Re: ECM Records

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vorgarten

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ECM 1071
tomasz stanko: balladyna

obwohl dieses cover fast nirgends auftaucht, scheint es das originalcover zu sein. es ist zwar eines dieser naiven, gamalten, aber von abstraktem grau ist die musik weiter weg als von dieser pastoralen ansicht. denn die musik ist, auch in ihren sehr dezidierten explosiven ausbrüchen, sehr bei sich und – wenn man so will – bescheiden.

so viel horizont war wohl nicht für einen polnischen jazztrompeter in den 70ern. stanko hatte viel ornette coleman gehört (auch wenn sein spiel von cherry wirklich weit weg ist), aber bei der realisierung eines eigenen wegs ist er zunächst über polen nicht hinausgekommen. eine erste horizonterweiterung brachte seine zusammenarbeit mit kristof komeda, der später mit polanski nach hollywood ging und dort unter sehr merkwürdigen umständen ums leben kam (der deutsche wikipedia-artikel über ihn gehört eindeutig in die kuriositäten-ecke). nach dem stankos eigene polnische band (mit seifert) auseinander ging, gab es eine weitere internationalisierung des zugangs, in zusammenarbeit mit dem finnen vesala und dem britten peter warren. aber stanko fand es immer sehr schwierig, mit solchen musikern kontakt zu halten, wegen der beschränkten reisemöglichkeiten und der sprachlichen grenzen.

über vesala dürfte es zur zusammenarbeit mit eicher gekommen sein, zum studiotermin in ludwigsburg, mit dave holland als garant für den zusammenhalt des schnell entwickelten materials. saxofonist szukalski und vesala waren teil des vorigen quartetts. nach BALLADYNA reiste stanko immerhin nach indien, für eine soloaufnahme an mythischen orten, aber seine nächste aufnahme für ecm fand erst wieder 1995 statt (MATKA JOANNA).

die themen auf dem album haben tatsächlich einen interessanten vergleichspunkt zur musik ornette colemans. die volksliedhaften (so wirken sie zumindest) motive legen sich gesanglich frei im raum ab, während hollands bass ständig eigene harmonien dazu erfindet (eine ziemlich tolle leistung). aber ganz anders als coleman spielt stanko nicht in langen bögen und schnellen notenketten darüber, sondern setzt abgehackte, sehr entschieden formulierte ideen ein, die ihre wirkung aus der spannung zur stille, zu den pausen entwickeln, die ansonsten in seinem spiel stehen bleiben dürfen.
sein ton ist dabei gewöhnungsbedürftig (und hat sich später auch verändert, wenn ich das richtig im ohr habe) – grundsätzlich presst er ihn, setzt ihn unter druck, hat wenig interesse an einem von selbst schwingenden sound (was besonders interessant in den balladen ist, wo man merkt: eigentlich könnte er das). szukalski spielt wie eine 1:1-kopie des frühen garbarek, mit großem sinn für aufbau und struktur, aber vom ton her ist diese ähnlichkeit ziemlich eigenartig. holland leistet hier großtaten mit der geste, als sei das alles gar nichts. er hält alles zusammen, dominiert es oft, bewegt sich mit einer freiheit zwischen den komponierten kürzeln, als sei das alles so für ihn geschrieben. und vesala gefällt mir auch ausgesprochen gut hier, er soliert nach oxley-manier permanent auf einem kit mit vielen sounds und kleinen effekten, es gibt aber nicht einen einzigen moment, in dem sein spiel die spannung verliert.

toll läuft das im letzten stück zusammen, das eigentlich ein langes vesala-solo ist, in das immer wieder komponierte bläsermotive eindringen, die melancholisch gegen das verstummen gesetzt sind. man hört dem album erst nach und nach an, wie kunstvoll es arrangiert ist. die einfachheit ist trügerisch, die bescheidenheit vielleicht auch.

Tomasz Stanko trumpet
Tomasz Szukalski tenor and soprano saxophones
Dave Holland bass
Edward Vesala drums
Recorded December 1975, Tonstudio Bauer, Ludwigsburg
Engineer: Martin Wieland
Produced by Manfred Eicher

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