Re: ROLLING STONE August 2008

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nail75

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Torsten GroßNatürlich hat er in den letzten paar Monaten, nachdem er insbesondere am Anfang seiner Kampagne inhaltlich überhaupt nicht einzuordnen war einige konkrete Vorschläge gemacht. Allerdings hat er gerade einen der von dir genannten teilweise bereits wieder revidiert, mindestens aber abgeschwächt: Man müsse erst den Rat von Militär-Experten einholen bevor man final entscheide, wie im Irak zu verfahren sei. Nach der Wahl. Außerdem relativierte er eine früher getroffene Aussage zur Verschärfung der Waffengesetze und dergleichen mehr. Das sind natürlich wahltaktische Manöver, eine zu liberale Ansicht gerade in diesen Punkten schafft in den USA keine Mehrheiten. Aber gerade das macht Obama inhaltlich eben auch vage und schlecht einschätzbar. Er selbst hat sich ja im Gegensatz zur pragmatischen Hillary Clinton als Mann der Wahrheit und der klaren Botschaften positioniert. Und daran muss er sich dann eben auch messen lassen.

Mangelnde Erfahrung habe ich ihm nicht vorgeworfen.

Natürlich macht der Kongress die Gesetze – aber noch ist Obama nicht Präsident, kann also eigentlich gar nichts tun, wenigstens aber deutlich machen, was er tun würde, wenn er denn könnte – und genau hier bleibt er teilweise undeutlich.

„Yes we can“ – was denn? Einen opportunistischen Wahlkampf bestreiten? Das können die anderen auch, ja nach deiner Aussage müssen sie es sogar: Du sagst praktisch, Wahlkämpfe müssten taktisch, pragmatisch und thematisch flexibel bestritten werden, um Aussicht auf Erfolg zu haben. Sicher nicht falsch – aber genau das ist es ja, was die Leute – nach seinen Versprechungen zu Recht – eben nicht von Obama erwarten.

Zu keinem Zeitpunkt ging es mir darum, Obama grundsätzlich zu diskreditieren. Natürlich ist er die bessere Alternative zu Bush, ziemlich sicher auch zu McCain. Ein gewisses Misstrauen ihm gegenüber ist aber meiner Meinung nach durchaus angebracht. Gerade weil mit seiner Person so viel Hoffnung verbunden ist.

Ich habe Dir auch nicht vorgeworden, Obama diskreditieren zu wollen. Und ich warne auch vor zu großen Erwartungen.

Ich habe allerdings Probleme damit, wenn Du Obama dafür kritisierst, dass er sich erst beraten lassen will, bevor mit dem Abzug amerikanischer Soldaten aus dem Irak beginnt. Seine frühere Position war einfach unrealistisch: Es kann und wird keinen schnellen Abzug der Amerikaner geben, weil den niemand will und weil er logistisch nicht durchführbar ist. Zumal will jeder eine Wiederholung davon unbedingt vermeiden:
http://en.wikipedia.org/wiki/Fall_of_Saigon

Die Waffengesetze sind im Moment in den USA kein Thema. Es gibt keine ernstzunehmende politische Bewegung für die Einschränkung des Waffenbesitzes. Nach der jüngsten Entscheidung des Supreme Courts sind Gesetze, die den Waffenbesitz einschränken wesentlich erschwert, ein gänzliches oder weitgehendes Verbot vermutlich sogar unmöglich. Das Thema ist auf absehbare Zeit erst einmal durch. Im Gegenteil, vermutlich werden in den nächsten Monaten und Jahren zahlreiche bislang bestehende Beschränkungen aufgehoben werden.

Meine Hauptkritik gilt jedoch diesem Satz: „Er selbst hat sich ja im Gegensatz zur pragmatischen Hillary Clinton als Mann der Wahrheit und der klaren Botschaften positioniert.“ Das sehe ich ganz anders. Ich kann die Prominenz beider Aspekte nicht erkennen, würde auch jedem Politiker, der meint die „Wahrheit“ vertreten zu wollen, sagen, dass er den Beruf verfehlt hat und besser Pastor geworden wäre. Klare Botschaften machen sich auch in den seltensten Fällen bezahlt, zumal man ja nie weiß, wie die Situation nach der Wahl ist. Einen Politiker an klaren Botschaften und an der Wahrheit zu messen, ist ein wenig so, wie einen Fußballspieler an seinem Intellekt zu messen.

Und darin unterscheidet sich auch Obama nicht von anderen. Außerdem ist die Ankündigung von Wandel, unterlegt durch zahlreiche nähere Erläuterungen (http://www.barackobama.com/issues/), nicht opportunistisch. Es hat aber auch keinen Sinn als Politiker zu erklären, wozu man nicht in der Lage ist. Das verkennt doch alles das Wesen der Politik. Du stellst Dich ja auch nicht hin und erklärst, was Du in der Redaktion darfst und was Du nicht darfst.

@mikko: Danke für die Klarstellung. Was Du schreibst, ist zweifelsohne richtig, aber die Erklärung für die Hoffnungen, die Obama in Teilen der Bevölkerung erzeugt, liegt allein darin, dass er nun einmal nicht so ist, wie die Mehrheit der amerikanischen Politiker, nämlich weiß.

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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.