Re: James Brown

#7193743  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 67,736

Aus dem Zeitraum, als Pee Wee Ellis die wohl beste Band leitete, die Brown je hatte, sind drei tolle Live-Aufnahmen erwähnenswert. Studio-Aufnahmen aus diesem Zeitraum habe ich zuvor hier und hier schon erwähnt – in letzterem Post sind auch einige Stücke vom Dallas-Konzert von 1968 erwähnt, die auf der „Soul Pride“ Compilation zu finden sind, über das Dallas-Konzert selbst habe ich hier schon geschrieben – es ist grossartig!

:: Live at the Garden / Live at the Latin Casino ::

Auf der Doppel-CD, die Hip-O-Select mit diesen Aufnahmen letztes Jahr veröffentlicht hat, ist nicht nur das Album Live at the Garden zu finden sondern als Bonus dazu noch eine nahezu komplette Performance, die Browns Show im Latin Casino einigermassen gerecht wird (die Konzerte fanden nicht im Madison Square Garden statt, wie das hässliche Cover, das Syd Nathan anscheinend himself verantwortete, suggeriert).

Brown war im Januar 1967 unglaublich populär, mit den Crossover-Hits „Papa’s Got a Brand New Bag“, „I Got You (I Feel Good)“ und „It’s a Man’s Man’s Man’s World“ sowie Auftritten bei Ed Sullivan und in der T.A.M.I. Show und dem Cameo in „Ski Party“ hinter sich.
„Live at the Garden“ war nach „Live at the Apollo“ und „Pure Dynamite“ das dritte Live-Album, das von Brown veröffentlicht wurde. Nachdem die ersten Shows der Woche ausverkauft waren und gut liefen, bestand Brown darauf, dass die Shows am Wochenende (es gab jeweils zwei am Tag, 8 p.m. und 11:30 p.m.) von King aufgezeichnet wurden.

Die LP startet mit „Out of Sight/Bring It Up“ (auch schon auf „Foundations of Funk“ zu hören), dann folgt der erste alte Hit, „Try Me“. Brown hatte nach den Weihnachtszeits-Konzerten an der Ostküste ein paar freie Tage geplant, um zu proben – nicht nur für seine Band, sondern auch für ein paar Streicher, die ein paar von Sammy Lowes Arrangements in der Show begleiten sollten. Auf „Try Me“ kommen die Streicher unter Richard Jones‘ Leitung zum Einsatz – Jones sollte später mit der Band reisen, als Leiter einer drei Violinen umfassenden Streicher-Section, die zum festen Bestandteil der Show wurde.
Das nächste Stück, „Let Yourself Go“, sollte die nächste Single werden (R&B #5, Pop #46), dann wurde aber Kansas City vorgezogen. Nachdem „Let Yourself Go“ dann einer der Schlüsseltracks auf dem Album Raw Soul (ein weiteres wunderschönes Cover, nicht?!?) wurde, erschien es kurz danach doch noch als Single. Das Stück entstand als Zusammenarbeit von Brown und Pee Wee Ellis zwischen den Shows und wurde nach dem KOnzert am 15. Januar im leeren Latin Casino aufgenommen. Auf der 2CD-Version findet sich ein kurzer Jam, ein False Start und dann eine „extended Version“ (eine Version davon ist auch auf dem Original-Album – ich vermute mal dieselbe, aber gekürzt und mit Fake-Applaus – und ebenso ist eine andere auf „Foundations of Funk“. Ich hab sie nciht verglichen, wird wohl dieselbe sein wie die „extended“…)
Nach „Let Yourself Go“ folgte als Closer der ersten Seite „Hip Bag 67“, eine aufs Minimum gekürzte Version von „Papa’s Got a Brand New Bag“ – unter dem Bonusmaterial findet sich dann eine grossartige lange Version davon, aber auch auf der kurzen ist zu hören, wie aufregend Browns Musik damals klang.

