Re: Graphic Novels

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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lathoDas ist wie bei Film auch, die meisten Kritiker haben wenig Ahnung von der Kunstform, verstehen sie nicht und sind vom Chefredakteur abgeordnet worden, weil Comics eben „jeder lesen kann“ (oder sie bilden es sich selber ein). Also bespricht man nicht den Comic selber, sondern nur sein Thema. Es gab Kritik an dem Zustand, große Aufregung und eine Diskussionsrunde in Erlangen, ändern wird das aber nichts, ist ja schließlich das grundlegende Problem v.a. des Online-Journalismus.

Ich habe die Kritik an dem Zustand von Marc-Oliver Frisch jetzt nur mal überflogen. Da ist natürlich was dran, wenngleich ich seine Pauschalkritik an Büchern wie Kleist’s Der Boxer und Schwartz‘ Packeis nicht teile.

Bei Kiesgrubennacht drängte sich mir dieser Verdacht auf: FAZ? Suhrkamp Verlag? Nazivergangenheit? Da müssten eigentlich schon die Alarmglocken schrillen. Denn wer da die Zielgruppe ist, dürfte damit klar sein. Jedenfalls scheint sich diese Zielgruppe weniger aus gewohnheitsmäßigen Comic Lesern zu rekrutieren, sondern vielmehr aus Lesern der FAZ und des Suhrkamp Verlags, der ja meint, Romanvorlagen als Comics adaptieren zu müssen. Da wird wohl tatsächlich das „ernstzunehmende“ Thema bewertet, nicht die Art wie es als Comic erzählt wird. Und damit scheitert Volker Reiche in meinen Augen. Die Erzählung funktioniert nicht und seine Charaktere bleiben flach und eindimensional. Beinahe hätte ich gesagt – und das ist jetzt zweimal ironisch um die Ecke gedacht: sie bleiben „comichaft“.

latho(…) Die Tatsache, dass Comics auf Papier, in Buchform präsentiert werden, verleitet dazu, sie der Literatur gleichzustellen, sie auch mit den selben Mitteln zu kritisieren. Das funktioniert aber nur in den seltesten Fällen.
(Einmal mehr empfehle ich dazu Scott McClouds „Understanding Comics“)

Understandig Comics habe ich nie gelesen. Ist ja wohl ein Klassiker. Aber vielleicht brauche ich das als jemand, der schon im Grundschulalter mehr Comics als Bücher gelesen hat, auch nicht.

Sonic JuiceInteressante Besprechung, Friedrich! Als langjähriger FAZ-Leser hat sich mir der Reiz von „Strizz“ ja nie erschlossen. Mir schien das immer bieder, bildungsbürgerlich und uninspiriert. Natürlich auch ohne jegliche popkulturelle Verwurzelung, anarchischen oder absurden Witz. Dass man selbst im Comic Strip nicht ohne Literaturrätsel und Thomas-Mann-Referenzen auskommen kann, ist schon trist. Da ist der Rest des Feuilleton-Teils eigentlich schon weiter. Andreas Platthaus ließ mal im Rahmen der Schirmacher-Nachrufe durchblicken, dass in der FAZ wohl einfach nicht mehr ginge. Vorher war man mit einer Serie von Steven Appleby bei der Stammleserschaft gescheitert.

Danke! Wie ich das Verhältnis von FAZ/Suhrkamp < -> Comic < -> Publikum einschätze, habe ich ja oben geschrieben. Du bestätigst das eigentlich. Steven Appleby kenne ich leider nicht. Ich frage mich, warum die FAZ meint, Comic Strips mit „Literaturrätseln und Thomas-Mann-Referenzen“ veröffentlichen zu müssen. Die klassischen Tageszeitungen-Strips sind doch eher Peanuts oder Calvin & Hobbes, die ihre eigene Art von Witz und Geist haben, ohne einer „hochkulturellen“ Absicherung zu bedürfen. Aber das verstehen viele Nicht-Comic Leser offenbar nicht. Sie verstehen ja nicht einmal, dass das keine Strips für Kinder sind, nur weil Kinder dort die Hauptfiguren sind. Ich behaupte ja oft und gerne, dass man idealerweise mit Comics aufgewachsen sein sollte, um sie lesen und beurteilen zu können.

lathoMit Strizz konnte ich auch nichts anfangen. Aber über die FAZ habe ich Kleists Boxer kennengelernt, den hätte ich sonst wohl nicht gelesen und der ist gut.

Kleists Boxer ist gut, auch wenn Marc-Oliver Frisch den in seiner Kritik der Comic Kritik mit vielen anderen pauschal verreißt. Über Sinn und Zweck, eine literarische Vorlage als Comic zu adaptieren kann man sicher streiten. Ich würde Dir Reinhard Kleists Johnny Cash Biographie I See A Darkness empfehlen, falls du die noch nicht kennst. Für mich das beste von Kleist, jedenfalls von dem, was ich kenne.

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)