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Der Mann wird in diesen Tagen 72 Jahre alt. Er hat als Songwriter Liedzeilen geschrieben, die mindestens seit drei Jahrzehnten Menschen bei Liebesspielen und bei Trennungsschmerz durch den Kopf gehen. „Lovin‘ her was easier…“ und „Freedom ’s just another word for nothin‘ left to loose“ sind Festbestand im Zitatenschatz des amerikanischen Sprachraums geworden. Er hat als spröder Womenizer in Hollywood und um Hollywood herum mehr als zweimal (einmal mit Sam Peckinpah, einmal mit Michael Ciminio) mit höchst nachhaltiger Wirkung die Regeln des Produzentenkinos durchbrochen. Er hat Janis Joplin, Barbra Streisand, Rita Coolidge und jede Menge anderer außergewöhnlicher Frauen geliebt. Er hat mit dem kongenialen Urgestein Willie Nelson das Herz seines Helden Johnny Cash erobert und uns mit ihnen und Waylon Jennings mit der Formation (gerne auch „Supergroup“) „Highwaymen“ die genialsten Produktionen eines Genres beschert, daß es ohne ihn zuvor so nicht gab.
Nach alledem und gegen dessen Ende hin hat er noch einmal 5 Kinder in die Welt gesetzt, sich einen Bypass legen lassen, sich politisch konsequent unbeliebt gemacht, und dann, vor drei Jahren, mit „This Old Road“ ein Album herausgebracht, dessen Charme und Kraft sich seither in Wahrnehmung und Kritik wie ein langsam anlaufender Tsunami zu entfalten beginnen.
Es ist wirklich nicht normal, daß jemand, der öffentlich vor ein paar Wochen sagte, man hätte den 20 Leuten, die die Contras in Nicaragua unterstützt haben, damals die Eier abschneiden sollen, dann hätte es den Überfall auf den Irak nicht gegeben, das Eröffnungskonzert seiner vielleicht letzten Europatournee in einer der hintersten, schwärzesten deutschen Provinzen, in einem Festzelt auf der höchsten Höhe des Westerwalds gibt. Nein, das ist wirklich alles nicht normal. Aber das ist Kris Kristofferson.
2007 gab er ein einziges Konzert in Deutschland, damals im schon vorher seit Wochen ausverkauften Schauspielhaus Hamburg vor 1.200 Menschen. Im Westerwald waren es 1.300, und gerade daß davon einige mehr oder weniger zufällig dorthin gekommen waren, machte eine folkloristisch betrachtet geradezu anmutige Facette der Veranstaltung aus. Das im ersten Teil der Veranstaltung sowohl Technik als auch Vortrag ihre Macken hatten, wirkte sich im Nachhinein als ein Umstand aus, der die Authentizität der ganzen Angelegenheit noch dramatisch erhöhte.
Mir hat in den letzten dreißig Jahren noch kein Liedermacher, kein Konzert je eine Träne ins Auge getrieben. Nichts fand ich bis dahin so lächerlich, wie hysterische Menschen vor den Bühnen ihrer Helden. Diese Bekloppten wollte ich bislang am liebsten immer zur psychiatrischen Nachbehandlung eingewiesen sehen. So mir unter die Haut gegangen aber ist der vollständig ungekünstelte Auftritt dieses Abends, die Inbrunst und Überzeugtheit, die Passgenauigkeit von Haltung und Vortrag im Gesang dieses Mannes „with his own words“, daß er mich in einer nicht für möglich gehaltenen Art und Weise derart tief im Innern meines Herzens traf, daß es auch keine wirkliche Rettung mehr gab, als Kristofferson in einem seiner letzten Lieder des Abends – als würde David Copperfield am Ende einer Vorstellung seinen besten Trick preisgeben – mit der Zeile „Go, break a heart“ quasi wie zur Auflösung des Mirakels seinen programmatischen Ansatz, sein Credo verkündete.
Es gibt keine Dokumentation. Es gibt keinen Mitschnitt, keine Aufzeichnung. Bei der späteren Recherche stieß ich auf ein jüngeres Album, daß möglicherweise einen ähnlich intensiven Auftritt festgehalten hat: „Broken Freedom Song – Live from San Franciso“. Es scheint derzeit hierzulande nur auf besonderen Wunsch als Import erhältlich zu sein. Ich werde mich darum bemühen.
Grandmaison
Wetzlar
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