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@nail:
Über die unlauteren Machenschaften der Tabakindustrie musst Du mich eigentlich nicht aufklären, danke. Ich habe mir die entsprechenden Links nicht angetan, weil sie eh nichts zur Sache tun. Oder glaubst Du ernsthaft, dass heute noch irgendwer grundsätzlich daran zweifelt, dass (Passiv)Rauchen schädlich ist? Zumindest in unseren Breitengraden wohl kaum. Du argumentierst entlang der Formel „Tabakkonzerne = böse, ergo muss die von der Tabakindustrie am weitesten entfernte Position stimmen“. Etwas gar simpel, finde ich. Zu Deinen Mutmassungen, inwiefern ich mir eine Meinung bilden kann oder nicht, äussere ich mich nicht, Du wirst ja eh weiter auf Deinen Positionen verharren.
Nun aber ein paar Anregungen:
Im British Journal of Medicine gab’s vor einigen Jahren einen Briefwechsel zwischen Wissenschaftlern ob der Frage, ob das Lungenkrebsrisiko von nichtrauchenden Frauen, die mit einem rauchenden Mann verheiratet sind, um 25% erhöht sei, wie die eine Seite behauptete, oder ob der Effekt letzten Endes nicht signifikant nachgewiesen werden könne. Bei Rauchern ist das relative Risiko gegenüber Nichtrauchern übrigens um mehrere 100% grösser. Das eigentlich Interessante an dieser Debatte: Egal wer recht hat, das absolute Lungenkrebsrisiko einer mit einem Raucher verheirateten Nichtraucherin ist so oder so tief. Wenn Du 0.0X% um einen Viertel erhöhst, ist das immer noch wenig. Das ist eine ziemlich gute Nachricht für alle Nichtraucher, die hin und wieder in eine Raucherkneipe gehen wollen.
Das vielzitierte schottische Wunder (weniger Herzinfarkte nach Rauchverbot) wurde vor drei Jahren vollkommen unkritisch durch sämtliche Medien gespült, obwohl bis zu diesem Zeitpunkt gar keine entsprechende Studie publiziert worden war. Das ist schlicht unseriös, zumal das Studiendesign für die Ergebnisse natürlich von zentraler Bedeutung ist. Interessanter Beitrag hierzu siehe hier. Mittlerweile gibt‘s offenbar eine seriöse Studie zu Schottland (NEJM), aber die schlug keine Wellen, denn die Message war ja längst verbreitet.
Auch ein sehr schönes Beispiel ist die Studie zum Piemont (Italien) im European Heart Journal: Blöderweise zeitigte das Rauchverbot keinen Rückgang von Herzinfarkten in der Bevölkerung. Was tut man da? Man filettiert unterschiedliche soziökonomische Gruppen, bis man einen Effekt gefunden hat. In diesem Fall konnten die Forscher zeigen, dass bei den unter 60jährigen ein Rückgang zu beobachten war (-11%, Konfidenzintervalle: -19% und -2%!). Schau die kurze Studie an, wenn Du Zugriff hast und google nachher „Herzinfarkte Piemont“, dann siehst Du, wie solche Ergebnisse aufgenommen werden. Das ist crazy.
Die aktuelle Studie von England (BJM) ermittelt einen Rückgang der Herzinfarkte um 2.4%, nicht soo prickelnd. Ob das von Dir verlinkte Ärzteblatt wohl bald geupdated wird? Oder stecken dahinter wieder die Tabakkonzerne? Hm, dann kann man diese Journals also doch nicht ernstnehmen… verflixt.
Abschliessend: Nein, Artikel in referierten Journals möchte ich per se nicht anzweifeln, auch wenn die Autoren natürlich alle Anreize haben, ihre Ergebnisse als besonders groundbreaking darzustellen. All jene Studien, die keine nennenswerten Ergebnisse hervorbringen, werden übrigens gar nicht publiziert, daher ist das mit den Metastudien auch so eine Sache. Und der Leiter der Studie zum Rauchverbot und den Herzinfarkten in Graubünden sagte kürzlich sinngemäss: Tja, es gibt weltweit schon rund zehn Studien, die ähnliche Ergebnisse enthalten, die Kausalität ist also recht wahrscheinlich. Von wegen „die Frage nach den Relationen hat sich erledigt“!
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