Re: Deutschsprachige Musik

Startseite Foren Kulturgut Das musikalische Philosophicum Deutschsprachige Musik Re: Deutschsprachige Musik

#6627653  | PERMALINK

mikko
Moderator
Moderator / Juontaja

Registriert seit: 15.02.2004

Beiträge: 34,399

Noch mal ein paar Überlegungen zur Rolle der Pop- / Rockmusik in Deutschland.

Die Unterscheidung in E- und U-Musik wird in der Tat in der von Nail beschriebenen Weise nur in Deutschland so konsequent und geradezu verbiestert betrieben. Das Entscheidende dabei ist jedoch nicht einmal die Trennung, die ja durchaus Sinn macht, da es sich eben wie schon beschrieben um verschiedene musikalische Systeme, quasi Sprachen, handelt. Entscheidend ist, dass Popmusik von der etablierten Kulturwissenschaft in Deutschland noch immer als minderwertig angesehen, nicht ernst genommen wird. Das setzt sich tendenziell immer noch fort bis in Bildungspolitik, in offiziöser Kulturpolitik sowieso.
Die drei Berliner Opernhäuser werden mit Millionenbeträgen jährlich subventioniert. Für die Förderung freier Gruppen (Pop- und Rockmusik incl. Jazz) stehen dem Berliner Kultursenat gerade mal 300.000 Euro im Jahr zur Verfügung. Und das ist sogar vergleichsweise viel. Bundesweit hat Kulturstaatsminister Naumann genau 1 Mio. Fördermittel zur Verfügung für die Pop- und Rockmusik. Dagegen wurde der Quelle Katalog im Sommer mit 25 Mio. Staatsbürgschaft gedruckt. Und genutzt hat es offenbar ja doch nichts.
Ich will hier jetzt gar nicht über den Sinn und die Problematik staatlicher Förderung diskutieren. Die Zahlen zeigen aber m.E. welchen Stellenwert Popmusik in der etablierten Gesellschaft in Deutschland hat.
Auch die Problematik der Tradition und der geschichtlichen Entwicklung von Popmusik hat Nail bereits angesprochen. Da ist vieles verschüttet, manches auf immer diskreditiert, und letztlich hat sich erst in den letzten drei, höchstens vier Jahrzehnten eine eigene deutsche Tradition entwickelt, die naturgemäß sehr stark angloamerikanisch geprägt ist. Wo es wirklich eigenständige Entwicklung gab (elektronische Musik, Avantgarde, Entwicklungen aus dem Krautrock hin zu neuen Formen, Minimalismus und Dadaistik im Zuge der ndW, später Techno) wurde die eigentlich nie im Mainstream richtig adaptiert und akzeptiert (mit Ausnahme von Techno).
Ob man nun bereits den Deutschrock eines Udo Lindenberg, Marius Müller-Westernhagen oder später Herbert Grönemeyer und Heinz-Rudolf Kunze bereits als eigenständige originär deutsche Popmusik betrachtet oder nicht, ist eigentlich völlig egal. Tatsache ist, dass sich diese Musiker selbst wie eigentlich alle ihrer Generation explizit auf angloamerikanische Vorbilder beziehen. Das Neue bei ihnen ist lediglich die Verwendung der Muttersprache auf mal mehr mal weniger gelungene Art und Weise. Dass der deutsche Durchschnittskonsument natürlich gerne Pop- und Rockmusik in einer Sprache die er versteht hört, ist nun nicht so erstaunlich. Die Zeiten, da englischsprachiger Beat zur Abgrenzung von Eltern und Lehrern unabdinglich war, sind spätestens seit Mitte der 70er Jahre vorbei. Taugten anfangs wenigstens noch die deutschen Texte zur Abgrenzung oder gar Provokation, so ist auch das inzwischen eher die Ausnahme als die Regel.
Aber darum geht es hier auch gar nicht. Schließlich ist Popmusik generell heute nicht mehr dazu geeignet sich abzugrenzen.
Warum es nun hierzulande keine Bands wie The XX oder Animal Collective, keine Massive Attack aber auch keine Oasis oder Blur gibt, ist eigentlich gar nicht so schwer zu erklären. Es fehlt hier einfach der Humus, das Umfeld, die Szene, in der solche Musik gespielt wird und entsteht. Und es fehlen die Musiker, die konsequent ihr Ding durchziehen wollen, die ihre Musik in den Mittelpunkt ihres Denkens und Handelns stellen. Wer so etwas auch noch mit 25 macht, gilt hier schon als gescheiterte Existenz.
Die jüngeren deutschen Pop- und Rockmusiker treten zwar inzwischen durchaus selbstbewusster auf, aber ihre Musik ist m.E. nach wie vor wenig eigenständig, wenn man von den Texten mal absieht. Wenn da wirklich etwas Neues, Eigenes entstanden ist, wie von Sokrates etwa behauptet, dann ist es leider meist viel schlechter und unattraktiver als das, was sich in anderen Ländern zur gleichen Zeit entwickelte. Das ist nun eine sehr subjektive Einschätzung, aber Popmusik zu beurteilen ist nun mal eine höchst subjektive Angelegenheit. Es gibt keine objektivierbaren Kriterien zur Beurteilung von Popmusik. Wer das behauptet, hat das Wesen dieser Musik nicht verstanden.
Insofern mag sich hierzulande eine eigene Popmusik entwickelt haben oder noch entwickeln. Eine Hamburger Schule von mir aus, oder eine Bielefelder (da kamen etliche der Protagonisten von Distelmeyer bis Begemann ursprünglich her). Musikalisch gehen ihre Vertreter eigentlich kaum wirklich eigene Wege. Ihre Musik ist von angloamerikanischem Rock und Pop ebenso beeinflusst wie von deutschem Schlager. Textlich bieten sie zum Teil wirklich gelungene Pop-Lyrik. Das muss einem nicht unbedingt gefallen, aber es greift durchaus Alltagsthemen mehr oder weniger gekonnt auf, und es zeugt mitunter von geschicktem Umgang mit der deutschen Sprache. Ja, es gibt sogar Beispiele für eine wirklich gelungene Verbindung von Sprache und Musik, die man schon als eigenständige Entwicklung bezeichnen kann.
Wer mit solcher Musik aufgewachsen ist und damit Schlüsselerlebnisse der eigenen Sozialisation verbindet, wird vielleicht zu Recht große Stücke darauf halten. Mir blieb das alles trotz vorhandener Sympathie meist doch eher fremd. Und selbst die Songs und Produktionen von Die Ärzte oder von Trio, die ich als meine Favoriten unter den deutschsprachigen Bands bezeichne, bleiben im Vergleich mit meinen sonstigen internationalen Favoriten letztlich auf der Strecke. Aber das ist dann vielleicht wirklich auch mein Problem.

--

Twang-Bang-Wah-Wah-Zoing! - Die nächste Guitars Galore Rundfunk Übertragung ist am Donnerstag, 19. September 2019 von 20-21 Uhr auf der Berliner UKW Frequenz 91,0 Mhz, im Berliner Kabel 92,6 Mhz oder als Livestream über www.alex-berlin.de mit neuen Schallplatten und Konzert Tipps! - Die nächste Guitars Galore Sendung auf radio stone.fm ist am Dienstag, 17. September 2019 von 20 - 21 Uhr mit US Garage & Psychedelic Sounds der Sixties!