Startseite › Foren › Das Radio-Forum › Roots. Mit Wolfgang Doebeling › 04.01.2009 › Re: 04.01.2009
dougsahm1. Mein Gott, Wolfgang, ich trau mich ja gar nichts mehr so richtig zu fragen, da Du Mühe und Zeit investierst in 40 bis 50 Zeilen auf eine recht spontane Fragen zu antworten. Die Zusammenhänge sind verstehbar, nachvollziehbar. Ich frage mich nur, warum ist die 7“-Kultur regional so zementiert.
2. Die 7“-Freunde hier im Forum bestellen doch auch im UK, warum nicht bei den von Dir beschriebenen lokalen Märkten in den USA ?
3. Wenn hier im Forums Links zu riesigen Plattensammlungen gepostet werden, sind das meist amerikanische Idealisten, die keine Grenzen mehr kennen. Gerade das Internet sollte doch dazu führen, dass der regionalisierte Markt zunehmend aufgeweicht wird und es in den den USA doch genügend Nerds geben sollte, die sich auch für Musik hinter dem eigenen Vorhof interessieren ?
4. Dass es idealistisch funktionieren kann ausserhalb UK sieht man doch an Deiner Nr. 2, Palm Springs ? Es wundert mich weiterhin, dass es keine (oder wenig ?) parallele Beispiele aus den USA gibt bzw. zu uns durchdringen.
5. Haben Deine Reisen sowie Interviews nicht dazu geführt, dass Du zumindest punktuell Vinyl von lokalen US-„Märkten“ zur Begutachtung und Weiterverbreitung zugesendet bekommst ?
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Du bist drollig, Doug. Stellst mir „spontan“ ein paar sehr grundsätzliche Fragen, deren Beantwortung es unbedingt erforderlich macht, ein wenig auszuholen, doch dann ist es Dir irgendwie gar nicht recht, daß ich für Dich soviel „Mühe und Zeit“ investieren mußte, nur um gleich noch einen Rattenschwanz ähnlich allgemeiner Fragen dranzuhängen. Nun gut, werde mich diesmal aber kürzer fassen: „zementiert“ ist nichts, lokale und regionale Szenen führen ihr Eigenleben aus Gründen kultureller Differenz und natürlich aufgrund ökonomischer Zwänge (s.o.).
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Ist eigentlich schon beantwortet: Ignoranz (wg. Mangel an medialer oder persönlicher Angebundenheit an lokale Musikszenen). Anders ausgedrückt: das Interesse reicht nicht hin, US-Periodika zu lesen, mit zig Vertrieben und hunderten von Labels zu kommunizieren bzw. Geschäftsbeziehungen zu pflegen. Der US-Markt ist extrem unübersichtlich. Selbst für mich, der ich Dutzende von Fachblättern lese, von „Billboard“ über „Goldmine“ bis „American Songwriter“. Der UK-Markt dagegen ist homogen und transparent. Piece of cake.
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Gleich zwei begriffliche Missgriffe: warum denn „Idealisten“, warum „Nerds“? Musikliebhaber, die ihrer Leidenschaft frönen, sind nicht per se das eine oder das andere. Und was die Rolle des Internets betrifft: es macht Dinge zwar potentiell schneller, aber auch unwichtiger, beliebiger, ganz sicher oberflächlicher und affirmativer. Potentiell, nicht realiter, weil letztlich jeder Info-Fluss gestaut wird, wenn Verwertungsinteressen das verlangen. Nimm‘ nur die absurde Veröffentlichungspolitik hierzulande. Vor 30 Jahren lagen die Veröffentlichungstermine hier zwar auch oft ärgerliche zwei oder vier Wochen nach dem Release Date im UK oder in den USA, selten aber später. Heute verstreichen etliche Wochen, ja Monate, bis hiesige Labels in die Gänge kommen. So statisch und ungleichzeitig war die Veröffentlichungspolitik noch nie, Internet hin oder her.
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„Beispiele aus den USA“ gibt es schon. Es mangelt nicht am Angebot, sondern am Wissen um dieses Angebot. Die Ironie dabei: wurde man z.B. in den 70er Jahren einigermaßen verlässlich von Fanzines über verfügbare 7″-Neuerscheinungen kleiner amerikanischer Labels informiert (interessanterweise am besten in UK-Fanzines wie „Zigzag“, „Comstock Lode“, „Fat Angel“, „Dark Star“, etc.), verbunden mit Reviews von Kennern, also qualitativ gewichtet, sind die Untiefen des Internet so zugemüllt mit jedem erdenklichen Dreck, für den sich immer irgendwelche „Kenner“ starkmachen (es muß davon mittlerweile Millionen geben), daß niemand mehr einen Überblick haben kann. Demokratisierung wird das übrigens gern genannt, wenn jeder Depp eine Plattform hat.
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Ich kaufe meine Platten. Natürlich auch bei Reisen nach Amerika. Dorthin komme ich nicht mehr so oft und regelmäßig wie früher, aber ich bringe jedesmal einige Kisten voller Platten mit, vornehmlich 45s. Eine Bemusterung nach Europa gibt für die betreffenden Labels in der Regel keinen Sinn, weil sie teuer ist und sie dort keine Verwertungsrechte haben oder keinen Vertrieb oder überhaupt (noch) keine Kontakte usw. – sie konzentrieren sich logischerweise auf den von ihnen überschaubaren Markt. Und das ist – wie oben ausgeführt – nicht einmal der amerikanische, sondern ein regionaler, dem Einzugsgebiet ihrer Künstler entsprechender. Natürlich freuen sie sich trotzdem, wenn dann in einer Radiosendung im fernen Europa eine ihrer Singles gespielt wird, worauf eine Nachfrage entsteht, die via Mailorder befriedigt werden kann. Das Kerngeschäft bleibt freilich vor Ort.
Nachtrag re. Doug Sahm Singles: Die Sir Douglas Quintet 45s erschienen oft auch in Europa, zumal die großen Hits, doch schon ab 1972 wurden Euro-Releases seltener, ab ca. 1977 erschienen Dougs Singles nicht einmal mehr amerikaweit, sondern in limitierten Auflagen in Texas, z.T. auf Augie Meyers‘ Label The Texas Re-Cord Co.. Full circle: Texas-USA-International-USA-Texas, alles binnen 12 Jahren.
PS: Bitte keine Fragenkonglomerate mehr. Je dezidierter die Frage, desto zügiger ist sie zu beantworten. Danke.
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