Re: Hairy, Sleazy, Cocky

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skraggy

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Warrant – Cherry Pie (1990)

Warrant gelten rückblickend als eine der prototypischen Hair-Metal-Bands der 80er Jahre. „Absolute Poser“, „sexistisch“, „peinlich“ und „musikalisch substanzlos“ – mit diesen und noch ganz anderen Attributen wurde und wird die Band gerne umschrieben, wenn man ihren Namen bei kundiger Klientel in die Runde wirft. Besonders der Vorwurf der musikalischen Substanzlosigkeit wurde im Zusammenhang mit Warrant auf die Spitze getrieben, sah sich die Band doch immer wieder mit der Unterstellung konfrontiert, ihre Alben nicht selbst eingespielt zu haben. Dieses Gerücht hielt sich dermaßen hartnäckig, dass es Produzent Michael Wagener für nötig befand, im Booklet des dritten Albums „Dog Eat Dog“ zu versichern: „No artist, except those listed, performed on this album in any capacity whatsoever“ Richtig los wurden Warrant diesen Mief und das Image der lupenreinen Hair-Metal-Band trotzdem nie, auch wenn diese Bezeichnung eigentlich nur auf die Zeit der ersten beiden Alben wirklich zutrifft. Mit dem 1992 veröffentlichten „Dog Eat Dog“ vollzog die Band eine musikalische Kurkorrektur hin zu härteren Songs. Nichtsdestotrotz vereinen das 1988 veröffentlichte Debüt „Dirty, Rotten, Filthy, Stinking Rich“, das den allseits bekannten Hit „Heaven“ enthält, und vor allem der 1990 unters Volk gebrachte Zweitling „Cherry Pie“ all die Merkmale, für die Hair-Metal heutzutage von so vielen belächelt und bespöttelt, auf der anderen Seite aber von nicht wenigen auch geliebt wird: gnadenlose Bekenntnisse zum Posertum, anzügliche und pubertäre Texte, massig Refrains zum Mitgrölen und nicht zuletzt eine ganze Ladung Spaß und positiver Vibes. Zugegeben, bei Betrachtung des Frontcovers von „Cherry Pie“ ist der Verdacht der Debilität nahe liegend und der auf dem Backcover zur Schau gestellte Sexismus ist sogar nur mit einem Augenrollen zu ertragen. Lässt man diese Äußerlichkeiten aber mal beiseite, entdeckt man einige, zwar simple, aber doch sehr eingängige, manchmal sogar clevere und zwingende Songs. Warrant hatten außer toupierten Haaren, massig Schminke und fragwürdigen Klamotten durchaus auch ein Händchen für gute Songs. So erwärmt die wirklich schöne Ballade „I Saw Red“ das Herz , ohne sich in klebrigem, Pathos-geladenem Schwulst zu ergehen. Dazu gesellen sich knackige Rocker wie „Sure Feels Gootd To Me“ oder das sich unverschämt in den Gehörgängen einnistende „Song And Dance Man“. Auch das im Vergleich zum Original etwas weichgespült klingende Cover des Blackfoot-Klassikers „Train, Train“ weiß zu gefallen. Dem gegenüber steht mit dem Titelsong “Cherry Pie“ eine musikalisch wie textlich stupide Peinlichkeit, wie man sie selten hört. Was sich die Band bei dieser entfernt an Queens „We Will Rock You“ erinnernden Nummer gedacht hat, wird wohl auf Ewig ein Geheimnis bleiben. Ein Song macht dieses Ärgernis aber schnell vergessen. Sollten bis dahin noch immer Zweifel an den vorhandenen musikalischen Fähigkeiten der Band bestehen, werden diese spätestens mit dem wirklich formidablen “Uncle Tom’s Cabin“ ausgeräumt. Eingeleitet von einem akustischen Country-&-Western-Intro knallt die Band dem Hörer hier einen düsteren, mächtig druckvollen Heavy-Rocker um die Ohren, der damals Großteile der nicht nur haarig rockenden Konkurrenz an die Wand blies und auch heute noch zu begeistern weiß. Definitiv eine Großtat im US-Amerikanischen Hardrock.
Sicher, Warrant sind keine Band, die in irgendeiner Weise prägend war. Ihr musikalischer Horizont war sowohl in ihrer haarigen Frühphase, als auch in den vom Zeitgeist der 90er geprägten späteren Jahren eher beschränkt. Nähert man sich Alben wie „Cherry Pie“ aber ausnahmsweise mal ohne Häme, erwarten den willigen Hörer Songs, die zwar Tiefgang vermissen lassen, aber zu fast jeder Sekunde Spaß machen. Allein aus diesem Grund sind sie es schon Wert, ab und an aufgelegt zu werden.

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