Re: Country – eine reaktionäre Musik?

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tolomoquinkolom

Registriert seit: 07.08.2008

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Ah UmServus!

Also: Country ist gar nicht so „weiß“ wie es scheinen mag. Was Jimmie Rodgers jodelte, war über weite Strecken nichts anderes als der Blues. Bob Wills swingte wie Count Basie (naja, fast). Und umgekehrt hat die Black Music hat bei näherer Betrachtung mehr Wurzeln in Europa als in Afrika.
Außerdem: Country handelt (u.a.) von Mühsal und Entbehrungen, bohrenden Zweifeln an Gott und der Welt, von Herzschmerz und Versagen.

Aber: Was hat das alles mit der Frage zu tun, ob Country eine „reaktionäre“ Musik ist? Könnte es sein, das Country deshalb nicht reaktionär ist, weil Musik als solche niemals reaktionär (oder liberal, progressiv, konservativ etc.) ist?
Welche Kriterien müssen eigentlich erfüllt sein, damit man einen Musikstil als reaktionär bezeichnen kann? Gibt es denn Beispiele für reaktionäre Musikstile? Dixieland? Folk Revival? Deutscher Schlager? Alles was irgendwie mit „Retro-“ anfängt?
Alles, was die Vergangenheit verklärt und dort einen Fluchtpunkt aus den Zumutungen der Gegenwart sucht? Gerade gebildete Städter neigen biszuweilen zu Zivilationsverdruss und romantisieren dann das, was sie für das einfache Leben halten. Und schon wird aus dem Hinterwäldler ein „edler Wilder“, dessen Rohheit und Naivität ihm einen unverstellten Blick auf die Dinge überhaupt erst ermöglichen.
Umgekehrt galt selbst der Rock’n’Roll in bestimmten Kreisen – ziegenbärtigen Post-Bop-Hipstern – als reaktionärer Rückfall in den Primitivismus und Kommerzialismus. Schließlich war der Jazz gerade dabei, sich aus dem Morast des Entertainments in die Höhen der wahren Kultur zu erheben (mit großem künstlerischen Erfolg, notabene).

Oder sollte man einfach nach den politischen Präferenzen der Anhänger einer Musikrichtung fragen? Irgendwie deucht mir ja schon, dass Leute, die sich als Country-Fans bezeichnen würden, in ihrer Mehrheit nicht unbedingt Obama gewählt haben.
Zu Jazz-Hörern in Deutschland habe ich mal eine soziologische Studie gelesen. Und siehe da: Das Klischee stimmt. Die Frage nach dem Wahlverhalten führt zu überwältigenden linken Mehrheiten und kaum einer hat nicht mindestens Abitur als höchsten Bildungsabschluss vorzuweisen.
Ist der Jazz damit nun eine linke Akademiker-Musik? Es fällt schwer, dies zu bejahen. Denn diejenigen, die Anfang des letzten Jahrhunderts diese Musik im Süden der USA entwickelt haben, hatten ganz sicher nicht europäische, linksliberale Bildungsbürger als Zielpublikum vor Augen.
Kultur ist eben kompliziert und kaum je eindeutig.

Fein. Der interessanteste Beitrag von diesen zweihundertnochwas Posts. Mit Gewinn gelesen.

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