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Big HatDie Meinungsbildung ist natürlich immer besonders leicht, wenn man von möglichst grotesken Zerrbildern von Großkonzernen ausgeht. Ich für meinen Teil kann mir eigentlich kaum vorstellen, dass die europäischen Rauchverbote die Tabakkonzerne heute noch groß tangieren. Dieser Kampf dürfte intern längst abgehakt sein. Abgesehen davon: Einfach mal ins Blaue hinaus illegale Machenschaften zu unterstellen ist, nun ja, etwas schwachbrüstig.
Im übrigen ist es geradezu belustigend, wie Du insinuierst, die Journalisten, Wissenschaftler und Politiker seien unter der Fuchtel der anti-Rauchverbots-Fraktion. Viel eher ist das Gegenteil der Fall: In den letzten Jahren wurden von den Medien verschiedene „Studienergebnisse“ hochgespielt, die angebliche Wunderwirkungen von Rauchverboten zum Inhalt hatten (massive Abnahme von kardiovaskulären Erkrankungen kurz nach Einführung des Rauchverbots und dergleichen). Dummerweise sind diese Studien gerade unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten sehr fragwürdig, weswegen seriöse Institutionen tunlichst vermeiden, damit hausieren zu gehen. Aber die Aufrechten sind ja ohnehin nur diejenigen, welche Deine Meinung vertreten.
Damit behaupte ich nicht, dass Passivrauch vollkommen ungefährlich sei (und Schädigung Dritter ist immerhin ein legitimes Argument pro Rauchverbot). Es wäre aber mal interessant zu hinterfragen, in welchen Relationen der ganze Aktionismus in Bezug auf Gaststätten steht zu den Gefahren, die vom Passivrauch auf jemanden ausgehen, der vielleicht ein- oder zweimal pro Woche ein paar Stunden in einer Kneipe verbringt. Kinder in einem qualmenden Elternhaus sind weitaus stärkeren Gefahren ausgesetzt. Irgendwie blöd, oder?
Deine Antwort offenbart, dass Du Dich mit diesem Thema offensichtlich noch nie beschäftigt hast, sonst wüsstet Du, dass die Belege für meine Aussagen in kaum bewältigbarer Anzahl vorliegen. Dummerweise für Dich ist es so, dass die Tabakindustrie jahrzehntelang sowohl in Deutschland wie in den USA tatsächlich genau das gemacht hat, was ich oben beschrieben habe. Das ist insofern keine Verschwörungstheorie, sondern vielfach belegt und dank der amerikanischen Regierung online recherchierbar. Für die Schweiz ist das übrigens dank der unten verlinkten Studie nachgewiesen:
http://escholarship.org/uc/item/09t535s7
Informationen zur den Methoden der Bestechung und Manipulation, die die deutsche Tabakindustrie angewandt hat, kann man hier nachlesen:
http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/pdf.asp?id=54940
Auszug:
Die zunehmenden Beweise für die gesundheitsschädlichen Folgen des Aktiv- und Passivrauchens veranlasste die Tabakindustrie bereits seit den 1970er-Jahren, Forschung zum Thema „Rauchen und Gesundheit“ in
Auftrag zu geben. Um die Glaubwürdigkeit der wissenschaftlichen Ergebnisse zu steigern, wurden nicht interne Forschungseinrichtungen der Zigarettenhersteller, sondern externe Ärzte und Wissenschaftler von Universitäten und anderen unabhängigen wissenschaftlichen Institutionen beauftragt. Diese sogenannte white coat strategy machte sich das hohe Ansehen der Beauftragten zunutze. Vier Ziele dieser Strategie werden in den internen Dokumenten der Tabakindustrie genannt: 1) Einflussnahme auf Wissenschaft und Erzeugung von Forschungsergebnissen zur Verwendung gegen Erkenntnisse über die Gesundheitsschäden des Aktiv- und Passivrauchens, 2) Steigerung des Ansehens und der Glaubwürdigkeit der Tabakindustrie, 3) Gewinnung von renommierten Wissenschaftlern
zur Unterstützung der Interessen der Tabakindustrie, und in der Folge 4) die Einflussnahme auf die Öffentlichkeit, politischen Entscheidungsträger und die Gesundheitspolitik.
In Deutschland entstand neben industrieeigenen Forschungsinstituten ein ausgedehntes Netzwerk aus Wissenschaftlern an Universitäten und anderen akademischen Einrichtungen (6, 7). Beispielsweise förderte der VdC [Verband der Cigarettenindustrie, inzwischen aufgelöst] 110 Forschungsprojekte von 1977 bis 1991. Die Dokumente offenbaren die Namen von mehr als 60 beteiligten Wissenschaftlern, darunter einflussreiche Ärzte, noch heute amtierende Universitätsprofessoren, ehemalige Präsidenten von medizinischen
Fachgesellschaften sowie ein ehemaliger Präsident des Bundesgesundheitsamtes (6). Ein Dokument beschreibt die Einschränkung akademischer Freiheit: „Der Verband (VdC) hat totale Kontrolle über das Design der Experimente, das Recht der Forscher zu publizieren oder nicht zu publizieren et cetera. Ebenso müssen diese Projekte nach außen hin vertraulich gehalten werden.“ (3)
Soweit ich weiß bist Du kein Mediziner. Ich frage mich daher, woher Du wissen willst, ob die von Dir genannten Studien zur den positiven Wirkungen von Rauchverboten methodisch fragwürdig sind. Wie Dir bekannt sein dürfte, sind statistische Auswertungen in Bezug auf Gesundheitseffekte immer methodisch sehr komplex. Sofern Du nicht konkrete Belege von unabhängigen Wissenschaftlern lieferst, die Deine Auffassung unterstützen, betrachte ich Deine Einwände als haltlos, zumal Deine Aussage, „seriöse Institutionen“ würden solche Studien „vermeiden“ als widerlegt gelten kann, denn diese Studien wurden allesamt in peer-reviewed Journals publiziert, wie beispielsweise im „Journal of the American College of Cardiology“ oder im „New England Journal Of Medicine“. Hast Du Dir nicht einmal die Mühe gemacht, Deine „talking points“ zu recherchieren?
Was Du Dir „vorstellen“ kannst, ist übrigens nicht von Belang. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass die Tabakindustrie heimlich renommierte Wissenschaftler kauft, bis ich wirklich unbestreitbare und unbestrittene Belege dafür gesehen habe, dass es wirklich so war und teilweise auch noch ist. Darüber hinaus ist es eine ebenso unbestrittene Tatsache, dass die Tabakindustrie ein massives Interesse am Ausgang der bayrischen Abstimmung hatte und mehrere hunderttausend Euro in einen für sie positiven Ausgang investiert hat, viel mehr übrigens als die Befürworter. Rauchverbote zu verhindern zählt nach wie vor zu den wichtigsten Zielen der Tabakindustrie. Dass sie Interesse daran besitzt, wissenschaftliche Studien, die den medizinischen Nutzen von Rauchverboten belegen mit Hilfe von verbündeten und gekauften Wissenschaftlern, Politikern und Journalisten zu diskreditieren, liegt nahe.
Näheres zu diesen Studien findet sich hier:
http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/38218/Rauchverbot_senkt_Herzinfarktrate_um_ein_Drittel.htm
Damit hat sich dann auch die Frage nach den Relationen erledigt. Natürlich wäre es wünschenswert, dass Eltern nicht rauchen, aber man kann nun einmal Eltern nicht gesetzlich dazu verpflichten, alles richtig zu machen. Dass Eltern ihre Kinder Zigarettenrauch aussetzen, muss man vermutlich hinnehmen, mit gesetzlichen Verboten erreicht man da nichts.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.