Re: Sonic’s Singles Round-Up

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sonic-juice
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James Brown: Papa’s Got a Brand New Bag
(Polydor International 2776, 1965)

Meine Werkskenntnis von James Brown beschränkte sich lange auf die Partyfeger „I Got You (I Feel Good)“ und „Sex Machine“ sowie „It’s A Man’s Man’s Man’s World“ und „Living In America“ (viel später dann noch die „Live At The Apollo“ LP). Es gibt also weitaus Berufenere als mich, um über Browns Werdegang oder seine Qualitäten zu philosophieren. Bei allem Respekt – insbesondere vor „I Got You“ – waren das für mich alles Tracks, die ich schon freiwillig oder (viel öfter) aufgedrängt seit Urzeiten so oft gehört hatte, dass mir nie der Sinn danach stand, sie physisch meiner Sammlung einzuverleiben. In einem unvorbereiteten Moment stolperte ich dann allerdings im Kontext eines Soul/Funk-Mixes über „Papa’s Got A Brand New Bag“ – und mir war sofort klar, dass ich diese Single eher früher als später haben musste. Dass sie als stilistischer Wendepunkt in Browns Entwicklung und zugleich als Grundsteinlegung für das Funkgenre bezeichnet wird, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Mich fasziniert ziemlich viel an dieser Aufnahme, das fängt an bei dem ökonomischen Arrangement, geht über den präzisen Groove, insbesondere die sehr präsenten Bassmotive, bis hin zu den originellen Lyrics. Es geht um einen älteren Herren, der vielleicht nicht mehr modisch an vorderster Front mitspielt, aber immer noch lässig den neuesten Tanz aus der Tasche ziehen kann, und das war damals eben so was wie „The Jerk“, „The Fly“, „The Monkey“, „The Mashed Potatoes“, „Jump back Jack“, oder „See you later alligator“. Ehrlich gesagt weiß ich immer noch nicht, ob die Sache mit dem „brand new bag“ ein üblicher Slang-Ausdruck ist oder eine Neuschöpfung von Brown. Jedenfalls ein sehr anschauliches Bild. Bis auf weiteres meine liebste Single von ihm – mal sehen was, da noch kommt.

Die vorliegende EP, eine französische vom King-Label lizensierte Pressung, hat auf der A-Seite die beiden Teile des Titelsongs, auf der B-Seite finden sich „I Got You“ und „I Can’t Help It“. Ich mag das Picture Sleeve-Design (flip back), kann mir aber vorstellen, dass die US-Single noch um einiges druckvoller klingt.

Charlie Rich: Sittin’ and Thinkin’ / Finally Found Out
(Phillips International 3582, 1962)

„I hate that song. I can’t stand it. You know, it really hits home. That’s Charlie, that’s his life. That’s the real Charlie sure as life.” (Margeret Ann Rich)

Wer meine Aktivitäten in diesem Forum seit längerem verfolgt, wird vielleicht nicht entgangen sein, dass ich eine besondere Sympathie für Charlie Rich empfinde, die mich auch in Regionen seines Werkes hat vordringen lassen, die wohl nur mit sturer, gnädiger Neugier zu erschließen sind. Damit meine ich nicht mal seine anschmiegsamen frühen Epic-Aufnahmen unter Billy Sherrill bis hin zu „Behind Closed Doors“, sondern das was dann nach seinem kommerziellen Durchbruch noch mit zunehmender Deliktsschwere bis Ende der 70er Jahre an (größtenteils) schematischer Pop/Country-Schnulzen folgte. Immerhin teile ich diese Zugeneigtheit für Rich mit Peter Guralnick, in dessen Essaysammlungen „Feel Like Going Home“ und „Lost Highway“ jeweils Kapitel über Rich enthalten sind, die auf persönlichen Begegnungen fußen und sich im heiklen Spannungsfeld zwischen kritischem Journalismus und freundschaftlicher Verbundenheit verorten lassen. Rich hat gar seine wohl letzte große Komposition der 70er, eben „I Feel Like Going Home“, nach Guralnicks Buch benannt.

Charlie Richs Karriere begann bei Sun als Songwriter und Studiomusiker, bis er auf diesem Label mit „Lonely Weekends“ einen eigenen Charterfolg landen konnte. Zu dieser Zeit attestierte ihm Sam Philips angeblich, unter all seinen Entdeckungen sei Rich derjenige, dessen Talent es mit Elvis aufnehmen könnte. Dazu Guralnick: „The statement may well be true, but it is one of the few instances in which Phillips’ aesthetic judgment differed radically from commercial reality.“ Tatsächlich, anders als seine Label-Kollegen Johnny Cash, Roy Orbison oder Jerry Lee Lewis, die er mit Songs versorgte, blieb es Rich stets verwehrt, einen beständigen eigenen Stil zu formen und musikalisch sesshaft zu werden.

„They’re trying to call Charlie a country singer now, but he isn’t really. I would say he borders on being a jazz performer primarily. That’s what he listens to: Brubeck, Miles Davis, Count Basie – you know, that sort of thing. I think in a way that’s one of the reasons he’s had such a difficult time of it. They just don’t know where to place him, they don’t know where he fits in.” (Margaret Ann Rich)

Ohne wirklichen Durchbruch wechselte er von Sun (bzw. dem Sub-Label Phillips International) zu RCA/Groove zu Smash zu Hi bis schließlich zu Epic, wo er nach jahrelangen Experimenten in der Grauzone zwischen Rhythm and Blues, balladeskem Jazz, Pop, Country und Soul, in der Songauswahl zwischen tiefempfundenen Bekenntnissen, Standards und Novelty pendelnd, endlich einen (fremdbestimmten) Signatursound entwickelte, der ihm Erfolg, aber sicherlich nicht künstlerische Erfüllung garantieren sollte.

Bezwingend ist Rich insbesondere dann, wenn sein Vortrag direkt aus seinem Leben schöpft. So haben er und seine Frau Margaret Ann einige der schönsten und aufrichtigsten Liebeslieder geschrieben, in denen sie die die Höhen und Tiefen ihrer nicht immer einfachen Ehe thematisieren, etwa „I Take It On Home“, „I Do My Swinging At Home“, „Life Has Its Little Ups And Downs“ oder „I Can’t Even Drink It Away“. „Sittin’ and Thinkin’“ zeichnet im Gewand eines eleganten (out of the) bar room weepers, dem selbst Chöre und Streicher nichts anhaben können, ein beklemmend aufrichtiges Bild seiner Alkoholsucht:

“I got loaded last night on a bottle of gin
And I had a fight with my best girlfriend
When I’m drinkin’ I am nobody’s friend
So please baby wait for me until they let me out again (…)“

.. und schließt mit der ausgenüchterten Erkenntnis:

I won’t promise the same thing won’t happen again
But I can promise, it’ll be a long, long time till then
‚Cause when I’m drinkin’ I am nobody’s friend
So please baby wait for me until they let me out again”

“Sittin’ and Thinkin’”, eine seiner letzten Veröffentlichungen für Phillips International, vereint alle lyrischen und musikalischen Qualitäten, die seine besten Kompositionen auszeichnen. Rich war kein Country-Musiker, aber dieser Song bringt gleichwohl die emotionale Kraft des Genres idealtypisch auf den Punkt. Nicht nur meine liebste Single vom „Silver Fox“, sondern auch eine neue Nr. 1 in meinem Ranking.

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I like to move it, move it Ya like to (move it)