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Anonym
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Selbst der sonst eher zu Verrissen neigende Balzer bekommt sich kaum noch ein
Sie küssen und sie schlagen sich
Von Jens Balzer
Sehnlich erwartet: Nach 27 Jahren gibt es endlich ein neues Album von den Dexys Midnight Runners, eine der tollsten Gruppen, die es je in der Popgeschichte gegeben hat.
Man sagt nicht zu viel, wenn man sagt, dass dies eine der tollsten Gruppen gewesen ist, die es in der Popgeschichte gegeben hat: Dexys Midnight Runners! Zwischen 1980 und 85 brachte Kevin Rowland mit seiner in Birmingham gebildeten Band drei strahlende, schräge, kraftvolle Platten heraus, im Geiste des Punkrock geschaffen, aber gesegnet mit dem Wissen und der Weisheit der Tradition.
Auf „Searching for the Young Soul Rebels“ (1980) hupten die Hörner so wüst wie im Soul der Sechzigerjahre; mit heiserer Kopfstimme sang Kevin Rowland dazu so kraftvoll, schief, schön und verletzlich wie vor ihm oder nach ihm kaum ein anderer weißer Souljunge. Und das bar jeder Retro-Anmutung, voller die Vergangenheit in die Gegenwart rettender Vitalität – zum Niederknien, bis heute.
Zum nächsten Album „Too-Rye-Ay“, zwei Jahre später erschienen, schüttelte Rowland den Soulschick aber schon wieder ab und ließ seine Band in neuer Besetzung und in blauen Proletarierlatzhosen mit nach außen gewendeten Taschen auftreten; mit heiserer Kopfstimme sang er nunmehr zu heiter gefiedelten Folkstücken, die Titel trugen wie „Celtic Soul Brothers“ oder „Come On Eileen“ – wobei letzteres zur nicht enden wollenden Überraschung der Band und ihrer Verehrer ein weltweiter Hitparadenerfolg wurde, bis heute ein Pflichtstück auf jeder Achtzigerfete.
Damit war die Karriere der Dexys Midnight Runners bis auf Weiteres beendet. Dass sie sich anlässlich ihres dritten Albums „Don’t Stand Me Down“ (1985) in Nadelstreifenanzüge kleideten, verspiegelte Sonnenbrillen aufsetzten und die Haare zurückgelten wie später Michael Douglas in „Wall Street“ oder Kai Diekmann in Bild, stieß bei ihren vom Punkrock geprägten Verehrern auf Verärgerung und Verwirrung; da half es auch nichts, dass die Platte mit ihrer doppelbödigen New-Wave-Anmutung so großartig war wie die beiden zuvor.
Die Band löste sich auf, Kevin Rowland verbrachte ein paar Jahre in der Entzugsklinik oder auf der Straße, tauchte noch einmal als Gastgitarrist auf dem Debütalbum der Drum’n’Bass-Pioniere Shut Up and Dance wieder auf (mit dem sinnigen Titel „Death Is Not the End“) und verschwand dann in der Versenkung, bis er 1999 mit Hilfe des Oasis-Entdeckers Alan McGee ein Soloalbum namens „My Beauty“ herausbrachte.
Darauf finden sich zauberhafte Cover-Versionen unter anderem von Paul McCartney („The Long and Winding Road“) und Whitney Houston („Greatest Love of All“). Eine tolle Platte! Allerdings hielt Rowland es für eine gute Idee, sich auf dem dazugehörigen Cover mit nacktem Oberkörper und in Strapsen abbilden zu lassen, ergänzend bepuschelte er sich mit einer Federboa lasziv die schmale Brust.
Auch bei den folgenden Konzerten betrat er die Bühne in Outfits, die eher seine weibliche Seite betonten, was bei seinen immer noch vom Punkrock geprägten und auch ansonsten einem konservativen Weltbild verhafteten Verehrern nicht nur auf Verärgerung und Verwirrung stieß, sondern zudem zu allerlei Gewaltausbrüchen führte; beispielsweise wurde er bei seinen Konzerten bespuckt und mit Bierdosen beworfen.
Man sieht, dass es sich bei Kevin Rowland um einen ehrenwerten Mann und außerordentlichen Künstler handelt; so ist es ein wahrhaft überaus großes Glück, dass er uns, nachdem er zum Abschluss seiner Boa- und Strapsenphase um die Jahrtausendwende herum abermals in der Versenkung verschwand, letztlich nun doch noch ein neues Album schenkt: Es heißt „One Day I’m Going to Soar“ und handelt von einem reiferen Mann, der sich zunächst leidenschaftlich und dann später schmerzvoll in ein junges Mädchen verliebt, um am Ende herauszufinden, dass reife Männer und junge Mädchen nicht zusammenpassen. Es handelt sich also um eine wahre Geschichte.
Die junge Frau, mit der Kevin Rowland die sich aus dieser wahren Geschichte ergebenden Beziehungsduette singt, heißt Madeleine Hyland; sie spielt ansonsten in London in Shakespeare-Dramen und kleidet sich gern in Lack- und Lederklüfte nach Betty-Page-Bondage-Manier. Herrlich, wie keck und kokett und stets überlegen sie ihren Partner beim Singen herauszufordern versteht!
Sie küssen und schlagen sich zu schön dahinschaffelnden Discobeats, zu denen Kevin Rowland, wenn er mit Argumenten nicht weiterkommt, so herrlich „hu“, „ha“ und „hu-ha“ hervorzuhusten pflegt, dass man sofort das Hüftgelenk dazu schütteln möchte.
Seine Band heißt jetzt in Wahrheit übrigens gar nicht mehr Dexys Midnight Runners, sondern nur noch Dexys; und die männlichen Musiker darin kleiden sich wie Bäckergesellen aus der Lower Eastside der Vierzigerjahre. Vielleicht ist auch ein bisschen „Großer Gatsby“ darin? „Ja“, sagt Kevin Rowland: „Aber das Wichtigste ist: Es ist ein Look, den ein Mann in meinem Alter gut tragen kann! Er ist originell, aber er wirkt nicht, als ob ich jünger aussehen möchte als ich bin.“
So ist es auch beim Hören seiner Musik: Man fühlt sich keinen Tag jünger, als man ist. Und das ist hier ein sehr gutes Gefühl.
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