Re: James Brown

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Ein kleiner Nachtrag zuerst zu 1973: für jene, die Avalanche of Funk gerne hören möchten – hier ist Gelegenheit dazu!

:: Damn Right I’m Somebody! ::

Noch bevor Brown mit den Aufnahmen für das Album „Hell“ fortfuhr, das nur ein halbes Jahr nach „The Payback“ erscheinen sollte, war er mit den J.B.’s einige Male im Studio. Im Januar nahmen Brown, Maceo und Fred mit einer Studio-Band die Nummer „Keep on Bumpin‘ Before You Give Out of Gas“ auf, die mit Browns Synthi-Sounds gut zu den Stücken von Fred Wesleys 1974er Album Damn Right I Am Somebody gepasst hätte. Maceo ist der Solist, über dem Ensemble groovt er dahin. Das Stück wurde als Polydor-Single veröffentlicht und ist auf Funky Good Time zu finden.

Das Titelstück von Wesleys Album, „Damn Right I Am Somebody“ (die People Single erreichte #32 der R&B Charts) und ein weiteres Stück „I’m Payin‘ Taxes, What Am I Buyin'“, entstanden an einer Session im Februar 1974 und sind auf „Funky Good Time“ zu hören. „Damn Right…“ ist eine weitere programmatische Nummer, Brown hat sie mit Wesley arrangiert und ist als Vokalist zu hören. Noch programmatischer ist aber das Intro, in dem Brown, Wesley, Lyn Collins, Danny Ray, Maceo, St. Clair und andere bestätigen: „Damn Right I’m Somebody!“
Auch „I’m Payin‘ Taxes, What Am I Buyin'“ (wäre doch ein idealer Theme-Song für rechtsliberale Parteien und Protestwähler… kann jemand bitte eine Animation von Chr. Blocher machen, wie er dazu shakt?) ist von politischen Tönen geprägt, zumindest im Titel. Das über neun Minuten lange Stück groovt wie die Hölle und lebt aus dem Wechsel von Passagen, in denen die ganze Band (zunächst a capella, später mit Gitarre und Drums) singt und Passagen mit hart treibenden, satten Grooves. Auch das hier ist wieder ein brillantes Beispiel dafür, wie Wesley mit den vorhandenen Ressourcen der Band umgehen konnte. Ein sehr tolles Stück!

:: Hell ::

Nach The Payback, das Anfang 1974 seinen Erfolgszug begann, legte Brown mit einem weiteren überzeugenden Doppel-Album nach, Hell. Das Album ist ein Potpourri aus Stilen und wurde zum grossen Teil mit Studio-Musikern (unter Leitung von Dave Matthews) eingespielt, die reguläre Band ist auf vier der vierzehn Tracks zu hören (allerdings gehören diese vier mit „My Thang“ zu den besten). Die ersten Stücke, die auf dem Album landen sollten, wurden wie erwähnt schon Ende 1973 aufgenommen.

