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SVM Some Velvet Morning 2009-12-04 SVM Krautrock Special: http://somevelvetmorning.de.dd17036.kasserver.com/2009-12-04.m3u
Playlist
01 NEU!- Hallogallo
02 Kraftwerk- Autobahn
03 Kraftwerk- Morgenspaziergang
04 Harmonia- Watussi
05 David Bowie- Sense of doubt
06 Harmonia- Sometimes in autumn
07 Cluster- Zuckerzeit
08 NEU!- Lila Engel
09 Joy Division- She´s lost control
10 PIL- Memories
11 Ron Trent- Altered states
12 Kraftwerk- Trans Europa Express
13 Newest (mit Klaus Dinger)- Summer forever
14 Stereolab- French disco
15 My Bloody Valentine- Off your face
16 Klaus Schulze- Blanche
17 Jonsi And Alex- Sleeping giant
Zum Einfluss von Krautrock auf Postpunk:
Schon mehrfach habe ich versucht zu beweisen, was an sich offensichtlich ist. Ein letzter Versuch:
Bei NEU! ist ein mechanischen, sich ständig wiederholendes Schlagzeug zu erkennen, dass wie ein Drumcomputer praktisch fast einen Beat durchschlägt, aber durch diese Repitition schafft es etwas Hynotisches, Einnehmendes. Wir können auch den Begriff Psychedelisches ins Spiel bringen. Wesentlich ist das Bassspiel dabei, dass synchron mit dem Schlagzeug diesen Rhythmus immer wieder mitspielt. Meistens sind es nur drei Akkorde im Bass.
Das ist das Hauptgerüst eines 80s Wave/Gothic Songs. Ich verwende jetzt mal nicht Postpunk, da der Begriff nun einmal alle Bands nach Punk zusammenfasst und es hier zu Irritationen kommen kann. Joy Division wird zwar als Postpunk eingeordnet, steht aber ja praktisch für DIE Wave Band überhaupt. Ich habe früher das Wort Postpunk nie verwendet. Zum Großteil wurden in den 80ern gesprochen von: Wave, Gothic, Pop, Synthie- Pop, Industrial, Electronic Body Music, Rock (EBM), Hard Rock, Heavy Metal, Speed Metal, Black Metal, Sixties, Folk, 70er, Progressive Rock, Ambient, Disco, Schlager, Reaggae und Punk. Das war´s zum Großteil. Das Wort Postpunk hat sich m. E. erst in den letzten Jahren so richtig durchgesetzt (genauso wie das Wort Indie eine Art Renaissance erfahren hat). Simon Reynolds Bibel des Postpunks (Rip it up and start again!) hat den Begriff endgültig als Umschreibung diesen facettenreiches Genres sich durchsetzen lassen.
Joy Divisions Sound ist bestimmt durch die typische Verwendung eines mechanischen Schlagzeugs in Zusammenarbeit mit dem Bass, der in drei abfolgenden Akkorden das Schlagzeug synchron begleitet. Das Grundgerüst einer jeden Wave Band. Die Funktion des Basses wird im Wave sehr stark mehr betont, während die Gitarre größtenteils ins Hintertreffen gerät. Es ist kein Virtuose an der Gitarre gefragt, sondern es wird mehr geschrammelt, experimentiert, einzelne Akkordfolgen gespielt- das war´s. Ein Gitarrensolo wie im Hardrock wäre fast undenkbar. Man könnte polemisch auch sagen: Die Gitarristen können nichts. Im Vergleich zu Robert Fripp, Jimi Hendrix … mag das vielleicht sogar stimmen. Es geht aber wie gesagt mehr um den Gesamtsound der Band: ein wummender Bass, ein motorisches Schlagzeug und dazu ein Gesang oder Nicht-Gesang, manchmal melancholisch, nörgelnd, teils aggressiv, verzweifelt- egal ob The Cure, Joy Division, The Fall- das Prinzip bleibt gleich.
Ich bin großer Joy Division Verehrer und habe sie immer bewundert, wie sie aus dem Nichts Wave gemacht haben. Diesen düsteren Sound. Nach dem Film „Control“ habe ich aufgehört Electro aufzulegen, weil ich einfach dachte: Diese Musik hat so eine Tiefe, der Sänger hat es ernst gemeint und es hatte noch eine Aussage. Was ist Techno dagegen? Nichts. Somit kehrte ich zurück zur Musik meiner Jugend.
Jedenfalls bin ich letztes Jahr dann doch darauf gestoßen, dass das Hauptmerkmal von Joy Division auf NEU! eindeutig zurückgeht. „No love lost“ im Vergleich zu NEUs „Negativland“ sprechen eine deutliche Sprache. In der Sendung habe ich mal „Lila Engel“ (NEU) und danach von Joy Division „She´s lost control“ gewählt. Ersteres um die Punkeinflüsse von Neu zu betonen und She´s lost control aufgrund des mechanischen Schlagzeugspiels.
Musik entsteht nicht aus dem Nichts und versetzen wir uns zurück Ende der 70er, als Joy Division und andere Wave Bands nach einem neuen Ausdruck in der Musik gesucht haben. Zunächst wendet sich ja der Blick in die Vergangenheit der Musikgeschichte, sozusagen ins Repertoire. Wer machte die kälteste, dunkelste Musik in den 70ern: Die Deutschen. Neu, Kraftwerk, Harmonia waren anders als andere 70er Ausrichtungen. Sie wollten keinen Bombastrock a la Emerson Lake And Palmer, kein Disco, kein Rock, nicht mal Punk- sie wollten modern, anders, rau, ernst, dunkel und vielleicht unbewusst böse klingen. Da blieb nur der Blick nach Deutschland. Natürlich war der Blick auf Deutschland bei Interesse für Düsteres und Böses sowieso vorhanden. Allein der Name „Joy Division“ geht auf ein Freudenhaus zurück, wo sich die SS Offiziere mit Jüdinnen amüsiert haben, bevor sie vergast wurden. Also ein ähniches Interesse für diese NS Thematik wie Bowie von SS Uniformen etc. fasziniert war. Damit meine ich jetzt natürlich nicht, dass die genannten Künstler rechts waren. Es war mehr so eine vielleicht naive Herangehensweise an das Thema. Wir als Deutsche hätten das nie tun können. Schon Punkbands wie Siouxsie And The Banshees zu ihren Anfangszeiten kokettierten mit Hakenkreuz.
Es war also viel Provokation mit im Spiel. Womit kann man am Meisten provozieren? Mit Hitler? Gut, dann spielen wir mit der Symbolik.
Bei Ian Curtis (Frontmann von Joy Division) war stets eine Faszination für Tod, menschliche Abgründe und dem NS vorhanden. Er hatte mal ein Praktikum in einer psychiatrischen Anstalt gemacht und interessierte sich sehr für Geisteskrankheiten. Als Jugendlicher bestahlen sie Omas in Manchester und hauten sich alles rein, was der Medikamentenschrank hergab. Seine Frau und die Eltern waren immer bestürzt, was für negativen Sachen Curtis konsequent las. Das dies Einfluss auf sein Leben haben würde, ist im Nachhinein nicht verwunderlich. Er soll schon früher für Selbstmörder in der Geschichte geschwärmt haben. Manch einer würde jetzt einfach polemisch sagen, dass er eben nicht alle Tassen im Schrank hatte und so ja enden musste. Das wäre mir dann allerdings zu hart formuliert. Außenseiter sind wichtig im Leben. In der Musikgeschichte sowieso und der Zwiespalt zwischer früher Hochzeit, Vaterschaft und einer neuen Liebe plus seine körperlichen Leiden (und der beginnende Tourstreß, den Ian Curtis nicht mochte) führten dann wohl zur verhängnisvollen Tat, aber das ist ein anderes Thema.
Genie und Wahsinn gehen ja oft Hand in Hand: Bowies Bruder war schizophren und er hatte immer Angst selbst verrückt zu werden. Seine Mutter ist auch psychisch krank gewesen.
Also, wir haben es hier mit extremen Charakteren zu tun und deren musikalischer Geschmack suchte nach etwas Düsterem, Dunklem, Andersartigem, was sie bei Bands wie Neu, Harmonia, Cluster etc. fanden.