Die zweite Seite des Albums beginnt mit zwei alten Hits: „Prisoner of Love“ und „It May Be the Last Time“. Auf „Prisoner“ sind die Streicher wieder prominent zu hören – ein tolles Arrangement! Die Famous Flames – sie bestanden bloss noch aus Bobby Byrd und Bobby Bennett – sind auf beiden Stücken zu hören. Zu diesem Zeitpunkt waren sie mehr oder weniger die „Go-Go Boys“ der Truppe… später im Jahr lösten sie sich endgültig auf.
Es folgt das grossartige „I Got You (I Feel Good)“, dann eine lange Riff-Number, „Ain’t That a Groove“ (in zwei Teilen).
Es folgt noch ein alter Hit: „Please Please Please“ – das Publikum ist hier fast lauter reingemischt als die Musik – darunter leidet die ganze Aufnahme ein wenig (mit dem Schneiden und Beigeben von zusätzlichem Applaus sind die King-Leute hier wieder mal sehr freigiebig umgegangen). Zum Abschluss folgt nochmal „Bring It Up“ als kurzes Finale.

Bemerkenswert ist, dass Nat Jones, der die Band seit 1964 geleitet hatte, am Vorabend des Engagements im Latin Casino ausstieg – eine seltsame Geschichte wegen einer persönlichen Garderobe, die’s für ihn im anscheinend sehr komfortablen Casino nicht gab. Man liest ja hie und da Hinweise, dass Jones Probleme gehabt habe – in den Liner Notes zu Soul Pride bezeichnen Alan Leeds und Harry Weinger ihn als „affected and confused“ (p. 9). Seine Verdienste sind allerdings sehr gross, hat er doch die beste Band Browns über fast drei Jahre geformt, geleitet, zu Topform aufgebaut. Ellis wurde von Brown ohne Federlesen zum Nachfolger ernannt und meisterte seine Aufgabe souverän. Unter seiner Leitung wandelte die Musik der Band sich endgültig vom R&B zum Funk, er führte ein neues Probe-Regime ein und fasste kurzfristig den Auftrag, die Streicher-Section für die Lowe-Arrangements zusammenzutrommeln.

Ebenso hat Ellis – der in frühen Jahren u.a. mit Sonny Rollins gelernt hatte – einen alten Mentor angefragt, ob er mit Brown auftreten würde: den Bassisten des Miles Davis Quintetts, Ron Carter. Er ist auf „Come Rain or Come Shine“ zu hören, das sich im Bonusmaterial der Doppel-CD findet. Carter war die ganze Zeit dabei, spielte aber jeweils nur zwei Songs pro Set.

Ron Selico war der neuste Zugang der Band – ihr dritter Drummer und zugleich der allererste Perkussionist: seine Bongos spielten in mehreren Arrangements eine wichtige Rolle.

Als Bonus hören wir also eine einigermassen originalgetreue Show der JB Revue. Im Unterschied zu den anderen Revues war Brown im eröffnenden Set mit dabei – ein paar Instrumentals, die ihn an der Orgel präsentierten und der Band viel Raum gab. Das kurze „Teaser-Set“ endete dann mit „Devil’s Den“, dem Thema der Band, in dem Brown als Antreiber am Mikro zu hören ist. Nach einem kurzen Stand-Up von Levi Rasbury und Eldee Williams folgten die Support-Acts mit ihren Feature-Songs, dann die drei JB Dancers und dann die „in-house“ Support-Acts, im Januar 1967 warem das James Crawford und Vicki Anderson. Es folgte eine Vaudeville-Nummer von Butterbeans and Dixie, dann nochmal Levi Rasburry mit einer Ansage… und dann… Star Time!

Das Teaser-Set auf der 2CD-Edition von „Live at the Garden“ beginnt mit „The King“ (dem neuen Band-Thema) und „Wade in the Water“. Brown steht mit seiner Orgel auf beiden im Mittelpunkt. Auf der zweiten Nummer (damals wohl schon ein Hit von Ramsey Lewis) gibt’s ein paar Exchanges mit der Band und die Gitarre (wohl jene von Nolen?) ist prominent im Mix. Dann folgt „Devil’s Den“, als Riff-Nummer mit Brown am Mikro, der die Band antreibt: „let me hear you say yeah… say it a little big louder… a little bit louder!“
Nahtlos geht’s weiter mit dem Instrumental-Medley „Headache/Get Loose/Jabo“, mit dem die beiden wichtigsten Solisten kurz vorgestellt werden: Waymon Reed (Trompete), Ellis (Tenorsax) und dann mit „Get Loose“ wieder die Band als riffende, groovende Maschine übernimmt, bevor Nolen als Solist folgt. Das zweite Tenorsolo dürfte dann wohl eher von St. Clair Pinckney stammen, vermute ich. Dann folgt Ron Selico an den Drums.
Das Teaser-Set endet dann mit „Night Train“ – am Tenor ist vermutlich wieder St. Clair Pinckney zu hören (könnte beide Male auch Eldee Williams sein… Pinckney ist jedenfalls an anderer Stelle als Barisax-Solist zu hören und nach Ellis klingen die beiden Soli hier nicht, Brown sagt ausnahmsweise niemanden an). Zum Abschluss folgt dann die Comedy-Routine mit Levi Rasbury und Eldee Williams… better seen than heard, wie Alan Leeds schreibt in seinen Notes zur Doppel-CD. Nach dem Minutenlangen Geplänkel sing Levi Rasbury „Got My Mojo Workin'“, worauf die Band mit „Night Train“ abschliesst.

