Re: Bob Dylan 31.03.09 in Hannover

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anne-pohl

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Kölner Stadtanzeiger:

Bob Dylan in Deutschland

Von Martin Oehlen, 01.04.09, 20:11h, aktualisiert 01.04.09, 20:12h
Er tourt wieder. Altmeister der Folklore Bob Dylan kommt für vier Konzerte nach Deutschland. Beim Auftakt in Hannover überzeugt der 67-jährige US-Künstler mal mit kraftvollen, mal kunstvollen Songs.

HANNOVER – Darf es etwas leiser sein? So dezent wie bei einem Auftritt von Bob Dylan wird kein anderes Rock-Publikum der Welt auf ein Konzert eingestimmt. Das läuft dann so ab: Während sich die AWD-Halle in Hannover, wo die diesjährige Deutschland-Tour des Künstlers ihre erste Station hatte, zügig füllt, dringt aus den Lautsprechern Musik, die kaum wahrnehmbar ist. Die will nicht aufheizen, die will nicht unterhalten – die verbraucht nur Strom. Was uns diese Zurückhaltung sagen will: Hier soll und muss das Publikum nicht von fremden Geister inspiriert werden.Um 20.07 Uhr gehen die Regler abrupt nach rechts, erklingen einen Moment lang triumphale Klassikklänge, die von der vor jedem Auftritt gleichen Ansage abgelöst wird. In weniger als einer Minute referiert ein Sprecher die Karriere des Sängers, für die andere mehrbändige Biografien benötigen: Vom Folkwunder über Krisenjahre und Jesus-Gefolgschaft bis zum Altersmeisterwerk. All dies endet in den drei kraftvollen Paukenschlägen: „Ladies and Gentlemen – Columbia Recording Artist – Bob Dylan“.
Und los geht die Reise für die 4500 Besucher in der vollbesetzten Halle. Die Mehrzahl von ihnen ist nicht mehr in ihrer Jugendfrische. Manche tauchen auf mit der „International Herald Tribune“ unterm Arm oder lesen sich, in der Schlange stehend, durch den Börsenteil der „Neuen Zürcher Zeitung“. Eine sagt: „Ich bin zu alt, um drei Stunden vor der Bühne zu stehen.“ Eine andere spricht von einem „Unterschied wie Alpha und Omega“. Meinte sie Bob Dylan?
„Masters of War“ ist keine Predigt
Der legt fröhlich los mit der „Leopard-Skin Pill-Box Hat“. Die Stimme ist bei diesem Opener noch etwas brüchig, aber sie fängt sich bald und dominiert über weite Strecken das Geschehen. Weit, weit nach vorne wird sie am Mischpult gezogen. Oft ist es ein Sprechgesang, bei dem Dylan die Tonlagen wechselt als wollte er zwischen Berg und Tal hin- und herhüpfen. Und gelegentlich klingt er geradezu alttestamentarisch. Dies zumal beim „Masters of War“, das keine Predigt ist, sondern ein Platzverweis. Das ist intensiv und ambitioniert – und der Kunstwille ist unverkennbar.
Doch auch wenn die Band losgelassen wird, ist das Vergnügen enorm. Als ein Spitzenereignis erweist sich „The Levee’s Gonna Break“, das diesmal als fünfter Song in dem allabendlich neu gemischten Programm auftaucht. Da wird jede Menge Druck erzeugt, kompakt und klar und faszinierend. Zwar sind Dylan-Shows nicht bekannt für sagenhafte Soli des einen oder anderen Musikers. Doch das trübt das Engagement der Band überhaupt nicht. Allein die Körpersprache von Tony Garnier, George Recile, Stu Kimball, Denny Freeman und Donnie Herron signalisiert immerzu hohe Konzentration und Leistungsbereitschaft.
Musikalisch passen sie also prima zusammen. Modisch aber auch. Während Dylan im schwarzen Zweiteiler und mit großem weißen Hut auftritt, haben sich seine Mitspieler wieder für cremefarbene Anzüge und schwarze Kopfbedeckungen entschieden. Dylan trägt zudem eine Feder am Hut – die ist rot wie sein Hemd und rot wie die Längsstreifen an der Hose. Showtime, eben. Dylan-Konzerte sind nicht zuletzt bemerkenswerte Theaterabende. Zu den kleinen Freuden gehört es, die Augenblicks-Kommunikation innerhalb der Band zu beobachten. Hebt Dylan mal kurz sein rechtes Lid, bedeutet das für Tony Garnier, den Dienstältesten am Bass, einen Schritt vorzutreten und der Band den Takt aus dem Song zu weisen. Und eine großer Theatermoment ereignet sich, wenn das Programm nach dem 17. Song – in diesem Falle: „Thunder On the Mountain“ – am Ende ist. Dann stellt sich die Band im Dunkeln in einer Reihe auf, geht das Bühnenlicht an und schauen alle schier regungslos ins Publikum. Keine Verbeugung, kein Winken. Nur Dylan knickt die Arme ein wenig nach vorne. Kann sein, dass er nur weiterspielen will am Keyboard, hinter dem er die meiste Zeit gestanden hatte. Kann aber auch sein, dass dies eine Sympathie-Geste ans Publikum war.
Der Künstler ist mit leichtem Gepäck unterwegsDann verschwindet er in einem der vier schwarzen „Nightliner“-Busse, die alle in Interlaken (Österreich) gemeldet sind. Wie andere sich zum Tennis oder zum Bier am Abend verabreden, verabredet er sich zum Konzert. Jahr für Jahr ist der Mann mit leichtem Gepäck unterwegs. Das erleichtert die Reise.
Weiter geht es, immer weiter. Das sagte auch Oliver Kahn, das lebt schon seit langem Bob Dylan. Der hat sich die kreative Power bewahrt, immer wieder neu anzufangen. Ende des Monats veröffentlicht er ein neues Album: „Together Through Life“. Der daraus soeben ausgekoppelte Song „Beyond Here Lies Nothing“ hat sofort die Exegeten in Bewegung gesetzt. Schon ist klar, dass dieser Titel aus einem der Verbannungs-Verse von Ovid stammt. Auch wenn Dylan selbst dazu rät, die Zeilen so zu nehmen wie sie geschrieben sind, er also davon abrät, Geheimnisse lüften zu wollen, die es nicht gibt – da wird sich schon vieles hineinlesen lassen. Der Mythos lebt.