Nach den beiden treibenden ersten Nummern „Coldblooded“ und „Hell“ (beide aus derselben Session vom März 1974 und dann im April fertiggestellt, in letzterem kriegt Jimmy Nolen eins seiner seltenen Soli) folgt auch gleich die erste 1973er Nummer, das tolle „My Thang“, das mit einer grösseren Studio-Band unter Leitung von Dave Matthews (der auch Piano spielt) entstand. Gordon Edwards groovt am Bass (er spielt auf den meisten der Stück, die Brown mit Studio-Bands eingespielt hat in jenen Jahren, es ist Zeit, ihm an dieser Stelle ein Kränzchen zu winden!). Die Stimmung der ersten Seite des Albums, das mit einer weiteren Nummer vom März/April, „Sayin‘ and Doin‘ It“, sowie einem Remake von „Please, Please, Please“ endet (beide mit Studio-Bands eingespielt), ist härter und treibender als auf „The Payback“ – die Musik ist weniger verspielt, lässt weniger Raum für die so schönen nachdenklichen Momente des Vorgängers. Wettgemacht wird das allerdings durch den äusserst präzisen Funk, den sowohl die J.B.’s als auch die Studiomusiker hinlegen.
Die zweite Seite des Albums entstand auch im März und April 1974 unter Leitung von Dave Matthews mit den üblichen Studio-Musikern (darunter Jon Faddis, Lew Soloff, Joe Farrell, Joe Beck, und andere). Hier werden die Arrangements etwas verspielter, aber es herrscht immer noch ein harter, fast schon Disco-mässiger Beat vor. Zudem spielt Brown hier – inmitten der salsa craze – auf einigen Nummern mit Latin-Beats (unerwarteterweise sogar „Please, Please, Please“ – und siehe da, es funktioniert!), was soweit ich weiss ein Novum darstellt. Einiges ist hart am Rand des Kitsch… „When the Saints Go Marching In“ wäre ohne die Wah-Wah-Gitarre und (natürlich) Edwards Bass unhörbar, das Arrangement mit den ansteigenden Tonartwechseln ist wirklich enorm klischiert… kaum zu glauben, dass das derselbe Dave Matthews ist, der auch ein Stück wie „Mr. Hot Pants“ hingekriegt hat! Brown macht sich mit „These Foolish Things“ und „Stormy Monday“ gleich noch an zwei weitere Klassiker, bevor mit „A Man Has to Go Back to the Crossroad Before He Finds Himself“ und „Sometime“ zum Abschluss der zweiten Seite nochmal zwei seiner Originals folgen.
Die dritte Seite öffnet mit dem Funk-Knaller „I Can’t Stand It ’76′“, das in bester Tradition des Funk-Gebräus steht, das Brown seit ca. 1967 angerührt hat. Charles Sherrell spielt Bass und sofort wird klar, dass wieder mehr möglich ist als mit Fred Thomas! Drummer John Morgan (er hat anscheinend 1973 zuerst neben „Jabo“ Starks gespielt und ihn dann ganz abgelöst) steht hier immer wieder mal im Mittelpunkt, Nolens fiese Gitarrenlicks werden immer dreckiger (das Wah-Wah-Pedal hilft dabei kräftig), Brown selber spielt reduzierte funky Orgel-Riffs… und schliesslich folgt Maceo mit einem tollen Sax-Solo, von Brown angesport wie einst! Eine grossartige Nummer! (Und etwas schade und eigenartig, dass sie nicht als Single ausgekoppelt wurde!). Weiter geht’s mit der mittelschnellen Ballade „Lost Someone“ (vermutlich mit Chuck Rainey und Harvey Mason – und dem Boss an der Orgel und mit guter Stimme) und dann endet Seite drei mit „Don’t Tell a Lie About Me and I Won’t Tell the Truth on You“. Maceo Parker stösst dazu zur Studio-Band, die Aufnahmen enststanden im November 1973 (gleiche Session wie „My Thang“ und wurden im März und April 1974 ergänzt). Wie auch auf ein paar weiteren Stücken jener Zeit sitzt Pee Wee Ellis am Barisax in der Studioband und verankert die Bläser. Mit dieser Nummer zeigen die Studio-Cracks einmal mehr, dass sie in Sachen Funk den J.B.’s kaum nachstanden.
Die vierte Seite besteht dann aus einem einzigen Track: „Papa Don’t Take No Mess“, vierzehn Minuten Jam mit den J.B.’s, schon im August 1973 aufgenommen mit Isiah „Ike“ Oakley (t), Fred Wesley (tb), Maceo Parker (as), St. Clair Pinckney (ts), Jimmy Nolen & Hearlon „Chees“ Martin (g), Fred Thomas (b) und John „Jabo“ Starks (d). Das Stück groovt vor sich hin, Starks demonstriert noch einmal seine tollen reduzierten Rhythmen, Brown klimpert ein wenig am Piano, während die Gitarren mit Thomas‘ Bass den Beat legen… die Bläser riffen hie und da ein wenig, Wesley reisst mal ein wenig solistisch aus… das geht so hin über mehrere Minuten. Das Highlight folgt dann allerdings in der zweiten Hälfte mit Wesleys tollem Posaunensolo.