Auf der zweiten CD folgt dann das Star Time Set. Der Applaus und das Publikum ist nun vernünftig abgemischt, man kann die Musik auch wirklich hören. Die Show beginnt wieder mit „Out of Sight“ und „Bring It Up“, dann „Try Me“ mit Streichern und den Flames, und dan folgt „Come Rain or Come Shine“ mit Ron Carter, einem unbekannten Drummer, den Streichern und Bläsern und vermutlich Pee Wee Ellis an der Orgel. Sehr schön, wie das Stück über einem rollenden 12/8 sich entwickelt… langsam aber sicher gefallen mit die Jazz-Aufnahmen von Brown immer besser! Muss mir mal noch „Gettin‘ Down With It“ besorgen!
Dann folgt das Herzstück der Show: „Papa’s Got a Brand New Bag“ – über neun Minuten grossartig pumpender Funk! Nehme an, das erste Tenorsolo stammt von Eldee Williams, danach ist St. Clair Pinckney mit dem tollen Barisax-Solo zu hören (wohl dasselbe wie auf der gekürzten Version vom Album, dort heisst das Stück ja „Hip Bag ’67“ und ist fast völlig instrumental).
Dann „Prisoner of Love“ mit den Flames und den Streichern, „Maybe the Last Time“ (hier nun korrekt geschrieben, nehme an auf dem Album stand „It May Be the Last Time“?) und „I Got You (I Feel Good)“, worauf Brown eine Ansage macht, sich beim Publikum bedankt.
Weiter geht’s mit dem zweiten Herzstück der Show: „It’s a Man’s Man’s Man’s World“ – über dan langsamen aber satten Groove baut Brown eine aufregende Performance auf. Sehr schön das Arrangement mit Orgel, Gitarre und Streichern… und den Bläsern, die sich hin und wieder kurz einschleichen.
„Ain’t That a Groove“ ist eine simple Riff-Nummer, die vom massiven Getrommel der drei Schlagzeuger lebt, die Sängerinnen und die Flames singen mit, die Bläser riffen… kommt live wohl besser rüber als ab Konserve. Es folgt der letzte alte Hit, „Please Please Please“, und dann zuletzt das Finale mit der Reprise von „Bring It Up“.

Als Abschluss finden wir dann die erwähnten Takes von „Let Yourself Go“, die nach dem letzten Konzert vom 15. Januar in der Nacht auf Montag 16. eingespielt wurden, als das Publikum gegangen und die Bar geschlossen war.

Insgesamt ist die Doppel-CD ein tolles Dokument – es macht besonders Spass, das (vermutlich aus den vier aufgenommenen Shows montierte) „komplette“ Set zu hören und das werde ich auch immer mal wieder gerne hören. Das originale Album kann da überhaupt nicht mithalten, v.a. weil „Papa’s Got a Brand New Bag“ so schändlich zugeschnitten wurde.

Die Aufnahme fand allerdings zu einem etwas verfrühten Zeitpunkt statt und kann nicht mit den Apollo-Alben mithalten. Im Mai kehrte Maceo Parker aus der Army zurück und ging sofort mit Brown ins Studio, um „Cold Sweat“ aufzunehmen. Im Juni entstand dann das zweite Live-Album im Apollo Theater in Harlem… doch hievon später mehr.

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #156 – Benny Golson (1929–2024) – 29.10.2024 – 22:00 / #157 – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba