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In weiter Ferne, so nah: Bowies „Reality“
Gestern im Kino gewesen, den neuen Bowie gesehen. Nein, nicht von einem Spielfilm ist die Rede, den der Rockstar mit einem seiner selten gewordenen Auftritte geadelt hätte, sondern von einem neuen Album, einem Konzert und einer unkonventionellen PR-Idee: Seine neue Platte „Reality“ hat Bowie am Montag abend nicht nur den Besuchern eines Live-Konzerts in London vorgestellt, sondern auch den Kinozuschauern in 68 Lichtspielhäusern in 22 Ländern – dorthin wurde das Konzert via Satellit übertragen.
Auf eine solche Weise hat zuvor zwar schon Melissa Etheridge eine DVD beworben, aber erstens kann Bowie nicht überall der erste sein, zweitens spielt er fraglos in einer anderen Klasse – was er am Montag abend unter Beweis stellte.
Popcorn und Pepsi-Becher sind keine typischen Utensilien von Besuchern eines Bowie-Konzerts, doch diesmal ist eben alles etwas anders. Im Frankfurter Metropolis-Kino nehmen die Besucher in komfortablen Stoffsitzen Platz, während die Auserwählten in London stehen müssen – oder dürfen. Zunächst einmal aber sieht man auf der Leinwand minutenlang nur das riesige „Reality“-Cover, auf dem ein im Manga-Stil mit riesigen blauen Augen ausgestatteter Comic-Bowie durch eine gar nicht rea-, sondern vielmehr surrealistische Landschaft wandert. Auch nicht typisch für ein Bowie-Konzert ist es, daß vor dem Beginn ein hr3-Moderator auftritt und mit bewußt dummen Fragen – „Wo wurde Bowie geboren: in Brixton, Bamberg oder Berlin?“ – Schirmmützen seines Senders unters Volk bringt. Dann aber geht es endlich los.
Und zwar, nacheinander gespielt, mit den elf neuen Songs von „Reality“, das am 15. September in den Handel kommen soll, angefangen mit einem kraftvoll und kernig dargebotenen „New Killer Star“, der ersten Single. „Let’s face the music and dance“ singt Bowie, doch das Publikum kommt nur dem ersten Teil der Aufforderung nach: Zum Tanzen erhebt sich hier niemand. Was schade ist angesichts so energiegeladener Rocksongs wie „Fall Dog Bombs The Moon“, „Never Get Old“, dem jazzigen „Bring Me The Disco King“ oder der Hommage an den Künstlerkollegen „Pablo Picasso“; letzteres ein von Jonathan Richman verfaßtes Stück, in dem es darum geht, daß Picasso so viele Frauen aufreißen konnte, wie er wollte, und trotzdem nie „asshole“ genannt wurde: „Not like you.“
„Es wird heiß hier drin“, sagt Bowie und entledigt sich seines Glitzerhemdes, um gleich darauf, nur im T-Shirt, mit „The Loneliest Guy“ eine Ballade zu singen, die so tieftraurig ist, daß es das Publikum frösteln läßt. Nur das Londoner freilich, denn im wohltemperierten Frankfurter Kinosaal bekommt man von den Hitze- und Kältewellen nichts mit. Sehr weit weg ist man und doch ganz nah dabei, fährt die extrem bewegliche Kamera doch dicht an die Musiker und ihre Instrumente heran und zeigt uns David Bowies Gesicht, das trotz seiner 56 Jahre neiderregend faltenfrei ist, aus nie gekannter Nähe. Ganz überspringen will der Funke aus London aber nicht.
Bowie aber ist blendend gelaunt, scherzt mit den Zuhörern und läßt sie an seinen Emotionen teilhaben: Gefreut und gefürchtet habe er sich vor diesem Moment, bekennt er vor der Darbietung von „Try Some, Buy Some“, einer sperrigen George-Harrison-Nummer. Auch den eigentlich undankbarsten Teil des Abends absolviert Bowie mit Bravour: Nach dem „Reality“-Set nimmt er auf einem Hocker Platz, um ausgewählte Fragen der aus den Kinosälen zugeschalteten Zuhörer zu beantworten, und entpuppt sich mit dem Moderator Jonathan Ross als prächtig harmonierendes Comedy-Gespann – gerade weil die Technik nicht recht mitspielen will.
So dringt etwa der Bowie-Fan aus dem Berliner Kino nur mit entsetzlichem Echo zu seinem Idol durch, so daß Ross die Frage vorlesen muß: Was aus Bowies deutschstämmigem Hund namens Etzel von Sprieteufel geworden sei? Er sei zu irgendwann zu groß geworden, so Bowie, weshalb man ihn an einen Farmer übergeben habe. Auf dessen Farm habe Etzel dann noch ein paradiesisches Leben geführt und „Schafe getötet“. Nicht einmal die Schaltung von London nach London klappt: Die Leitung aus dem Kino am Leicester Square ist tot. Typisch Engländer, meint Bowie, wahrscheinlich sei der Fan rasch ein Bier trinken gegangen, bevor die Pubs schließen.
Im weiteren Verlauf der Fragerunde erfahren wir dann noch, daß sich Bowie für seinen Haarschnitt von einem Kellner der Berliner Kneipe „Exil“ inspirieren ließ, daß er Romane schreibe, aber stets nach vier, fünf Seiten nicht mehr weiterwisse, und daß, wenn er eines seiner Alben für immer löschen müßte, die Wahl wohl auf „Never Let Me Down“ fiele. Zum Abschluß rockt Bowie dann noch einmal los, mit den vorab per Fan-Wahl bestimmten Klassikern „Hallo Spaceboy“, „Fantastic Voyage“, „Hang on to yourself“, „Cactus“, „Afraid“ und „Modern Love“, bei welchem Bowie unüberhörbare Textprobleme hat.
Dann kommt der Abspann – nach einem netten, durchweg unterhaltsamen Kinoabend, der gleichwohl ein echtes Konzert nicht ersetzt. Doch auch darauf wird man nicht mehr lang warten müssen: Am 16. Oktober startet David Bowie in Hamburg nach zehnjähriger Pause eine Deutschlandtournee.
(www.faz.net)
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