Undubbed versions ohne die Overdubs vom April 1974 von „Coldblooded“ und „My Thang“ sind auf Make It Funky bzw. Star Time) zu hören.
„My Thang“ (b/w „Public Enemy #1, Pt. 1“, rec. 1972 und schon B-Side der im November 1972 veröffentlichten Single „I Got a Bag of My Own“) war nach „The Payback“ auch die zweite Single des Jahres 1974 – und der zweite #1 Hit in Folge (Pop #29). „Papa Don’t Take No Mess“ wurde im August 1974 ebenso als Single ausgekoppelt und erreichte als dritte Single des Jahres und in Folge #1 der R&B Hitparade (Pop #31).

Als vierte Single des Jahres (ohne Platzierung in der Hitparade) erschien auch „Funky President“ (b/w „Coldblooded“ von „Hell“). Das Stück ist auch auf „Make It Funky“ zu hören. Wilbur Bascomb spielt hier Bass und auch er überzeugt! Die Version auf „Make It Funky“ läuft in der ursprünglichen Geschwindigkeit, während die Single-Version beschleunigt wurde. Fred Wesley hat die Nummer arrangiert.

Vom Album „Hell“ sind auf „Make It Funky“ die Stücke „Coldblooded“, „I Can’t Stand It ’76′“, „My Thang“ und „Papa Don’t Take No Mess“ zu hören – sicher die wichtigsten und tollsten Stücke des Albums, aber insgesamt ist „Hell“ eben schon gut genug, um in voller Länge gehört zu werden!

:: Funky Watergate ::

Weiter ging’s im Sommer mit J.B.’s Sessions, u.a. für Fred Wesleys nächstes Album Breakin‘ Bread aber auch für weitere Singles. Das Wesley Album lief unter „Fred Wesley & The New J.B.’s“, aber neu war an der Band niemand… allerdings trat Wesley im Titelstück erstmals als Leadsänger auf und es gab überhaupt kein Solo. Jimmy Nolens Gitarre hält das Stück zusammen – wieder mal mit Wah-Wah-Pedal… Charles Sherrell spielt Clavinet, was dem Ensemble einen tollen Sound gibt. Das Stück wurde auch als People-Single veröffentlicht (R&B #80). Die nächste Nummer des Albums, die auf „Funky Good Time“ zu hören ist, ist „Rockin‘ Funky Watergate“ ist eine weite groovende Feelgood-Nummer mit Band Vocals und ohne instrumentale Soli – die Bläser sind völlig abwesend, Wesley singt nur – und wieder ist es Jimmy Nolen, der aus dem Stück ein bisschen was macht.

Besser ist dann die Single „Control (People Go Where We Send You)“, von der der erste Teil wie die beiden obigen Stücke auf „Funky Good Time“ zu hören. Maceo Parker ist der Solist, dieses Versuches, einen weiteren Hit zu landen (was nicht glückte). Im Juli 1974 nahm Maceo mit The Macks (hinter dem Namen verbargen sich die üblichen Studio-Cracks sowie Fred Wesley, Johnny Griggs, JB und Vicki Anderson) eine weitere People-Single auf, „Cross the Track (We Better Go Back)“.

Es wird langsam klar, dass auch bei dieser Version der J.B.’s die Luft raus ist. Sie sollten zwar noch ein Jahr länger bestand haben, aber Brown sollte danach in die schwierigste Zeit seiner ganzen Karriere eintreten. In dieser Zeit nahm Brown immer öfter mit Studio-Bands auf und weniger mit den J.B.’s. Aber zuerst folgten noch einige Live-Konzerte, darunter auch das wilde Konzert in Kinshasa im September 1974.

Hierzu demnächst mehr…

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