Keine Musik war so unterkühlt wie dieser. Keine RocknRoll Wärme, kein Gitarrensoli- perfekt zur Schaffung des Sounds, der später Wave/Gothic in den 80ern heißen würde. Es gab vorher höchstens Roxy Music, Bowie, Stooges/Iggy Pop, Doors, Velvet Underground und Suicide für diese Künstler, die später diese Musik machten. Als Frühform des Gothic sehe ich übrigens „In every dream home a heartache“, gerade in der Liveversion, von Roxy Music. Bryan Ferry singt auf einmal sehr tief, theatralisch und dunkel. Es wundert mich nicht, dass beispielsweise Fields Of The Nephilim genau dieses Stück coverten auf der „Blue Water“- Single. Sisters Of Mercy covern „Ghostrider“ von Suicide, „Sister Ray“ von Velvet Underground (Joy Division wählen das gleiche Stück). Gut Sisters Of Mercy wandelten jedes Cover in Gothic um. Da wird selbst aus „Gimme shelter“, „Jolene“ (Dolly Parton), „Knocking on heavens door“ eine Gothic Hymne. Das soll nur verdeutlichen, dass diese Bands nicht viel Repertoire vorher in der Musikgeschichte hatten, womit sie ihren Sound hätten kreieren können.
Einige Postpunk Acts wie Joy Division, The Fall entdecken den deutschen Krautrock für sich und schaffen so eine eigene Interpretation ihres Wave/Postpunk Sounds. Nachfolgende Bands orientierten sich wohl eher an Joy Divison als an NEU. Ich will damit sagen, dass sie im Prinzip auch die gleichen Bass Akkorde spielten und das mechanische Schlagzeug, aber die Orginale nicht kannten.
Was Punk betrifft: Da würde ich noch eingestehen, dass bereits The Stooges Punk 68 gemacht haben. Ihr Song „I wanna be your dog“ ist übrigens zusätzlich noch interessant, weil der das typische Wave Muster der Melodie spielt: der Bass hämmert drei Akkorde stumpf runter, ein cooler Gesang drüber, nur Ashetons phänomenale Gitarre am Ende entpricht nicht dem, was da Ende der 70er sich neu erschafft. Punk aus England würde ich gar nicht überbewerten. Viele Bands klangen gleich. Die Sex Pistols mehr eine Boy Group. Punk war sehr kurz nur angesagt. Musikalisch war er notwendig, um das Vorher (Bombast Rock, …) wegzublasen, aber musikalisch war das Nichkönnen ja gerade die Hauptmessage. Vielleicht auch die wichtigste Message- jeder kann Musik machen. Du musst kein Gitarrenhero sein. Singen? Wozu? Das ist alles egal. Hauptsache rauslassen und kreativ sein. Viele Punkbands finde ich persönlich jetzt nicht so kreativ. Die Kreativität kam dann im Postpunk zum Tragen, der eben aus dem Punk enstand. Joy Division und viele Artists machten ja vorher Punk, erkannten aber den begrenzten musikalischen Rahmen und letztendlich bewegte man sich noch immer im Rockschemata. Auch in der RocknRoll Haltung, dem Lebensstil etc.
Postpunk war davon beeinflusst, schlug aber vielfältiger zu. So wie Kraftwerk eher wie Roboter aussahen als wie Krautrocker (sie verwandelten sich quasi selbst vom Outfit), so trugen Joy Division kurze Haare, 30er Jahre Anzüge. Nichts mehr erinnerte an Rock, Punk und Nieten. Die Revolution war quasi verinnerlicht und es zählte nur noch der Ausdruck der Musik.
Heutige Bands, die sich auf Joy Division berufen gibt es sehr viel und sobald wir diesen wummernden Bass mit den drei abfallenden Akkorden und das mechanische Schlagzeug hören (vielleicht noch der entsprechende Gesang)- schon ist die Joy Division Assoziation da.
Ob das The Editors, White Lies, Mary Onettes, Interpol etc. sind. Es ist ja erstaunlich, wie sich in der Rezeption so viele Bands auf diese Band aus Manchester als Einfluss einigen können. Waren sie zu Lebzeiten eher eine Independent Band, sind sie jetzt retroperspektiv eine der wichtigsten Bands der 80er Jahre. Vielleicht neben The Smiths. Das Erbe, was Joy Divison versteckt aber an die heutige Jugend weitergibt, ist der Rhythmus von Neu! und anderen Krautrockern. So gesehen lebt Krautrock versteckt selbst in den Joy Division Ablegern der Neuzeit weiter.
Zudem kommen noch Bands der Neuzeit wie Oasis, My Bloody Valentine, Stereolab, Primal Scream etc. , die sich auf NEU! beziehen.
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