Startseite › Foren › Kulturgut › Das musikalische Philosophicum › It’s the song, not the singer? Moral und Musik › Re: It’s the song, not the singer? Moral und Musik
fuchs
Das ist ja gerade das Fantastische an Kunst, dass sich die Werke von ihren Schöpfern, ihren Entstehungsumständen ablösen und im Betrachter oder Hörer ein Eigenleben führen, ihn gänzlich anders beeinflussen können als vom Urheber beabsichtigt.
Dies ist genau diese eine Facette, die mich ganz besonders interessiert und durchaus auch bis zu einem gewissen Grade fasziniert. Ohne jetzt mit einem konkreten Beispiel aufwarten zu wollen (es würde ohnehin nur mißverstanden werden…), der künstlerischen Phantasie sind keine Grenzen gesetzt (jedoch der unbeschränkten „Freiheit“ dieser gottseidank welche…), so vermag der kreative Geist eines völlig unmoralischen Menschen, dem eines Misanthropen oder eines politischen Wirrkopfes derart zu künstlerischen Höchstleistungen imstande sein, die den Empfänger seiner Werke emotional im positiven Sinne zu rühren verstehen. Es blökt ja nicht jeder Rassist, Satanist oder allgemein „Perverse“ seine Geisteshaltung unverblümt in die Welt hinaus. Vielmehr sind es oftmals die durch Erfolg – oder dem Streben nach diesem – aufgestachelten (eher „harmlosen“) Künstler, die das Machbare bis zur Schmerzgrenze ausloten (wollen) und Tabubrüche gezielt lancieren und inszenieren (was oftmals in lächerlichen „Sex & Drugs & Rock’n’Roll“-„Exzessen“ und Skandälchen gipfelt, ist nichts weiter als business as usual – und das Verlangen nach den 15 minutes of fame). Die wahren „schlimmen Finger“ halten sich oftmals wohlweislich bedeckt, verhalten sich neutral oder unnahbar – und verstecken ihre Botschaften allenfalls in Metaphern und Codes, die gerade mal Eingeweihte zu deuten wissen.
Ich habe im Allgemeinen keine Probleme damit, die von der Weltanschauung losgelöste und davon unabhängige Kunst eines solchen Künstlers zu bewundern (siehe die unpolitischen instrumentalen Soundexperimente und -extentionen des frühen Boyd Rice [NON]), sollte dieser Zeitgenosse jedoch dazu übergehen, seine kruden Überzeugungen mittels seiner Kunst zu transportieren und versuchen, propagandistisch oder anderweitig sein Publikum zu manipulieren oder für seine Denkweise zu begeistern (siehe z.B. die „Gothic marching music“ des späteren Boyd Rice), so lehne ich diese „Kunst“ schlichtweg ab. Selbstredend gilt dies ausschliesslich für die explizit betroffenen Machwerke! Von dieser (weit verbreiteten) Art der albernen „Kollektivschuld“-Zuweisungen halte ich auch nicht viel, so z.B. das komplette „Mute“-Label und die darauf vertretenen Künstler zu verdammen und abzulehnen, nur weil die Werke eben jenes Boyd Rice z.T. auf „Mute“ veröffentlicht werden (o.k., dies war ein bewusst übertriebenes Beispiel, jedoch neigen manche Zeitgenossen dazu, in ihrem selbst auferlegten political correctness-Wahn heftigst zu übertreiben…).
Übrigens, ich finde den „Jud Süß“-Querschläger hier auch nicht besonders geschickt gewählt, da doch offensichtlich ist, daß die Wurzeln dieses (sicherlich üblen) Machwerkes eben gerade nicht in einem künstlerisch unabhängigen Umfeld zu suchen sind, sondern ganz klar reinen Propagandazwecken dienten (und sonst gar nichts). Diesen Film in einem Atemzug mit den Wagner-Opern zu nennen und so einen (vielleicht auch unbeabsichtigten) Zusammenhang herzustellen, ist nichts anderes als Brandstiftung! Und: ohne den „Ring“ würde auch mir ein Stück Kulturgeschichte wirklich fehlen…
--
I mean, being a robot's great - but we don't have emotions and sometimes that makes me very sad