Re: Country – eine reaktionäre Musik?

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daniel_belsazar

Registriert seit: 19.04.2006

Beiträge: 1,253

ricochetDas ist doch nur ein Teil der Wirklichkeit.

Wir sehen immer nur Teile der Wirklichkeit. Das gilt aber auch für dich.

ricochetDas jugendversessene Zeitungsverleger-Privatradio unserer Tage hat es grundsätzlich nur noch auf die 14-25-Jährigen abgesehen, oder glaubst du, dass sich viele 30-Jährige Deutsche mit Hip-Hop und techno-lastigem Dance-Pop identifizieren können?

Es gibt – meist in größeren Ballungsräumen – durchaus Sender, die sich anderen Zielgruppen widmen. Die hörst du vielleicht nicht, weil du möglicherweise auf dem Land lebst oder sie kein Contemporary Country bringen. Dafür gibt es zumindest aus Sicht der Betreiber offenkundig schlicht nicht genügend Nachfrage in Deutschland. Viele Deutsche um 30 hören aber zum Beispiel Rammstein, Böhse Onkelz, Grönemeyer, Silbermond, Heavy Metal in sämtlichen Unter- und Abarten, deutsche Hits aller Coleur, englische Hits … und manchmal natürlich auch amerikanische Hits. Aber eben nur manchmal. Ich denke weiterhin, dass das Spaßhaben an bestimmter Musik zumindest nicht unwesentlich auch etwas mit kultureller Nähe und Identifikationsmöglichkeiten zu tun hat. Warum kaufen und hören die (erwachsenen) Massen denn Grönemeyer, Nickelback, Westernhagen, Duffy, Amy Winehouse usw.? Und aus welchem Grund sollten die plötzlich den Country infizierten Mainstreamrock der Amis bevorzugen? Den nimmt man mal mit, der stört nicht weiter, manches kann man mitsummen, aber eben meist auch nicht mehr.

ricochetEine eigene, gesellschaftlich breit anerkannte Stilrichtung / Musikszene hat Deutschland ja nicht.

Das ist eine Behautpung, die man auch anders sehen könnte. Dafür gibt es nämlich verdammt viel Musik mit deutscher Zunge in allen Medienkanälen, für mich gefühlt deutlich mehr als vor 15 bis 20 Jahren. Der Schlager lebt und gedeiht nach meiner Empfindung prächtig, er hat nur andere, zeitgemäßere Gewänder angezogen.

ricochetDas kommt wohl daher, dass sich angesichts der öden Mischung aus dem Radio bald kein Erwachsener mehr für aktuelle Musik interessiert und das musikalische Analphabetentum auf dem Vormarsch ist. Die Puristen und Ideologen haben das Radio genau so in den Abgrund geritten wie die Kinderpop-Vermarkter.

Mich stört nicht der Top-40-Pop an sich, sondern seine Ausschließlichkeit und Unentrinnbarkeit im deutschen Medienzirkus. In anderen Ländern werden unterschiedliche Geschmacksrichtungen und demographische Schichten bedient, nicht aber in Deutschland.

Eine recht kulturkonservative Haltung, scheint mir. Allüberall Verfall und Dekadenz. Andere würden vielleicht reaktionär sagen.

ricochetOder hört hier noch jemand Musik im Radio?

Ich wage die These, dass die sehr weit überwiegende Mehrheit in Deutschland Radio nahezu ausschließlich im Auto hört und dem ganzen ein entsprechendes Interesse widmet: Es darf beim Fahren auf deutschen Autobahnen und Bundesstraßen – mit einem enorm höheren Stressfaktor als auf amerikanischen Straßen – nicht weiter stören. Wirkliche Spartenprogramme werden heute wohl eher im Internet bedient.

ricochetIn den USA und anderen Ländern habe ich die Möglichkeit im Radio zwischen unterschiedlichen Musikrichtungen mit Gegenwartsbezug auszuwählen, in Nordamerika beispielsweise zwischen Top-40-Pop, Adult Contemporary, R&B, Country, Rock, Classic Hits und Jazz. In Deutschland findet man überall nur Einheitsbrei.

Nun ja, die Radiokultur der Amerikaner ist aber auch traditionell völlig anders als unsere. Vielleicht ist der Einheitsbrei eine Folge des Volksempfängers. Da war ja auch immer schon das Gleiche zu hören, geht die Kunde.

ricochetDa darf man doch danach fragen, ob gerade wir Deutschen uns als Vorhut in Sachen Musikkultur gebärden und Gütesiegel verteilen dürfen ….

So etwas wirst du von mir wohl kaum hören oder lesen. Völlig absurde Idee.

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