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MarBeckHeute in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ein langer Artikel/Review von Diedrich Diedrichsen zu Dexys/dem neuen Album.
So, ich habe den Artikel mal eingescannt.
Solche Platten macht keiner mehr
Das Comeback von Dexys und Kevin Rowland, nach all den Jahren / Von Diedrich Diederichsen
Irgendwann in den frühen Neunzigern saß ich mal am Ende eines langen Tages mit Hans Nieswandt und einigen zufällig anwesenden Enthusiasten im Grafik-Raum der Kölner „Spex“-Redaktion in der Aachener Straße. Tausend aktuelle Dinge waren wieder um uns herum explodiert. Afrozentrisch alarmierter Hip-Hop, Techno aus der neuen sogenannten Hauptstadt, schwerste metallene Jazzschleifspuren aus Kalifornien, vegane Apokalyptiker aus Nordengland mit schlechter Haut und vielen schönen Worten für Leichenzersetzungsprozesse. Irgendjemand hatte sich auch die Wiederveröffentlichungen angeschaut, von der die sich gerade als CD-Industrie neu erfindende Musikbranche auch damals schon lebte. Auch das erste Album der Dexys Midnight Runners war dabei. Lass doch noch mal reinhören! 1980 – das war ungefähr so lange her wie die französische Revolution – hatten wir das immerhin geliebt. Seit 1988 war der instabile Charismatiker Kevin Rowland – Zentrum von Dexys – verschwunden, seine Karrierekurve zeigte steil nach unten. Relevant war er schon seit 1985 nicht mehr so richtig – und das lag länger zurück als die Pariser Commune.
Eine knappe Stunde später -vierzig Minuten LP plus zwanzig Minuten Singles und Bonus-Tracks – lagen wir glücklich und völlig ausgepumpt zwischen den Reinzeichnungsschnipseln, und einer von uns seufzte tief: „They don’t make records like this anymore!“ Wahr gesprochen, Mann! Gewaltige Gefühle und heftige Kritik, scharfe, sarkastische Polemik und die Stimme eines Mannes, der sich nicht scheute, direkt ins Mikro zu flennen, waren selten in so dichter, explosiver Soul-Musik zusammengekommen. Nicht Reflexion statt Soul, sondern durch Soul. Wie konnte man das vergessen!
Aber vergessen wurde der heftige, megalomane Kevin Rowland immer mal wieder – und dann wieder entdeckt, wie damals vor zwanzig Jahren. Zuletzt hatte er sich 2003 nach einer langen Drogenkrise aus bitterer Armut zur Aufstellung einer neuen Ausgabe seiner Big Band Dexys Midnight Runners aufgerafft, die aber über ein paar Auftritte und eine Greatest-Hits-Platte-cum-Bonus-tracks nicht hinausgekommen war.
Davor war das nicht so wahnsinnig ergiebige Coverversionen-Album „My Beauty“ erschienen, auf dessen Artwork der für kontroverse, gnadenlos gesetzte Outfit-Hiebe bekannte Kevin Rowland im Cocktail-Kleid posierte. Seine Schönheit – was für ein Statement! Noch 1999 konnte der übliche heteronormative Rock-Plebs sich darüber am Stammtisch beömmeln. Zum Glück sind aber Größenwahn und Geltungsdrang des 58-Jährigen groß genug, es immer wieder zu probieren. Diesen Freitag erscheint sein neues Album.
Um es sich nicht allzu leicht zu machen, besteht er schon seit dem missglückten Comeback-Versuch der frühen nuller Jahre auf eine Rückkehr im Big-Band-Format. Die ersten Midnight Runners waren ja mitten in die Anyone-can-do-it-Tage zwischen Punk und Post-Punk als großer Haufen disziplinierter Musiker, die sich in gemeinsamen Leibesübungsritualen fit hielten, hineingeplatzt: mit
schmissigem Memphis-Soul-Bläsersatz und einem uniformen Kunstlederjacken-Wollmützen-Look, wie er soulbegeisterten Trotzkisten um 1980 gefiel. Innerhalb von zwei Jahren scharrte es der zwischen sentimentalen und linksradikalen Extremen keine Ruhe findende Alpha-Leader Rowland, es sich mit fast dem ganzen Laden zu verderben, nur um mit einer neuen Big Band, die nun in Latzhosen steckte und mit kunstvoll künstlichem Dreck geschminkt war, im großen Pop-Sommer 1982 neu ins Rennen zu gehen.
