Re: Giant Sand – proVISIONS

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krautathaus

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01. Stranded Pear l*****
02. Without A Word *****
03. Can Do ****1/2
04. Out There ****
05. The Desperate Kingdom Of Love ****1/2
06. Increment Of Love *****
07. Spiral *****
08. Pitch & Sway *****
09. Muck Machine ****
10. Belly full of fire ****
11. Saturated Beyond Repair ****
12. World’s End State Park ****
13. Well Enough Alone ****1/2

Nach etlichen Durchläufen ist es an der Zeit etwas innezuhalten, um ein Resume zu ziehen, für die beste Veröffentlichung unter dem Namen Giant Sand seit „Chore of enchantment“.

Lyrische Interpretationen überlasse ich den kundigen, die sich mit Übersetzungen leichter tun als ich.
Wichtig zu erwähnen wäre, daß die gesprochenen und gesungenen Worte so klingen, wie man es von Howe gewohnt ist. Einfach passend zur Musik und dem eigentümlichen Rhythmus, den er für sich schon seit Convertinos Zeiten, gepachtet zu haben scheint.

Zu Beginn zieht mich der unglaublich straighte und klar strukturierte Sound in „Stranded Pearl“ in den Bann, es passiert dermaßen viel an feinen Arrangements und Hintergrundeffekten, daß man den Song beim ersten Hören gar nicht voll wahrnehmen kann.
Mehrere Durchläufe sind nötig um auch die letzte Feinheit, wie aus einer Kiwi, herauszulöffeln. Sehr süß, sehr saftig und aromatisch klingt nicht nur der erste, sondern auch die weiteren 7 Stücke, die in ihrer Reihe bestimmt zu dem stärksten gehören, was Howe Gelb sich je hat einfallen lassen. So brilliant und makellos ist deren Anreihung.
Isobell Campbell singt derart lässig, ohne typisch kindlich zu wirken, daß man sie eher mit Nancy Sinatra in Verbindung bringt, als mit den früheren Taten.
Hazlewood wäre ob solch einer perfekten Produktion des Stückes angetan gewesen. Auch unkonventionell, das mehrmalige wechseln der Grundtonart.
Erinnert an die 60s.

„Without a word“ wäre eine Single, wenn Howe eine veröffentlichen würde, aber wir wissen es besser.
Hier kommen die Tremoloeffekte der Gitarre richtig zum Vorschein, ein harmonischer Refrain zum niederknien, den sich Howe mit Neko Case teilt, und Pete Dobornowski’s fills am Schlagzeug (längst Convertino ebenbürtig am Schlagzeug ersetzt) sind makellos.
Anders Pedersen Slide weint in genau der richtigen Stelle, was ich übrigens bei Calexicos letztem durchwachsenen Werk vermisse.

„Can Do“ lebt von der traditionellen Country’n’Roll-Produktion, den paralell gespielten Gitarrensounds aus der akustischen und elektrischen, und Howe umwerfend sonoren Stimme, die perfekt abgemischt ist. Wie er den Satz mit „Triple Two Truck“ spricht, ist fast Rap.
Und wieder sind auch hier kleine unaufdringliche Effekte aus dem Hintergrund zu vernehmen (M.Ward), die erst nach dem 3. oder 4. Duchlauf auffallen.

„Out There“ beginnt etwas düster: „are you out there? really really out there? all by yourself alone?“ aber es folgt die Zeile „who you gonna lean on“ und ab da fühlt man sich an „Chore of enchantment“ erinnert, sowohl was Sound und Stimmung des Stückes angeht.
Wieder sind die Gitarreneffekte (elektr. acoust.stahl.,acoustic.nylon, tremolo,steel), die sich miteinander clever ablösen, ein wichtiger Bestandteil des Gesamtbildes. Hört sich überladen an, klingt aber sehr locker und ausgewogen.

P.J.Harvey „The desperade kingdom of love“ wäre genauso wie „Spiral“ auch kein Fremdkörper auf „Chore of enchantment“.
Eine Hornsektion im Hintergrund, Howe’s piano perlt im Vordergrund, der Song schillt gegen Ende an, um in der letzten Zeile mit dem Titel abzuklingen. Perfekt.

„Increment of love“ ist neben „Pitch and Sway“ mein Lieblingstrack. Schon seit langem habe ich nicht mehr so lachen müssen, wie Howe die Eigenschaften des menschlichen Erbguts, Zellen, Chromosome, Moleküle zum Leben erweckt.
Die Tremolo sehr dominant im Vordergrund, singt er von „Happy little cells, flippin‘ from her lip…and spending the night screaming for the mothership“.
So sexy war schon lange kein Stück mehr seit „Temptation of egg“.

„Spiral“ ist nun der ruhige klassische Jazzformationstrack, wie wir ihn auch von ein paar Titeln von „Chore“ kennen…ein ruhiges Stück, das bei Kerzenschein bestimmt niemand kalt läßt.
Henriette Sennenvaldt unterstützt Howe beim Refrain, und der Voices of Praise Chor noch dazu, in einem Moment als das Piano eine kurze düstere Einlage spielt. Gespenstisch und doch faszinierend.

Wer nun von der gepriesenen fantastischen Produktion einen Vorführtrack braucht: „Pitch and Sway“ ist er in Perfektion.
Hier verarbeitet Howe nochmal alle Ideen der ersten Hälfte des Albums, um es den Kritikern zu zeigen, die von „selbstzerstörenden“ Ideen der letzten Alben gefaselt haben.
Selten war ein Track von Giant Sand so konzentriert und unglaublich stimmungsvoll auf den Punkt gebracht, wie auf diesem hier.
Wenn Howe mit Lucie Idlout die Zeile „there’s a mother giving birth to a fine son – she swears by the blood he’s going to shine like the sun“ singt, ist das einer der größten und bewegenden Momente des Albums.
Der Song klingt aus, Howe nimmt die „akustische“ und stößt ihn nochmal an, um ihn zum Abschluß zu bringen. „Living every day with the pitch and the sway“.

Ende Teil 1

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“It's much harder to be a liberal than a conservative. Why? Because it is easier to give someone the finger than a helping hand.” — Mike Royko