechen ließ. Aber auch mit dem sehr gewaltigen, hymnischen Bandsound harmonierte aus Balkon-Sicht sehr schön die ähnlich pompöse Atmosphäre der runden, besesselten „La Zona Rosa“.


Stephen Malkmus

Unsere Highlights des Festivals lagen aber unerwarteterweise im Bereich des nicht-musikalischen Rahmenprogramms. Am späten Nachmittag wurde erst eine viertelstündiger Film/Musik-Kollaboration von Kevin Cummins mit Graham Massey als Appetizer für seine gerade erschienene Photo-Kollektion „ Manchester: Looking for the Light through the Pouring Rain“ gezeigt, danach erklomm der Photograph selbst die Bühne, in Begleitung seines Kollegen und Freunds Paul Morley, der u.a. Interviews und Essays zum Buch beisteuerte. Hier lag Morleys Rolle darin, Cummins spannende Aspekte dessen inzwischen drei Jahrzehnte langen photographischen Dokumentation der Manchester-Musikszene zu entlocken, wobei sein eigener Redeanteil sich dem des Hauptgastes oft mehr als annäherte. Keinesfalls unangenehm natürlich, im Gegenteil, gehört Paul Morley schließlich spätestens seit seiner NME-Zeit ab 1977 zur ersten Riege britischen Musikjournalismus. Zeit für einen Plausch und eine Morrissey-Nerd-Frage seitens Tina war hinterher auch noch, und der Trip hatte sich schon gelohnt.
Kaum Zeit zum Verschnaufen allerdings, nach James Yorkston lud mit Nick Kent gleich ein zweites NME-Urgestein zum Gespräch. Anlass war seine Autobiographie „Apathy For The Devil“, die 2010 bei Faber & Faber erscheinen wird. Über sich selbst sprach er dann aber kaum, umso mehr über die Anfänge seiner Freundschaft mit Iggy Pop und die Blütezeit des Musikjournalismus beim NME. Nicht gut weg kam einzig mal wieder Lou Reed („if I had to name one person I wouldn’t want to be in a room with, it would probably be him“). Man hätte seinen scharfen Analysen und geistreichen Anekdoten, entschlossen an jeder der Fragen seines Verlegers vorbei, aber immer höchst spannend, locker noch zwei Stunden länger lauschen können, leider war die Zeit für diese Interview-Runden sehr knapp bemessen, so dass lediglich Zeit für eine einzige Publikumsfrage blieb. Diese entlockte ihm dann aber immerhin die Prognose, dass die physischen Musikmedien in geschätzten 5-10 Jahren komplett verschwunden sein werden. Was diesen einen Punkt betrifft: Let’s hope he’s very wrong.


Nick Kent (links) mit Publisher

Ein paar Worte noch zur Venue: Das „Arenberg“ im Antwerpener Zentrum gab einen zu Musik und Publikum sehr stimmigen Rahmen ab, mit majestätischem, gemäldebehangenem Treppengang, drei sehr geeigneten Musik-Locations und einem zentralen Zwischenraum mit großer Merchandising- und Popliteratur-Auswahl. Allein, da war man sich einig, ein Vinyl-Stand hätte das Ganze noch gut abgerundet. Zudem gab es Speisen und Getränke zu recht fairen Preisen und abschließend eine Art Aftershowparty (mit Graham Massey hinter den Turntables), von der wir Rheinländer aber keine fünf Minuten mitbekamen, da wir noch eine zweistündige Fahrt Richtung Köln vor uns hatten. Als Fazit bleibt ein äußerst gelungener Musik/Popkultur-Tag, welcher hoffentlich im nächsten Jahr im selben Rahmen mit ähnlich lockendem Programm auffahren wird, sowie die erneute Erkenntnis, wie wunderbar es ist, es über Köln hinaus in alle Richtungen nicht weit zu kultureller Bereicherung zu haben.


Laura Marling

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