Zu sagen, IRA-Folk und Van-Morrison-Verehrung hätten dabei die Sehnsuchtsfigur des mit Dexedrin aufgekratzten Sechziger-Jahre-Arbeiterklasse-Rebellen abgelöst, hieße die Anspielungsvirtuosität von Rowland zu unterschätzen. Das Spektrum reichte schon vorher von der Rechtfertigung politischer Gewalt über James-Joyce-Stellen und Brendan-Behan-Dialogen zu den britischen Helden der Rezeption amerikanischen Souls. Jetzt war allerdings ein Hit dazugekommen, dessen globaler Erfolg auch noch „Geno“, die Hymne aus dem ersten Album, weit in den Schatten stellte. Die Tantiemen von „Come on Eileen“ dürften auch in dunkleren Tagen dafür gesorgt haben, dass sich Rowland wenigstens saubere Drogen leisten konnte – auch das ein wichtiger Aspekt der Urheberdebatte. Obwohl: wenn künstlerische Arbeit anständig bezahlt würde und nicht die mythische Urheberschaft, käme es zu den grandiosen Abstürzen womöglich gar nicht.
Tatsächlich gelang es Kevin, der die Welt dieser Tage mit überzeugt, aber unideologisch getragener indischer Freizeit-Oberbekleidung geschmacklich vor sich hertreibt, zwei alte Freunde aus je einer der beiden Big Bands zu versöhnen und zurückzugewinnen. Mit ihnen, Big Jim Paterson und Pete Williams, sowie mit Mick Talbot, der in den frühen Achtzigern mit Paul Weller und dem Style Council eine Brit-Soul-Renaissance-Konkurrenzfirma leitete, konnte er tatsächlich eine neue Big Band aufstellen.
Die kratzige Schauspiel-Begabung Madeleine Hyland liefert ihm Paroli bei den zahlreichen länglichen Dialogpassagen, die das Comeback-Album „One Day I’m Going to Soar“ entscheidend prägen. Rowland hatte schon immer dialogisch geschrieben; fast alle seine Texte sind innere Gespräche mit Geliebten und Kampfgefährten, mit literarischen Geschmacksabweichlern und elenden Engländern, die den Kampf des irischen Volkes unterschätzen; seit der dritten Dexys – „Don’t Stand Me Down“ von 1985 – pflegt er diese auch als Wechselspiel unterschiedlicher Stimmen oder von Stimme und Chor zu organisieren.
Diese Dialoge schmiegen sich in die Patterns, .die ihm seine Big Band liefert, wenn der Song eigentlich vorbei ist – so, wie es die großen Soulsänger früher bei ihren Live-Konzerten machten. Die Band spielt weiter, und der große Einzelne beginnt zu sinnieren. Das direkte Vorbild durfte bei Kevin Rowland Van Morrisons Live-Dop-pelabum „It’s Too Late to Stop Now“ von 1974 sein, von dem er viel über Dynamik und das kunstvolle Ineinander von sich entziehender Pose und theatralem Überwältigungsangriff gelernt hat.
Der Albumtitel ist sowohl sein Lebensmotto wie eine Formel für diese in die Länge gezogenen Dynamikwunder großer einzelner Entertainer von James Brown bis Isaac Hayes. Dieser hier aber sinniert nicht alleine. Er streitet, wirbt, kniet nieder, verflucht und greift sich dann einen anderen Partner. Madeleine ist ein gleichwertiges Gegenüber; eine Frau, die in den Inszenierungen dieses hetero-queeren Macho nicht nur Projektion und Phantasie bleibt. Darin beerbt sie gewissermaßen die Geigerin Heien O’Hara. die einen ähnlichen Job in der „Come on Eileen“ -Phase hatte, aber deren Präsenz doch deutlich weniger selbstbestimmt wirkte als die der Hyland.
Marvin Gayes bitterer und ebenfalls intensiv dialogischer Ehescheidungsoper „Here, my Dear“ hatte Rowland schon auf dem ersten Album mit „There, There, My Dear“ geantwortet, einer Polithymne über die Trennung von seinem besten Freund und intellektuellen Weggefährten, dessen mangelnder politischer Radikalismus sich in der Dürftigkeit seiner Plattensammlung spiegelte. Auf solche übersichtlichen ästhetisch-ethischen Verhältnisse kann Rowland 2012 nicht mehr zurückgreifen. Deswegen muss der Streit nun ausgetragen, die Tirade an den Mann gebracht werden. Dafür hat er sich inhaltlich auf eher existentialistische Formeln der Einsamkeit und Abgespaltenheit gebracht. Doch er ist zu sehr Soulsänger, um sich nicht nach Songtiteln wie „Me“ und „Lost“ dann doch zu „You“ und „Thinking of You“ durchzuschlagen – Letzteres benennt, was er eben bei aller Inszenierung immer noch am besten kann. Laut an andere denken. Zuweilen sehr laut und auch unglaublich nahe.
Der Autor ist Kunstprofessor und Popkritiker, zuletzt erschien „The Sopranos“ (Diaphanes). „One Day I’m Going to Soar“ kommt am 1. Juni bei Buback heraus.
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