Mindener Tageblatt:

Dylan auf Abwegen: Rummel statt Protests
Rock-Legende unterhält 5000 Fans zum Tour-Auftakt in Hannover an der Orgel mit Jahrmarktmusik und Boogie-Feeling

VON THOMAS KÜHLMANN

Hannover (mt). Er wäre nicht Bob Dylan, wenn er, nicht nur musikalisch, immer wieder aufs Neue provozieren, experimentieren und seine Fans mitunter gar zum Narren halten würde.

Und so staunen 5000 Zuschauer in der prall gefüllten AWD-Hall von Hannover beim Deutschlandtour-Auftakt des Songbarden nicht schlecht, dass sich ihr Idol zu keiner Sekunde seinem Leib- und Mageninstrument, der Gitarre, widmet, sondern sich während des gesamten Sets nur als Tastenmann betätigt.

Viel mehr noch. Die mittlerweile fast 68-jährige Protest-Ikone der 60er Jahre nimmt während des gesamten Konzerts mit seiner Orgel die rechte Frontseite der Bühne ein und hält stets Blickkontakt zu seinen drei Gitarristen, die auf der linken Bühnenseite das Schlagzeug flankieren. Dass Dylan es nicht einmal für nötig befindet, wenn auch nur für einen kurzen Moment, sich der gesamten Menge zu zeigen und stattdessen den bis zu 80 Euro zahlenden Tribünengästen auf seiner Bühnenseite zwei Stunden lang den Rücken zuwendet, ohne geballten Unmut zu ernten, unterstreicht nur zu gut die Ausnahmestellung des Robert Zimmermann, so sein bürgerlicher Name, bei seinen Verehrern. Nur vereinzelt machen (visuell) enttäuschte Zuhörer nach dem Konzert ihrem Frust Luft.

Bis zu diesem Zeitpunkt haben sie in zwei Stunden genau 17 Lieder gehört, von denen die meisten in ursprünglichen Boogie und Rock´n´Roll der ganz frühen Jahre von Chuck Berry und Bill Haley transformiert wurden – mit allen Konsequenzen für Versmaß, Melodie und Wiedererkennbarkeit. Vor allem die nach Jahrmarkt klingende Orgel des Woodstock-Veteranen bestimmt den Sound des Konzerts.

Lagerfeuer-Lieder tanzbar gemacht

Zusammen mit Schlagzeug und Bass wird Rock konsequent auf Tanzmusik zurückgeführt. Dylan singt und sagt wie immer kein Wort. Nur vor dem letzten Lied stellt er die Band vor, sonst hat er den Abend nur gesungen. Symbolisch der Aufbau des Konzerts: 14 Lieder, dann die Zugabe mit drei Songs – wie auch schon zuvor in Skandinavien. Flexibilität sieht anders aus.

Der Hauptteil besteht aus sieben zu Boogie-Tanzmusik transformierten Liedern. Es ist, als ob Dylan die Last der Welt nicht mehr auf seinen Schultern tragen will, er tanzt auf ihr und setzt sein Publikum in ein Kettenkarussell, auf dem seine Band für die Musik sorgt. Dylan 2009, das ist eine fast schon ausgelassene Legende.

Im zweiten Teil kommen die Stücke, in denen sich die Gitarren nicht ins Tanzkapellenmuster eindämmen lassen: „Stuck Inside Of Mobile With The Memphis Blues Again“, und dann zur allgemeinen Verblüffung „Masters Of War“. Dylan lässt Orgel und Gitarren zum Duell antreten, er vernuschelt den Text nicht, sondern zelebriert intensiv das in Verse gegossene Aufbegehren gegen die kalte Logik der „Herren des Krieges“: „I can see behind your masks.“ („Ich kann hinter eure Masken schauen“). Ein Gänsehautmoment.

Im Anschluss wird er wieder unverbindlicher, spielt das Beziehungsstück „Shooting Star“, lässt „Highway 61 Revisited“ als Boogie in die Halle rollen und endet mit einer unglaublich veränderten Fassung seines Klassikers „Like A Rolling Stone“. Danach gehen er und seine Musiker von der Bühne. Das Publikum will die Zugabe und bekommt sie mit „All Along The Watchtower“, „Dignity“ und „Thunder On The Mountain“. Danach Ovationen, aber trotzdem Schluss. Bob Dylan eben.

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