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castles in the airAuch sonst nur „pubertäre Provokationen“, gerade mal „so gefährlich wie einen Stephen King-Roman“? Du findest Burzum problematisch, obwohl die Texte zwar mystisch-verquast, aber frei von rassistischen Themen sind, während Slayer und ihr „Angel of Death“ von dir mit Schlagworten abgetan werden, die du selbst vermutlich bei anderen als grobe Verharmlosung angeprangert hättest. Wenn Tom Araya auf dem von dir so geschätzten „Reign In Blood“-Album als Josef Mengele unreflektiert davon singt, was man mit KZ-Häftlingen denn so anstellen kann, ist weniger eine Grenze überschritten als bei Vikernes, in dessen „Belus“-Texten so ein Mist genauso wenig zu finden ist wie irgendwelche rassistischen Ideologien? Damit will ich ihn von diesen Vorwürfen selbstverständlich nicht freisprechen, aber einmal mehr darauf hinweisen, dass es durchaus möglich ist, „Belus“ als eigenständiges Kunstwerk zu hören. Und nicht dass wir uns falsch verstehen, ich würde dir deine Vorliebe für Slayer normalerweise nie vorhalten. Nach den Maßstäben, die du selbst an andere Künstler und ihre Kunstwerke anlegst, wäre ich aber in der Tat dafür, dass du erst einmal deine eigenen Favoriten einer kritischen Prüfung unterziehst.
Ich will „Angel of Death“ überhaupt nicht gegen der Vorwurf der Geschmacklosigikeit und schamlosen, unreflektierten Ausbeutung des Leids von KZ-Opfern verteidigen. Ich kann jeden verstehen, der Slayer deshalb verabscheut. Ich weiß auch nicht, wie ich als 37jähriger dieses Album aufnehmen würde, wenn es im Jahr 2010 erschienen wäre.
Nur steckt dahinter eben keinerlei Aussage, Ideologie oder Konzept, außer der pubertären Faszination für Schreckensszenarios von Bosch über Mengele bis zu irgendeinem Serienkiller, soweit ich das überblicken kann. Oder siehst Du das anders? Das ist eben m.E. letztens mehr oder weniger gelungener Horror. Stephen King hat etwa in der Novelle „Apt Pupil“ im Band „Different Seasons“ ebenfalls die Faszination für das unermessliche Schrecken im Dritten Reich aus einer Art Horrorperspektive thematisiert, ebenfalls exploitativ, wenn auch natürlich weitaus intelligenter. Im Grunde wird da aber ein ähnliches Interesse bedient bzw. bespielt. Im Heavy Metal/Hard Rock (und nicht nur dort) wurden ja aus Provokationsgründen und einfacher Lust an der Grenzüberschreitung und der Drastik, aber ohne politische Aussage, oft genug Geschmacksgrenzen überschritten, was auch das Spiel mit NS-Symbolik beinhaltete (die Runen bei KISS, Namen wie Sacred Reich etc.). Ich bin mir also dieser Angriffsflächen bewusst. Der Verweis auf die vermeintlichen Leichen im Keller anderer oder etwaiger Inkonsequenzen führt aber im Kontext der Burzum-Diskussion m.E. nicht weiter.
Meiner Ansicht nach wiegt es weitaus schwerer, wenn ein Musiker wie Vikernes um seine Person und seine Produkte herum einen ideologischen Kult zimmert, der völlig eindeutig auf einer verquasteten rassisitischen, nationalistischen, antimodernen Blut- und Boden-Konzeption beruht. Das mag man auf der Platte nicht eindeutig hören, das kann man aber sehr gut auf seiner Homepage nachlesen. Das halte ich in der Tat für weitaus gefährlicher als sämtliche Engleisungen von Slayer. Das zeigt im übrigen letztlich auch die Diskussion hier, wenn z.B. auf die Krtitik allen ernstes entgegnet wird, es gehe schließlich um Resozialisierung, man dürfe ihn nicht nochmal bestrafen oder einen Mord ein Leben lang vorwerfen, man kenne die Umstände ja nun auch nicht genau, er sei doch einer der „klügsten Köpfe der gesamten Metalszene“ „mit viel Tiefe und Bewusstsein“ und er habe sich doch von seinen Nazi-Gedanken längst distanziert.
Und wenn ich als Individuum entscheide, diese Person nicht bei der Verbreitung seiner Platten und der dazu bereitwillig gelieferten Ideologie zu unterstützen, dann ist das keine strafrechtliche Sanktion, sondern eine verantwortliche Entscheidung, die jeder einzelne treffen kann. Rassisten finanziell austrocknen? Gerne. Ich glaube, dass Vikernes trotz etwaigen Einsiedeltums sehr gut international vernetzt ist und dass seine weltanschaulichen Texte weite Verbreitung unter seinen Fans und ideologisch Gleichgesinnten finden, egal ob er nun faktisch einer „Odinismus“-Bewegung angehört oder ob er der einzige wahre Vertreter seiner Ideologie ist.
Wenn Burzum.com zu seinem aktuellen Album schreibt, es ziehe „inspiration from Eastern European nationalistic black metal bands„, dann macht mich das im Übrigen auch nicht weniger skeptisch, selbst wenn die musikalischen oder textlichen Codes nicht eindeutig für uns lesbar sind.
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